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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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schickter Mensch, ließ die Natur walten, und
so war der Patient bald auf dem Wege der
Besserung. Sehnlich wünschte dieser sich
wieder hergestellt zu sehen, um seine Plane,
seine Wünsche eifrig verfolgen zu können.

Unaufhörlich rief er sich jene Begebenheit
zurück, welche einen unauslöschlichen Ein¬
druck auf sein Gemüth gemacht hatte. Er
sah die schöne Amazone reitend aus den Bü¬
schen hervorkommen, sie näherte sich ihm,
stieg ab, ging hin und wieder, und bemühte
sich um seinetwillen. Er sah das umhüllende
Kleid von ihren Schultern fallen; ihr Ge¬
sicht, ihre Gestalt glänzend verschwinden.
Alle seine Jugendträume knüpften sich an
dieses Bild. Er glaubte nunmehr die edle
heldenmüthige Chlorinde mit eignen Augen
gesehen zu haben; ihm fiel der kranke Kö¬
nigssohn wieder ein, an dessen Lager die
schöne theilnehmende Prinzessin mit stiller
Bescheidenheit herantritt.

ſchickter Menſch, ließ die Natur walten, und
ſo war der Patient bald auf dem Wege der
Beſſerung. Sehnlich wünſchte dieſer ſich
wieder hergeſtellt zu ſehen, um ſeine Plane,
ſeine Wünſche eifrig verfolgen zu können.

Unaufhörlich rief er ſich jene Begebenheit
zurück, welche einen unauslöſchlichen Ein¬
druck auf ſein Gemüth gemacht hatte. Er
ſah die ſchöne Amazone reitend aus den Bü¬
ſchen hervorkommen, ſie näherte ſich ihm,
ſtieg ab, ging hin und wieder, und bemühte
ſich um ſeinetwillen. Er ſah das umhüllende
Kleid von ihren Schultern fallen; ihr Ge¬
ſicht, ihre Geſtalt glänzend verſchwinden.
Alle ſeine Jugendträume knüpften ſich an
dieſes Bild. Er glaubte nunmehr die edle
heldenmüthige Chlorinde mit eignen Augen
geſehen zu haben; ihm fiel der kranke Kö¬
nigsſohn wieder ein, an deſſen Lager die
ſchöne theilnehmende Prinzeſſin mit ſtiller
Beſcheidenheit herantritt.

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[250/0258] ſchickter Menſch, ließ die Natur walten, und ſo war der Patient bald auf dem Wege der Beſſerung. Sehnlich wünſchte dieſer ſich wieder hergeſtellt zu ſehen, um ſeine Plane, ſeine Wünſche eifrig verfolgen zu können. Unaufhörlich rief er ſich jene Begebenheit zurück, welche einen unauslöſchlichen Ein¬ druck auf ſein Gemüth gemacht hatte. Er ſah die ſchöne Amazone reitend aus den Bü¬ ſchen hervorkommen, ſie näherte ſich ihm, ſtieg ab, ging hin und wieder, und bemühte ſich um ſeinetwillen. Er ſah das umhüllende Kleid von ihren Schultern fallen; ihr Ge¬ ſicht, ihre Geſtalt glänzend verſchwinden. Alle ſeine Jugendträume knüpften ſich an dieſes Bild. Er glaubte nunmehr die edle heldenmüthige Chlorinde mit eignen Augen geſehen zu haben; ihm fiel der kranke Kö¬ nigsſohn wieder ein, an deſſen Lager die ſchöne theilnehmende Prinzeſſin mit ſtiller Beſcheidenheit herantritt.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/258>, abgerufen am 28.04.2024.