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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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drey Farben; noch mehr Aufpassende und Sondernde
gar nur zwey, und so veränderte sich alles nach den
verschiedenen Ansichten.

Carvalho und der Franzose H. F. T. fanden die
farbigen Schatten höchst bedeutend und legten den
ganzen Grund der Farbenlehre dahin. Aber alle diese
Phänomene, sie mögen Namen haben wie sie wollen,
haben ein gleiches Recht Grundphänomene zu seyn.
Die von uns aufgeführten physiologischen, physischen,
chemischen Farben sind alle gleich befugt die Aufmerk-
samkeit der Beobachtenden und Theoretisirenden anzu-
sprechen. Die Natur allein hat den wahren republica-
nischen Sinn, da der Mensch sich gleich zur Aristokra-
tie und Monarchie hinneigt, und diese seine Eigenheit
überall, besonders auch theoretisirend statt finden läßt.

"Auch scheint es mir aus andern Gründen wahr-
scheinlich, daß unser Organ um eine Farbe zu empfin-
den, etwas von allem Licht (weißes) zugleich mit
empfangen müsse."

Was hier Lichtenberg im Vorbeygehen äußert, ist
denn das etwas anderes als was Delaval behauptet?
nur daß dieser das Helle hinter das Dunkle bringt
und die Specification des Dunklen dadurch erscheinen
macht, und daß jener das Helle unter das Dunkle
mischt; welches ja auch nichts weiter ist, als daß
eins mit und durch das andre erscheint. Ob ich ein
durchsichtiges Blau über Gelb lasire, oder ob ich

drey Farben; noch mehr Aufpaſſende und Sondernde
gar nur zwey, und ſo veraͤnderte ſich alles nach den
verſchiedenen Anſichten.

Carvalho und der Franzoſe H. F. T. fanden die
farbigen Schatten hoͤchſt bedeutend und legten den
ganzen Grund der Farbenlehre dahin. Aber alle dieſe
Phaͤnomene, ſie moͤgen Namen haben wie ſie wollen,
haben ein gleiches Recht Grundphaͤnomene zu ſeyn.
Die von uns aufgefuͤhrten phyſiologiſchen, phyſiſchen,
chemiſchen Farben ſind alle gleich befugt die Aufmerk-
ſamkeit der Beobachtenden und Theoretiſirenden anzu-
ſprechen. Die Natur allein hat den wahren republica-
niſchen Sinn, da der Menſch ſich gleich zur Ariſtokra-
tie und Monarchie hinneigt, und dieſe ſeine Eigenheit
uͤberall, beſonders auch theoretiſirend ſtatt finden laͤßt.

„Auch ſcheint es mir aus andern Gruͤnden wahr-
ſcheinlich, daß unſer Organ um eine Farbe zu empfin-
den, etwas von allem Licht (weißes) zugleich mit
empfangen muͤſſe.“

Was hier Lichtenberg im Vorbeygehen aͤußert, iſt
denn das etwas anderes als was Delaval behauptet?
nur daß dieſer das Helle hinter das Dunkle bringt
und die Specification des Dunklen dadurch erſcheinen
macht, und daß jener das Helle unter das Dunkle
miſcht; welches ja auch nichts weiter iſt, als daß
eins mit und durch das andre erſcheint. Ob ich ein
durchſichtiges Blau uͤber Gelb laſire, oder ob ich

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[638/0672] drey Farben; noch mehr Aufpaſſende und Sondernde gar nur zwey, und ſo veraͤnderte ſich alles nach den verſchiedenen Anſichten. Carvalho und der Franzoſe H. F. T. fanden die farbigen Schatten hoͤchſt bedeutend und legten den ganzen Grund der Farbenlehre dahin. Aber alle dieſe Phaͤnomene, ſie moͤgen Namen haben wie ſie wollen, haben ein gleiches Recht Grundphaͤnomene zu ſeyn. Die von uns aufgefuͤhrten phyſiologiſchen, phyſiſchen, chemiſchen Farben ſind alle gleich befugt die Aufmerk- ſamkeit der Beobachtenden und Theoretiſirenden anzu- ſprechen. Die Natur allein hat den wahren republica- niſchen Sinn, da der Menſch ſich gleich zur Ariſtokra- tie und Monarchie hinneigt, und dieſe ſeine Eigenheit uͤberall, beſonders auch theoretiſirend ſtatt finden laͤßt. „Auch ſcheint es mir aus andern Gruͤnden wahr- ſcheinlich, daß unſer Organ um eine Farbe zu empfin- den, etwas von allem Licht (weißes) zugleich mit empfangen muͤſſe.“ Was hier Lichtenberg im Vorbeygehen aͤußert, iſt denn das etwas anderes als was Delaval behauptet? nur daß dieſer das Helle hinter das Dunkle bringt und die Specification des Dunklen dadurch erſcheinen macht, und daß jener das Helle unter das Dunkle miſcht; welches ja auch nichts weiter iſt, als daß eins mit und durch das andre erſcheint. Ob ich ein durchſichtiges Blau uͤber Gelb laſire, oder ob ich

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 638. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/672>, abgerufen am 29.04.2024.