Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

len der Naturwissenschaft beschäftigten und vorzüglich
diese durch Versuche zu ergründen suchten.

Durch diese lebhafte Verbindung des Experimen-
tirens und Theoretisirens entstanden nun diejenigen
Personen, welche man, besonders in England, Natu-
ral- und Experimental-Philosophen nannte, so wie es
denn auch eine Experimental-Philosophie gab. Ein
Jeder der die Naturgegenstände nur nicht gerade aus
der Hand zum Mund, wie etwa der Koch, behandelte,
wer nur einigermaßen consequent aufmerksam auf die
Erscheinungen war, der hatte schon ein gewisses Recht
zu jenem Ehrennamen, den man freylich in diesem
Sinne vielen beylegen konnte. Jedes allgemeine Rä-
sonnement, das tief oder flach, zart oder crud, zusam-
menhängend oder abgerissen, über Naturgegenstände
vorgebracht wurde, hieß Philosophie. Ohne diesen
Misbrauch des Wortes zu kennen, bliebe es unbegreif-
lich, wie die Londner Societät den Titel Philosophi-
sche Transactionen für die unphilosophischeste aller
Sammlungen hätte wählen können.

Der Hauptmangel einer solchen unzulänglichen Be-
handlung blieb daher immer, daß die theoretischen An-
sichten so vieler Einzelnen vorwalteten, und dasjenige
was man sehen sollte, nicht einem Jeden gleichmäßig
erschien. Uns ist bekannt, wie sich Boyle, Hook und
Newton benommen.

Durch die Bemühungen solcher Männer, beson-

len der Naturwiſſenſchaft beſchaͤftigten und vorzuͤglich
dieſe durch Verſuche zu ergruͤnden ſuchten.

Durch dieſe lebhafte Verbindung des Experimen-
tirens und Theoretiſirens entſtanden nun diejenigen
Perſonen, welche man, beſonders in England, Natu-
ral- und Experimental-Philoſophen nannte, ſo wie es
denn auch eine Experimental-Philoſophie gab. Ein
Jeder der die Naturgegenſtaͤnde nur nicht gerade aus
der Hand zum Mund, wie etwa der Koch, behandelte,
wer nur einigermaßen conſequent aufmerkſam auf die
Erſcheinungen war, der hatte ſchon ein gewiſſes Recht
zu jenem Ehrennamen, den man freylich in dieſem
Sinne vielen beylegen konnte. Jedes allgemeine Raͤ-
ſonnement, das tief oder flach, zart oder crud, zuſam-
menhaͤngend oder abgeriſſen, uͤber Naturgegenſtaͤnde
vorgebracht wurde, hieß Philoſophie. Ohne dieſen
Misbrauch des Wortes zu kennen, bliebe es unbegreif-
lich, wie die Londner Societaͤt den Titel Philoſophi-
ſche Transactionen fuͤr die unphiloſophiſcheſte aller
Sammlungen haͤtte waͤhlen koͤnnen.

Der Hauptmangel einer ſolchen unzulaͤnglichen Be-
handlung blieb daher immer, daß die theoretiſchen An-
ſichten ſo vieler Einzelnen vorwalteten, und dasjenige
was man ſehen ſollte, nicht einem Jeden gleichmaͤßig
erſchien. Uns iſt bekannt, wie ſich Boyle, Hook und
Newton benommen.

Durch die Bemuͤhungen ſolcher Maͤnner, beſon-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0488" n="454"/>
len der Naturwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft be&#x017F;cha&#x0364;ftigten und vorzu&#x0364;glich<lb/>
die&#x017F;e durch Ver&#x017F;uche zu ergru&#x0364;nden &#x017F;uchten.</p><lb/>
            <p>Durch die&#x017F;e lebhafte Verbindung des Experimen-<lb/>
tirens und Theoreti&#x017F;irens ent&#x017F;tanden nun diejenigen<lb/>
Per&#x017F;onen, welche man, be&#x017F;onders in England, Natu-<lb/>
ral- und Experimental-Philo&#x017F;ophen nannte, &#x017F;o wie es<lb/>
denn auch eine Experimental-Philo&#x017F;ophie gab. Ein<lb/>
Jeder der die Naturgegen&#x017F;ta&#x0364;nde nur nicht gerade aus<lb/>
der Hand zum Mund, wie etwa der Koch, behandelte,<lb/>
wer nur einigermaßen con&#x017F;equent aufmerk&#x017F;am auf die<lb/>
Er&#x017F;cheinungen war, der hatte &#x017F;chon ein gewi&#x017F;&#x017F;es Recht<lb/>
zu jenem Ehrennamen, den man freylich in die&#x017F;em<lb/>
Sinne vielen beylegen konnte. Jedes allgemeine Ra&#x0364;-<lb/>
&#x017F;onnement, das tief oder flach, zart oder crud, zu&#x017F;am-<lb/>
menha&#x0364;ngend oder abgeri&#x017F;&#x017F;en, u&#x0364;ber Naturgegen&#x017F;ta&#x0364;nde<lb/>
vorgebracht wurde, hieß Philo&#x017F;ophie. Ohne die&#x017F;en<lb/>
Misbrauch des Wortes zu kennen, bliebe es unbegreif-<lb/>
lich, wie die Londner Societa&#x0364;t den Titel Philo&#x017F;ophi-<lb/>
&#x017F;che Transactionen fu&#x0364;r die unphilo&#x017F;ophi&#x017F;che&#x017F;te aller<lb/>
Sammlungen ha&#x0364;tte wa&#x0364;hlen ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
            <p>Der Hauptmangel einer &#x017F;olchen unzula&#x0364;nglichen Be-<lb/>
handlung blieb daher immer, daß die theoreti&#x017F;chen An-<lb/>
&#x017F;ichten &#x017F;o vieler Einzelnen vorwalteten, und dasjenige<lb/>
was man &#x017F;ehen &#x017F;ollte, nicht einem Jeden gleichma&#x0364;ßig<lb/>
er&#x017F;chien. Uns i&#x017F;t bekannt, wie &#x017F;ich Boyle, Hook und<lb/>
Newton benommen.</p><lb/>
            <p>Durch die Bemu&#x0364;hungen &#x017F;olcher Ma&#x0364;nner, be&#x017F;on-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[454/0488] len der Naturwiſſenſchaft beſchaͤftigten und vorzuͤglich dieſe durch Verſuche zu ergruͤnden ſuchten. Durch dieſe lebhafte Verbindung des Experimen- tirens und Theoretiſirens entſtanden nun diejenigen Perſonen, welche man, beſonders in England, Natu- ral- und Experimental-Philoſophen nannte, ſo wie es denn auch eine Experimental-Philoſophie gab. Ein Jeder der die Naturgegenſtaͤnde nur nicht gerade aus der Hand zum Mund, wie etwa der Koch, behandelte, wer nur einigermaßen conſequent aufmerkſam auf die Erſcheinungen war, der hatte ſchon ein gewiſſes Recht zu jenem Ehrennamen, den man freylich in dieſem Sinne vielen beylegen konnte. Jedes allgemeine Raͤ- ſonnement, das tief oder flach, zart oder crud, zuſam- menhaͤngend oder abgeriſſen, uͤber Naturgegenſtaͤnde vorgebracht wurde, hieß Philoſophie. Ohne dieſen Misbrauch des Wortes zu kennen, bliebe es unbegreif- lich, wie die Londner Societaͤt den Titel Philoſophi- ſche Transactionen fuͤr die unphiloſophiſcheſte aller Sammlungen haͤtte waͤhlen koͤnnen. Der Hauptmangel einer ſolchen unzulaͤnglichen Be- handlung blieb daher immer, daß die theoretiſchen An- ſichten ſo vieler Einzelnen vorwalteten, und dasjenige was man ſehen ſollte, nicht einem Jeden gleichmaͤßig erſchien. Uns iſt bekannt, wie ſich Boyle, Hook und Newton benommen. Durch die Bemuͤhungen ſolcher Maͤnner, beſon-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/488
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 454. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/488>, abgerufen am 06.05.2024.