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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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mit den objectiven abhandeln; wie konnte er sie für
unbequem erklären, da sie ganz ohne Frage die beque-
meren sind: wenn er nicht der Natur ausweichen und
seine vorgefaßte Meynung vor ihr sicher stellen wollte?
Die Natur spricht nichts aus, was ihr selbst unbequem
wäre; desto schlimmer wenn sie einem Theoretiker unbe-
quem wird.

Nach allem diesem wollen wir, weil ethische Proble-
me auf gar mancherley Weise aufgelöst werden können,
noch die Vermuthung anführen, das vielleicht New-
ton an seiner Theorie soviel Gefallen gefunden, weil
sie ihm, bey jedem Erfahrungsschritte, neue Schwie-
rigkeiten darbot. So sagt ein Mathematiker selber:
C' est la coutume des Geometres de s'elever de
difficultes en difficultes, et meme de s'en former
sans cesse de nouvelles, pour avoir le plaisir de
les surmonter.

Wollte man aber auch so den vortrefflichen Mann
nicht genug entschuldigt halten, so werfe man einen
Blick auf die Naturforschung seiner Zeiten, auf das
Philosophiren über die Natur, wie es theils von Des-
cartes her, theils durch andere vorzügliche Männer
üblich geworden war, und man wird aus diesen Um-
gebungen sich Newtons eigenen Geisteszustand eher ver-
gegenwärtigen können.

Auf diese und noch manche andere Weise möchten
wir den Manen Newtons, in sofern wir sie beleidigt

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mit den objectiven abhandeln; wie konnte er ſie fuͤr
unbequem erklaͤren, da ſie ganz ohne Frage die beque-
meren ſind: wenn er nicht der Natur ausweichen und
ſeine vorgefaßte Meynung vor ihr ſicher ſtellen wollte?
Die Natur ſpricht nichts aus, was ihr ſelbſt unbequem
waͤre; deſto ſchlimmer wenn ſie einem Theoretiker unbe-
quem wird.

Nach allem dieſem wollen wir, weil ethiſche Proble-
me auf gar mancherley Weiſe aufgeloͤſt werden koͤnnen,
noch die Vermuthung anfuͤhren, das vielleicht New-
ton an ſeiner Theorie ſoviel Gefallen gefunden, weil
ſie ihm, bey jedem Erfahrungsſchritte, neue Schwie-
rigkeiten darbot. So ſagt ein Mathematiker ſelber:
C’ est la coutume des Géométres de s’élever de
difficultés en difficultés, et même de s’en former
sans cesse de nouvelles, pour avoir le plaisir de
les surmonter.

Wollte man aber auch ſo den vortrefflichen Mann
nicht genug entſchuldigt halten, ſo werfe man einen
Blick auf die Naturforſchung ſeiner Zeiten, auf das
Philoſophiren uͤber die Natur, wie es theils von Des-
cartes her, theils durch andere vorzuͤgliche Maͤnner
uͤblich geworden war, und man wird aus dieſen Um-
gebungen ſich Newtons eigenen Geiſteszuſtand eher ver-
gegenwaͤrtigen koͤnnen.

Auf dieſe und noch manche andere Weiſe moͤchten
wir den Manen Newtons, in ſofern wir ſie beleidigt

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[483/0517] mit den objectiven abhandeln; wie konnte er ſie fuͤr unbequem erklaͤren, da ſie ganz ohne Frage die beque- meren ſind: wenn er nicht der Natur ausweichen und ſeine vorgefaßte Meynung vor ihr ſicher ſtellen wollte? Die Natur ſpricht nichts aus, was ihr ſelbſt unbequem waͤre; deſto ſchlimmer wenn ſie einem Theoretiker unbe- quem wird. Nach allem dieſem wollen wir, weil ethiſche Proble- me auf gar mancherley Weiſe aufgeloͤſt werden koͤnnen, noch die Vermuthung anfuͤhren, das vielleicht New- ton an ſeiner Theorie ſoviel Gefallen gefunden, weil ſie ihm, bey jedem Erfahrungsſchritte, neue Schwie- rigkeiten darbot. So ſagt ein Mathematiker ſelber: C’ est la coutume des Géométres de s’élever de difficultés en difficultés, et même de s’en former sans cesse de nouvelles, pour avoir le plaisir de les surmonter. Wollte man aber auch ſo den vortrefflichen Mann nicht genug entſchuldigt halten, ſo werfe man einen Blick auf die Naturforſchung ſeiner Zeiten, auf das Philoſophiren uͤber die Natur, wie es theils von Des- cartes her, theils durch andere vorzuͤgliche Maͤnner uͤblich geworden war, und man wird aus dieſen Um- gebungen ſich Newtons eigenen Geiſteszuſtand eher ver- gegenwaͤrtigen koͤnnen. Auf dieſe und noch manche andere Weiſe moͤchten wir den Manen Newtons, in ſofern wir ſie beleidigt 31 *

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 483. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/517>, abgerufen am 28.04.2024.