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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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Durch Cimabue's Schüler, den großen Giotto,
erhielt die Kunst wichtige Verbesserungen. Das Colo-
rit in seinen besten Werken unterscheidet sich von dem
seines Meisters vortheilhaft durch wärmere Fleischtin-
ten. Die Schatten oder vielmehr die dunklen Partieen
sind zwar fast eben so schwach, aber etwas weniger
schmutzig und fallen zuweilen ins Grauliche.

Unter Simon Memmi, Thaddäus Gaddi und an-
dern sonst berühmten Schülern des Giotto gewann das
Colorit nichts, als daß es in einigen Arbeiten des er-
wähnten Gaddi kräftiger mit besser auseinandergesetzten
Farben erscheint. Giottino, der etwas später als die
genannten auftrat, brachte mehr Uebereinstimmung ins
Ganze, bediente sich blühenderer Tinten und verstand
bereits dieselben nach Erforderniß des Gegenstandes ab-
zuwechseln. Vornehmlich sind die Schattenpartieen
durch ihn kräftiger geworden, haben auch etwas mehr
Wahrheit erhalten als in den Werken der früheren
Meister der Fall ist.

Durch den Lorenzo di Bicci erhielt das Colorit
abermals Verbesserungen. Dieser Künstler liebte das
Helle und Muntere der Farben und wußte die Massen
der Localtinten rein aufzutragen und zart abzuwechseln,
so daß man in einigen noch übrigen Arbeiten von ihm
Gewänder von derselben Farbe wahrnimmt, welche mit
vollkommen befriedigender Kunst nur um eine zarte
Nüance von einander unterschieden sind, und nichts
destoweniger deutlich sich abheben, wodurch der Künst-

Durch Cimabue’s Schuͤler, den großen Giotto,
erhielt die Kunſt wichtige Verbeſſerungen. Das Colo-
rit in ſeinen beſten Werken unterſcheidet ſich von dem
ſeines Meiſters vortheilhaft durch waͤrmere Fleiſchtin-
ten. Die Schatten oder vielmehr die dunklen Partieen
ſind zwar faſt eben ſo ſchwach, aber etwas weniger
ſchmutzig und fallen zuweilen ins Grauliche.

Unter Simon Memmi, Thaddaͤus Gaddi und an-
dern ſonſt beruͤhmten Schuͤlern des Giotto gewann das
Colorit nichts, als daß es in einigen Arbeiten des er-
waͤhnten Gaddi kraͤftiger mit beſſer auseinandergeſetzten
Farben erſcheint. Giottino, der etwas ſpaͤter als die
genannten auftrat, brachte mehr Uebereinſtimmung ins
Ganze, bediente ſich bluͤhenderer Tinten und verſtand
bereits dieſelben nach Erforderniß des Gegenſtandes ab-
zuwechſeln. Vornehmlich ſind die Schattenpartieen
durch ihn kraͤftiger geworden, haben auch etwas mehr
Wahrheit erhalten als in den Werken der fruͤheren
Meiſter der Fall iſt.

Durch den Lorenzo di Bicci erhielt das Colorit
abermals Verbeſſerungen. Dieſer Kuͤnſtler liebte das
Helle und Muntere der Farben und wußte die Maſſen
der Localtinten rein aufzutragen und zart abzuwechſeln,
ſo daß man in einigen noch uͤbrigen Arbeiten von ihm
Gewaͤnder von derſelben Farbe wahrnimmt, welche mit
vollkommen befriedigender Kunſt nur um eine zarte
Nuͤançe von einander unterſchieden ſind, und nichts
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[351/0385] Durch Cimabue’s Schuͤler, den großen Giotto, erhielt die Kunſt wichtige Verbeſſerungen. Das Colo- rit in ſeinen beſten Werken unterſcheidet ſich von dem ſeines Meiſters vortheilhaft durch waͤrmere Fleiſchtin- ten. Die Schatten oder vielmehr die dunklen Partieen ſind zwar faſt eben ſo ſchwach, aber etwas weniger ſchmutzig und fallen zuweilen ins Grauliche. Unter Simon Memmi, Thaddaͤus Gaddi und an- dern ſonſt beruͤhmten Schuͤlern des Giotto gewann das Colorit nichts, als daß es in einigen Arbeiten des er- waͤhnten Gaddi kraͤftiger mit beſſer auseinandergeſetzten Farben erſcheint. Giottino, der etwas ſpaͤter als die genannten auftrat, brachte mehr Uebereinſtimmung ins Ganze, bediente ſich bluͤhenderer Tinten und verſtand bereits dieſelben nach Erforderniß des Gegenſtandes ab- zuwechſeln. Vornehmlich ſind die Schattenpartieen durch ihn kraͤftiger geworden, haben auch etwas mehr Wahrheit erhalten als in den Werken der fruͤheren Meiſter der Fall iſt. Durch den Lorenzo di Bicci erhielt das Colorit abermals Verbeſſerungen. Dieſer Kuͤnſtler liebte das Helle und Muntere der Farben und wußte die Maſſen der Localtinten rein aufzutragen und zart abzuwechſeln, ſo daß man in einigen noch uͤbrigen Arbeiten von ihm Gewaͤnder von derſelben Farbe wahrnimmt, welche mit vollkommen befriedigender Kunſt nur um eine zarte Nuͤançe von einander unterſchieden ſind, und nichts deſtoweniger deutlich ſich abheben, wodurch der Kuͤnſt-

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/385>, abgerufen am 27.04.2024.