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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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Mädchen in Bräutigame verwandeln, so
wäre es eine große Wohlthat für unser Ge¬
schlecht, selbst wenn auf dieses Verhältniß
keine Ehe erfolgen sollte. Die Liebe zwischen
beyden Personen nimmt dadurch nicht ab,
aber sie wird vernünftiger. Unzählige kleine
Thorheiten, alle Koketterien und Launen fal¬
len gleich hinweg. Äußert uns der Bräuti¬
gam, daß wir ihm in einer Morgenhaube
besser als in dem schönsten Aufsatze gefallen,
dann wird einem wohldenkenden Mädchen
gewiß die Frisur gleichgültig, und es ist
nichts natürlicher, als daß er auch solid denkt
und lieber sich eine Hausfrau als der Welt
eine Putzdocke zu bilden wünscht. Und so
geht es durch alle Fächer durch.

Hat ein solches Mädchen dabey das
Glück, daß ihr Bräutigam Verstand und
Kenntnisse besitzt, so lernt sie mehr als hohe
Schulen und fremde Länder geben können.

Mädchen in Bräutigame verwandeln, ſo
wäre es eine große Wohlthat für unſer Ge¬
ſchlecht, ſelbſt wenn auf dieſes Verhältniß
keine Ehe erfolgen ſollte. Die Liebe zwiſchen
beyden Perſonen nimmt dadurch nicht ab,
aber ſie wird vernünftiger. Unzählige kleine
Thorheiten, alle Koketterien und Launen fal¬
len gleich hinweg. Äußert uns der Bräuti¬
gam, daß wir ihm in einer Morgenhaube
beſſer als in dem ſchönſten Aufſatze gefallen,
dann wird einem wohldenkenden Mädchen
gewiß die Friſur gleichgültig, und es iſt
nichts natürlicher, als daß er auch ſolid denkt
und lieber ſich eine Hausfrau als der Welt
eine Putzdocke zu bilden wünſcht. Und ſo
geht es durch alle Fächer durch.

Hat ein ſolches Mädchen dabey das
Glück, daß ihr Bräutigam Verſtand und
Kenntniſſe beſitzt, ſo lernt ſie mehr als hohe
Schulen und fremde Länder geben können.

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[244/0250] Mädchen in Bräutigame verwandeln, ſo wäre es eine große Wohlthat für unſer Ge¬ ſchlecht, ſelbſt wenn auf dieſes Verhältniß keine Ehe erfolgen ſollte. Die Liebe zwiſchen beyden Perſonen nimmt dadurch nicht ab, aber ſie wird vernünftiger. Unzählige kleine Thorheiten, alle Koketterien und Launen fal¬ len gleich hinweg. Äußert uns der Bräuti¬ gam, daß wir ihm in einer Morgenhaube beſſer als in dem ſchönſten Aufſatze gefallen, dann wird einem wohldenkenden Mädchen gewiß die Friſur gleichgültig, und es iſt nichts natürlicher, als daß er auch ſolid denkt und lieber ſich eine Hausfrau als der Welt eine Putzdocke zu bilden wünſcht. Und ſo geht es durch alle Fächer durch. Hat ein ſolches Mädchen dabey das Glück, daß ihr Bräutigam Verſtand und Kenntniſſe beſitzt, ſo lernt ſie mehr als hohe Schulen und fremde Länder geben können.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/250>, abgerufen am 26.04.2024.