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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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che Achtung versagen. Ich kannte ihn ge¬
nau; ich konnte mich in seine Art, diese Sa¬
chen anzusehen, mit Billigkeit versetzen. Ich
hatte niemals einen Menschen ohne Schwä¬
che gesehen, nur ist sie auffallender bey vor¬
züglichen Menschen. Wir wünschen und
wollen nun ein für alle mal, daß die, die so
sehr privilegirt sind, auch gar keinen Tribut,
keine Abgaben zahlen sollen. Ich ehrte ihn
als einen vorzüglichen Mann, und hoffte
den Einfluß meiner stillen Neutralität, wo
nicht zu einem Frieden, doch zu einem Waf¬
fenstillstande zu nutzen. Ich weiß nicht, was
ich bewirkt hätte; Gott faßte die Sache
kürzer, und nahm ihn zu sich. Bey seiner
Bahre weinten alle, die noch kurz vorher
um Worte mit ihm gestritten hatten. Seine
Rechtschaffenheit, seine Gottesfurcht hatte
niemals jemand bezweifelt.

Auch ich mußte um diese Zeit das Pup¬

pen¬

che Achtung verſagen. Ich kannte ihn ge¬
nau; ich konnte mich in ſeine Art, dieſe Sa¬
chen anzuſehen, mit Billigkeit verſetzen. Ich
hatte niemals einen Menſchen ohne Schwä¬
che geſehen, nur iſt ſie auffallender bey vor¬
züglichen Menſchen. Wir wünſchen und
wollen nun ein für alle mal, daß die, die ſo
ſehr privilegirt ſind, auch gar keinen Tribut,
keine Abgaben zahlen ſollen. Ich ehrte ihn
als einen vorzüglichen Mann, und hoffte
den Einfluß meiner ſtillen Neutralität, wo
nicht zu einem Frieden, doch zu einem Waf¬
fenſtillſtande zu nutzen. Ich weiß nicht, was
ich bewirkt hätte; Gott faßte die Sache
kürzer, und nahm ihn zu ſich. Bey ſeiner
Bahre weinten alle, die noch kurz vorher
um Worte mit ihm geſtritten hatten. Seine
Rechtſchaffenheit, ſeine Gottesfurcht hatte
niemals jemand bezweifelt.

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[320/0326] che Achtung verſagen. Ich kannte ihn ge¬ nau; ich konnte mich in ſeine Art, dieſe Sa¬ chen anzuſehen, mit Billigkeit verſetzen. Ich hatte niemals einen Menſchen ohne Schwä¬ che geſehen, nur iſt ſie auffallender bey vor¬ züglichen Menſchen. Wir wünſchen und wollen nun ein für alle mal, daß die, die ſo ſehr privilegirt ſind, auch gar keinen Tribut, keine Abgaben zahlen ſollen. Ich ehrte ihn als einen vorzüglichen Mann, und hoffte den Einfluß meiner ſtillen Neutralität, wo nicht zu einem Frieden, doch zu einem Waf¬ fenſtillſtande zu nutzen. Ich weiß nicht, was ich bewirkt hätte; Gott faßte die Sache kürzer, und nahm ihn zu ſich. Bey ſeiner Bahre weinten alle, die noch kurz vorher um Worte mit ihm geſtritten hatten. Seine Rechtſchaffenheit, ſeine Gottesfurcht hatte niemals jemand bezweifelt. Auch ich mußte um dieſe Zeit das Pup¬ pen¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/326>, abgerufen am 28.04.2024.