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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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Ich war nicht so eingenommen, daß ich
nicht bemerkt hätte, wie nur wenige den
Sinn der zarten Worte und Ausdrücke fühl¬
ten, und wie sie dadurch auch nicht mehr,
als ehemals durch die kirchlich symbolische
Sprache, gefördert waren. Demohngeachtet
ging ich mit ihnen fort, und ließ mich nicht
irre machen. Ich dachte, daß ich nicht zur
Untersuchung und Herzensprüfung berufen
sey. War ich doch auch durch manche un¬
schuldige Übung zum Besseren vorbereitet
worden. Ich nahm meinen Theil hinweg,
drang, wo ich zur Rede kam, auf den Sinn,
der bey so zarten Gegenständen eher durch
Worte versteckt als angedeutet wird, und
ließ übrigens mit stiller Verträglichkeit einen
jeden nach seiner Art gewähren.

Auf diese ruhigen Zeiten des heimlichen
gesellschaftlichen Genusses, folgten bald die
Stürme öffentlicher Streitigkeiten und Wi¬

Ich war nicht ſo eingenommen, daß ich
nicht bemerkt hätte, wie nur wenige den
Sinn der zarten Worte und Ausdrücke fühl¬
ten, und wie ſie dadurch auch nicht mehr,
als ehemals durch die kirchlich ſymboliſche
Sprache, gefördert waren. Demohngeachtet
ging ich mit ihnen fort, und ließ mich nicht
irre machen. Ich dachte, daß ich nicht zur
Unterſuchung und Herzensprüfung berufen
ſey. War ich doch auch durch manche un¬
ſchuldige Übung zum Beſſeren vorbereitet
worden. Ich nahm meinen Theil hinweg,
drang, wo ich zur Rede kam, auf den Sinn,
der bey ſo zarten Gegenſtänden eher durch
Worte verſteckt als angedeutet wird, und
ließ übrigens mit ſtiller Verträglichkeit einen
jeden nach ſeiner Art gewähren.

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geſellſchaftlichen Genuſſes, folgten bald die
Stürme öffentlicher Streitigkeiten und Wi¬

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[317/0323] Ich war nicht ſo eingenommen, daß ich nicht bemerkt hätte, wie nur wenige den Sinn der zarten Worte und Ausdrücke fühl¬ ten, und wie ſie dadurch auch nicht mehr, als ehemals durch die kirchlich ſymboliſche Sprache, gefördert waren. Demohngeachtet ging ich mit ihnen fort, und ließ mich nicht irre machen. Ich dachte, daß ich nicht zur Unterſuchung und Herzensprüfung berufen ſey. War ich doch auch durch manche un¬ ſchuldige Übung zum Beſſeren vorbereitet worden. Ich nahm meinen Theil hinweg, drang, wo ich zur Rede kam, auf den Sinn, der bey ſo zarten Gegenſtänden eher durch Worte verſteckt als angedeutet wird, und ließ übrigens mit ſtiller Verträglichkeit einen jeden nach ſeiner Art gewähren. Auf dieſe ruhigen Zeiten des heimlichen geſellſchaftlichen Genuſſes, folgten bald die Stürme öffentlicher Streitigkeiten und Wi¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/323>, abgerufen am 14.05.2024.