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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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tiefliegende Augen neben einer wohlgebilde¬
ten Nase erblicken. Furchtsam ausspähend
stand er vor ihm; allein als die ersten Töne
aus dem Helme hervordrangen, als eine wohl¬
klingende, nur ein wenig rauhe Stimme sich
in den Worten hören ließ: ich bin der Geist
deines Vaters, trat Wilhelm einige Schritte
schaudernd zurück, und das ganze Publikum
schauderte. Die Stimme schien jedermann
bekannt, und Wilhelm glaubte eine Ähnlich¬
keit mit der Stimme seines Vaters zu be¬
merken. Diese wunderbaren Empfindungen
und Erinnerungen, die Neugierde den selt¬
samen Freund zu entdecken und die Sorge
ihn zu beleidigen, selbst die Unschicklichkeit
ihm als Schauspieler in dieser Situation zu
nahe zu treten, bewegten Wilhelmen nach
entgegengesetzten Seiten. Er veränderte
während der langen Erzählung des Geistes
seine Stellung so oft, schien so unbestimmt

W. Meisters Lehrj. 3. H

tiefliegende Augen neben einer wohlgebilde¬
ten Naſe erblicken. Furchtſam ausſpähend
ſtand er vor ihm; allein als die erſten Töne
aus dem Helme hervordrangen, als eine wohl¬
klingende, nur ein wenig rauhe Stimme ſich
in den Worten hören ließ: ich bin der Geiſt
deines Vaters, trat Wilhelm einige Schritte
ſchaudernd zurück, und das ganze Publikum
ſchauderte. Die Stimme ſchien jedermann
bekannt, und Wilhelm glaubte eine Ähnlich¬
keit mit der Stimme ſeines Vaters zu be¬
merken. Dieſe wunderbaren Empfindungen
und Erinnerungen, die Neugierde den ſelt¬
ſamen Freund zu entdecken und die Sorge
ihn zu beleidigen, ſelbſt die Unſchicklichkeit
ihm als Schauſpieler in dieſer Situation zu
nahe zu treten, bewegten Wilhelmen nach
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während der langen Erzählung des Geiſtes
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W. Meiſters Lehrj. 3. H
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[113/0119] tiefliegende Augen neben einer wohlgebilde¬ ten Naſe erblicken. Furchtſam ausſpähend ſtand er vor ihm; allein als die erſten Töne aus dem Helme hervordrangen, als eine wohl¬ klingende, nur ein wenig rauhe Stimme ſich in den Worten hören ließ: ich bin der Geiſt deines Vaters, trat Wilhelm einige Schritte ſchaudernd zurück, und das ganze Publikum ſchauderte. Die Stimme ſchien jedermann bekannt, und Wilhelm glaubte eine Ähnlich¬ keit mit der Stimme ſeines Vaters zu be¬ merken. Dieſe wunderbaren Empfindungen und Erinnerungen, die Neugierde den ſelt¬ ſamen Freund zu entdecken und die Sorge ihn zu beleidigen, ſelbſt die Unſchicklichkeit ihm als Schauſpieler in dieſer Situation zu nahe zu treten, bewegten Wilhelmen nach entgegengeſetzten Seiten. Er veränderte während der langen Erzählung des Geiſtes ſeine Stellung ſo oft, ſchien ſo unbeſtimmt W. Meiſters Lehrj. 3. H

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/119>, abgerufen am 30.04.2024.