Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

in den schönen mittägigen Gegenden von Pa¬
lästina. Dieses Land war schon früher in
Besitz genommen und ziemlich bewohnt.
Berge, nicht allzu hoch aber steinig und un¬
fruchtbar, waren von vielen bewässerten, dem
Anbau günstigen Thälern durchschnitten.
Städte, Flecken, einzelne Ansiedelungen lagen
zerstreut auf der Fläche, auf Abhängen des
großen Thals, dessen Wasser sich im Jordan
sammlen. So bewohnt, so bebaut war das
Land, aber die Welt noch groß genug, und
die Menschen nicht auf den Grad sorgfältig,
bedürfnißvoll und thätig, um sich gleich aller
ihrer Umgebungen zu bemächtigen. Zwischen
jenen Besitzungen erstreckten sich große Räume,
in welchen weidende Züge sich bequem hin
und her bewegen konnten. In solchen Räu¬
men hält sich Abraham auf, sein Bruder Lot
ist bey ihm; aber sie können nicht lange an
solchen Orten verbleiben. Eben jene Verfas¬
sung des Landes, dessen Bevölkerung bald zu¬
bald abnimmt, und dessen Erzeugnisse sich

in den ſchoͤnen mittaͤgigen Gegenden von Pa¬
laͤſtina. Dieſes Land war ſchon fruͤher in
Beſitz genommen und ziemlich bewohnt.
Berge, nicht allzu hoch aber ſteinig und un¬
fruchtbar, waren von vielen bewaͤſſerten, dem
Anbau guͤnſtigen Thaͤlern durchſchnitten.
Staͤdte, Flecken, einzelne Anſiedelungen lagen
zerſtreut auf der Flaͤche, auf Abhaͤngen des
großen Thals, deſſen Waſſer ſich im Jordan
ſammlen. So bewohnt, ſo bebaut war das
Land, aber die Welt noch groß genug, und
die Menſchen nicht auf den Grad ſorgfaͤltig,
beduͤrfnißvoll und thaͤtig, um ſich gleich aller
ihrer Umgebungen zu bemaͤchtigen. Zwiſchen
jenen Beſitzungen erſtreckten ſich große Raͤume,
in welchen weidende Zuͤge ſich bequem hin
und her bewegen konnten. In ſolchen Raͤu¬
men haͤlt ſich Abraham auf, ſein Bruder Lot
iſt bey ihm; aber ſie koͤnnen nicht lange an
ſolchen Orten verbleiben. Eben jene Verfaſ¬
ſung des Landes, deſſen Bevoͤlkerung bald zu¬
bald abnimmt, und deſſen Erzeugniſſe ſich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0320" n="304"/>
in den &#x017F;cho&#x0364;nen mitta&#x0364;gigen Gegenden von Pa¬<lb/>
la&#x0364;&#x017F;tina. Die&#x017F;es Land war &#x017F;chon fru&#x0364;her in<lb/>
Be&#x017F;itz genommen und ziemlich bewohnt.<lb/>
Berge, nicht allzu hoch aber &#x017F;teinig und un¬<lb/>
fruchtbar, waren von vielen bewa&#x0364;&#x017F;&#x017F;erten, dem<lb/>
Anbau gu&#x0364;n&#x017F;tigen Tha&#x0364;lern durch&#x017F;chnitten.<lb/>
Sta&#x0364;dte, Flecken, einzelne An&#x017F;iedelungen lagen<lb/>
zer&#x017F;treut auf der Fla&#x0364;che, auf Abha&#x0364;ngen des<lb/>
großen Thals, de&#x017F;&#x017F;en Wa&#x017F;&#x017F;er &#x017F;ich im Jordan<lb/>
&#x017F;ammlen. So bewohnt, &#x017F;o bebaut war das<lb/>
Land, aber die Welt noch groß genug, und<lb/>
die Men&#x017F;chen nicht auf den Grad &#x017F;orgfa&#x0364;ltig,<lb/>
bedu&#x0364;rfnißvoll und tha&#x0364;tig, um &#x017F;ich gleich aller<lb/>
ihrer Umgebungen zu bema&#x0364;chtigen. Zwi&#x017F;chen<lb/>
jenen Be&#x017F;itzungen er&#x017F;treckten &#x017F;ich große Ra&#x0364;ume,<lb/>
in welchen weidende Zu&#x0364;ge &#x017F;ich bequem hin<lb/>
und her bewegen konnten. In &#x017F;olchen Ra&#x0364;<lb/>
men ha&#x0364;lt &#x017F;ich Abraham auf, &#x017F;ein Bruder Lot<lb/>
i&#x017F;t bey ihm; aber &#x017F;ie ko&#x0364;nnen nicht lange an<lb/>
&#x017F;olchen Orten verbleiben. Eben jene Verfa&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;ung des Landes, de&#x017F;&#x017F;en Bevo&#x0364;lkerung bald zu¬<lb/>
bald abnimmt, und de&#x017F;&#x017F;en Erzeugni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[304/0320] in den ſchoͤnen mittaͤgigen Gegenden von Pa¬ laͤſtina. Dieſes Land war ſchon fruͤher in Beſitz genommen und ziemlich bewohnt. Berge, nicht allzu hoch aber ſteinig und un¬ fruchtbar, waren von vielen bewaͤſſerten, dem Anbau guͤnſtigen Thaͤlern durchſchnitten. Staͤdte, Flecken, einzelne Anſiedelungen lagen zerſtreut auf der Flaͤche, auf Abhaͤngen des großen Thals, deſſen Waſſer ſich im Jordan ſammlen. So bewohnt, ſo bebaut war das Land, aber die Welt noch groß genug, und die Menſchen nicht auf den Grad ſorgfaͤltig, beduͤrfnißvoll und thaͤtig, um ſich gleich aller ihrer Umgebungen zu bemaͤchtigen. Zwiſchen jenen Beſitzungen erſtreckten ſich große Raͤume, in welchen weidende Zuͤge ſich bequem hin und her bewegen konnten. In ſolchen Raͤu¬ men haͤlt ſich Abraham auf, ſein Bruder Lot iſt bey ihm; aber ſie koͤnnen nicht lange an ſolchen Orten verbleiben. Eben jene Verfaſ¬ ſung des Landes, deſſen Bevoͤlkerung bald zu¬ bald abnimmt, und deſſen Erzeugniſſe ſich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/320
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/320>, abgerufen am 10.06.2024.