Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

befreyt hast? Mir träumte, fuhr er fort, ich
befände mich, entfernt von dir, in einer un¬
bekannten Gegend; aber dein Bild schwebte
mir vor; ich sah dich auf einem schönen Hü¬
gel, die Sonne beschien den ganzen Platz,
wie reizend kamst du mir vor! Aber es
währte nicht lange, so sah ich dein Bild hin¬
unter gleiten, immer hinunter gleiten, ich
streckte meine Arme nach dir aus, sie reich¬
ten nicht durch die Ferne. Immer sank dein
Bild und näherte sich einem großen See, der
am Fuße des Hügels weit ausgebreitet lag,
eher ein Sumpf als ein See. Auf einmal
gab dir ein Mann die Hand, er schien dich
hinaufführen zu wollen, aber leitete dich seit¬
wärts, und schien dich nach sich zu ziehen.
Ich rief, da ich dich nicht erreichen konnte,
ich hoffte dich zu warnen. Wollte ich gehen,
so schien der Boden mich fest zu halten;
konnt' ich gehen, so hinderte mich das Was¬

befreyt haſt? Mir träumte, fuhr er fort, ich
befände mich, entfernt von dir, in einer un¬
bekannten Gegend; aber dein Bild ſchwebte
mir vor; ich ſah dich auf einem ſchönen Hü¬
gel, die Sonne beſchien den ganzen Platz,
wie reizend kamſt du mir vor! Aber es
währte nicht lange, ſo ſah ich dein Bild hin¬
unter gleiten, immer hinunter gleiten, ich
ſtreckte meine Arme nach dir aus, ſie reich¬
ten nicht durch die Ferne. Immer ſank dein
Bild und näherte ſich einem großen See, der
am Fuße des Hügels weit ausgebreitet lag,
eher ein Sumpf als ein See. Auf einmal
gab dir ein Mann die Hand, er ſchien dich
hinaufführen zu wollen, aber leitete dich ſeit¬
wärts, und ſchien dich nach ſich zu ziehen.
Ich rief, da ich dich nicht erreichen konnte,
ich hoffte dich zu warnen. Wollte ich gehen,
ſo ſchien der Boden mich feſt zu halten;
konnt’ ich gehen, ſo hinderte mich das Waſ¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0109" n="101"/>
befreyt ha&#x017F;t? Mir träumte, fuhr er fort, ich<lb/>
befände mich, entfernt von dir, in einer un¬<lb/>
bekannten Gegend; aber dein Bild &#x017F;chwebte<lb/>
mir vor; ich &#x017F;ah dich auf einem &#x017F;chönen Hü¬<lb/>
gel, die Sonne be&#x017F;chien den ganzen Platz,<lb/>
wie reizend kam&#x017F;t du mir vor! Aber es<lb/>
währte nicht lange, &#x017F;o &#x017F;ah ich dein Bild hin¬<lb/>
unter gleiten, immer hinunter gleiten, ich<lb/>
&#x017F;treckte meine Arme nach dir aus, &#x017F;ie reich¬<lb/>
ten nicht durch die Ferne. Immer &#x017F;ank dein<lb/>
Bild und näherte &#x017F;ich einem großen See, der<lb/>
am Fuße des Hügels weit ausgebreitet lag,<lb/>
eher ein Sumpf als ein See. Auf einmal<lb/>
gab dir ein Mann die Hand, er &#x017F;chien dich<lb/>
hinaufführen zu wollen, aber leitete dich &#x017F;eit¬<lb/>
wärts, und &#x017F;chien dich nach &#x017F;ich zu ziehen.<lb/>
Ich rief, da ich dich nicht erreichen konnte,<lb/>
ich hoffte dich zu warnen. Wollte ich gehen,<lb/>
&#x017F;o &#x017F;chien der Boden mich fe&#x017F;t zu halten;<lb/>
konnt&#x2019; ich gehen, &#x017F;o hinderte mich das Wa&#x017F;¬<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[101/0109] befreyt haſt? Mir träumte, fuhr er fort, ich befände mich, entfernt von dir, in einer un¬ bekannten Gegend; aber dein Bild ſchwebte mir vor; ich ſah dich auf einem ſchönen Hü¬ gel, die Sonne beſchien den ganzen Platz, wie reizend kamſt du mir vor! Aber es währte nicht lange, ſo ſah ich dein Bild hin¬ unter gleiten, immer hinunter gleiten, ich ſtreckte meine Arme nach dir aus, ſie reich¬ ten nicht durch die Ferne. Immer ſank dein Bild und näherte ſich einem großen See, der am Fuße des Hügels weit ausgebreitet lag, eher ein Sumpf als ein See. Auf einmal gab dir ein Mann die Hand, er ſchien dich hinaufführen zu wollen, aber leitete dich ſeit¬ wärts, und ſchien dich nach ſich zu ziehen. Ich rief, da ich dich nicht erreichen konnte, ich hoffte dich zu warnen. Wollte ich gehen, ſo ſchien der Boden mich feſt zu halten; konnt’ ich gehen, ſo hinderte mich das Waſ¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/109
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/109>, abgerufen am 28.04.2024.