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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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verlangte von mir einen schriftlichen Aufsatz.
Ich schrieb ziemlich geläufig französisch; ich
hatte bey meinem Alten einen guten Grund
gelegt. Die Correspondenz mit meinem
Freunde war in dieser Sprache geführt, und
eine feinere Bildung konnte man überhaupt
damals nur aus französischen Büchern neh¬
men. Mein Aufsatz hatte dem Grafen ge¬
fallen; ich mußte einige kleine Lieder herge¬
ben, die ich vor kurzen gedichtet hatte. Ge¬
nug, Narciß schien sich auf seine Geliebte
ohne Rückhalt etwas zu gute zu thun, und
die Geschichte endigte zu seiner großen Zu¬
friedenheit mit einer geistreichen Epistel in
französischen Versen, die ihm der Graf bey
seiner Abreise zusandte, worin ihres freund¬
schaftlichen Streites gedacht war, und mein
Freund am Ende glücklich gepriesen wurde,
daß er nach so manchen Zweifeln und Irr¬
thümern in den Armen einer reizenden und

verlangte von mir einen ſchriftlichen Aufſatz.
Ich ſchrieb ziemlich geläufig franzöſiſch; ich
hatte bey meinem Alten einen guten Grund
gelegt. Die Correſpondenz mit meinem
Freunde war in dieſer Sprache geführt, und
eine feinere Bildung konnte man überhaupt
damals nur aus franzöſiſchen Büchern neh¬
men. Mein Aufſatz hatte dem Grafen ge¬
fallen; ich mußte einige kleine Lieder herge¬
ben, die ich vor kurzen gedichtet hatte. Ge¬
nug, Narciß ſchien ſich auf ſeine Geliebte
ohne Rückhalt etwas zu gute zu thun, und
die Geſchichte endigte zu ſeiner großen Zu¬
friedenheit mit einer geiſtreichen Epiſtel in
franzöſiſchen Verſen, die ihm der Graf bey
ſeiner Abreiſe zuſandte, worin ihres freund¬
ſchaftlichen Streites gedacht war, und mein
Freund am Ende glücklich geprieſen wurde,
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[252/0258] verlangte von mir einen ſchriftlichen Aufſatz. Ich ſchrieb ziemlich geläufig franzöſiſch; ich hatte bey meinem Alten einen guten Grund gelegt. Die Correſpondenz mit meinem Freunde war in dieſer Sprache geführt, und eine feinere Bildung konnte man überhaupt damals nur aus franzöſiſchen Büchern neh¬ men. Mein Aufſatz hatte dem Grafen ge¬ fallen; ich mußte einige kleine Lieder herge¬ ben, die ich vor kurzen gedichtet hatte. Ge¬ nug, Narciß ſchien ſich auf ſeine Geliebte ohne Rückhalt etwas zu gute zu thun, und die Geſchichte endigte zu ſeiner großen Zu¬ friedenheit mit einer geiſtreichen Epiſtel in franzöſiſchen Verſen, die ihm der Graf bey ſeiner Abreiſe zuſandte, worin ihres freund¬ ſchaftlichen Streites gedacht war, und mein Freund am Ende glücklich geprieſen wurde, daß er nach ſo manchen Zweifeln und Irr¬ thümern in den Armen einer reizenden und

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/258>, abgerufen am 03.05.2024.