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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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Kinder auf der Harfe, er hilft im Garten
arbeiten und ist schon viel heiterer. Er
wünscht von dem Kohle zu genießen, den er
pflanzt, und wünscht meinen Sohn, dem er
die Harfe auf den Todesfall geschenkt hat,
recht emsig zu unterrichten, damit sie der
Knabe ja auch brauchen könne. Als Geist¬
licher suche ich ihm über seine wunderbaren
Scrupel nur wenig zu sagen, aber ein thä¬
tiges Leben führt so viele Ereignisse herbey,
daß er bald fühlen muß: daß jede Art von
Zweifel nur durch Wirksamkeit gehoben wer¬
den kann. Ich gehe sachte zu Werke, wenn
ich ihm aber noch seinen Bart und seine
Kutte wegnehmen kann, so habe ich viel ge¬
wonnen, denn es bringt uns nichts näher dem
Wahnsinn, als wenn wir uns vor andern aus¬
zeichnen, und nichts erhält so sehr den gemei¬
nen Verstand, als im allgemeinen Sinne mit
vielen Menschen zu leben, Wie vieles ist lei¬

Kinder auf der Harfe, er hilft im Garten
arbeiten und iſt ſchon viel heiterer. Er
wünſcht von dem Kohle zu genießen, den er
pflanzt, und wünſcht meinen Sohn, dem er
die Harfe auf den Todesfall geſchenkt hat,
recht emſig zu unterrichten, damit ſie der
Knabe ja auch brauchen könne. Als Geiſt¬
licher ſuche ich ihm über ſeine wunderbaren
Scrupel nur wenig zu ſagen, aber ein thä¬
tiges Leben führt ſo viele Ereigniſſe herbey,
daß er bald fühlen muß: daß jede Art von
Zweifel nur durch Wirkſamkeit gehoben wer¬
den kann. Ich gehe ſachte zu Werke, wenn
ich ihm aber noch ſeinen Bart und ſeine
Kutte wegnehmen kann, ſo habe ich viel ge¬
wonnen, denn es bringt uns nichts näher dem
Wahnſinn, als wenn wir uns vor andern aus¬
zeichnen, und nichts erhält ſo ſehr den gemei¬
nen Verſtand, als im allgemeinen Sinne mit
vielen Menſchen zu leben, Wie vieles iſt lei¬

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[178/0184] Kinder auf der Harfe, er hilft im Garten arbeiten und iſt ſchon viel heiterer. Er wünſcht von dem Kohle zu genießen, den er pflanzt, und wünſcht meinen Sohn, dem er die Harfe auf den Todesfall geſchenkt hat, recht emſig zu unterrichten, damit ſie der Knabe ja auch brauchen könne. Als Geiſt¬ licher ſuche ich ihm über ſeine wunderbaren Scrupel nur wenig zu ſagen, aber ein thä¬ tiges Leben führt ſo viele Ereigniſſe herbey, daß er bald fühlen muß: daß jede Art von Zweifel nur durch Wirkſamkeit gehoben wer¬ den kann. Ich gehe ſachte zu Werke, wenn ich ihm aber noch ſeinen Bart und ſeine Kutte wegnehmen kann, ſo habe ich viel ge¬ wonnen, denn es bringt uns nichts näher dem Wahnſinn, als wenn wir uns vor andern aus¬ zeichnen, und nichts erhält ſo ſehr den gemei¬ nen Verſtand, als im allgemeinen Sinne mit vielen Menſchen zu leben, Wie vieles iſt lei¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/184>, abgerufen am 29.04.2024.