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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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sich vom Äther. Es ist aber ein Mährchen,
fuhr sie fort, eine poetische Fiction. Gute
Nacht, laßt euch was schönes träumen wenn
ihr Glück habt.

Sie ging in ihr Zimmer und ließ ihn al¬
lein ; er eilte auf das seinige.

Halb unwillig ging er auf und nieder.
Der scherzende aber entschiedne Ton Aure¬
liens hatte ihn beleidigt; er fühlte tief wie
Unrecht sie ihm that. Philinen konnte er
nicht widrig, nicht unhold begegnen; sie hat¬
te nichts gegen ihn verbrochen, und dann
fühlte er sich so fern von jeder Neigung zu
ihr, daß er recht stolz und standhaft vor
sich selbst bestehen konnte.

Eben war er im Begriffe sich auszuzie¬
hen, nach seinem Lager zu gehen und die
Vorhänge aufzuschlagen, als er zu seiner
größten Verwunderung ein Paar Frauen¬
pantoffeln vor dem Bett erblickte; der eine

ſich vom Äther. Es iſt aber ein Mährchen,
fuhr ſie fort, eine poetiſche Fiction. Gute
Nacht, laßt euch was ſchönes träumen wenn
ihr Glück habt.

Sie ging in ihr Zimmer und ließ ihn al¬
lein ; er eilte auf das ſeinige.

Halb unwillig ging er auf und nieder.
Der ſcherzende aber entſchiedne Ton Aure¬
liens hatte ihn beleidigt; er fühlte tief wie
Unrecht ſie ihm that. Philinen konnte er
nicht widrig, nicht unhold begegnen; ſie hat¬
te nichts gegen ihn verbrochen, und dann
fühlte er ſich ſo fern von jeder Neigung zu
ihr, daß er recht ſtolz und ſtandhaft vor
ſich ſelbſt beſtehen konnte.

Eben war er im Begriffe ſich auszuzie¬
hen, nach ſeinem Lager zu gehen und die
Vorhänge aufzuſchlagen, als er zu ſeiner
größten Verwunderung ein Paar Frauen¬
pantoffeln vor dem Bett erblickte; der eine

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[104/0110] ſich vom Äther. Es iſt aber ein Mährchen, fuhr ſie fort, eine poetiſche Fiction. Gute Nacht, laßt euch was ſchönes träumen wenn ihr Glück habt. Sie ging in ihr Zimmer und ließ ihn al¬ lein ; er eilte auf das ſeinige. Halb unwillig ging er auf und nieder. Der ſcherzende aber entſchiedne Ton Aure¬ liens hatte ihn beleidigt; er fühlte tief wie Unrecht ſie ihm that. Philinen konnte er nicht widrig, nicht unhold begegnen; ſie hat¬ te nichts gegen ihn verbrochen, und dann fühlte er ſich ſo fern von jeder Neigung zu ihr, daß er recht ſtolz und ſtandhaft vor ſich ſelbſt beſtehen konnte. Eben war er im Begriffe ſich auszuzie¬ hen, nach ſeinem Lager zu gehen und die Vorhänge aufzuſchlagen, als er zu ſeiner größten Verwunderung ein Paar Frauen¬ pantoffeln vor dem Bett erblickte; der eine

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/110>, abgerufen am 07.05.2024.