Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

That. Grandison, Clarisse, Pamela, der
Landpriester von Wakefield, Tom Jones
selbst sind, wo nicht leidende, doch retardi¬
rende Personen, und alle Begebenheiten wer¬
den gewissermaßen nach ihren Gesinnungen
gemodelt. Im Drama modelt der Held
nichts nach sich, alles widersteht ihm, und
er räumt und rückt die Hindernisse aus dem
Wege, oder unterliegt ihnen.

So vereinigte man sich auch darüber,
daß man dem Zufall im Roman gar wohl
sein Spiel erlauben könne; daß er aber im¬
mer durch die Gesinnungen der Personen
gelenkt und geleitet werden müsse; daß hin¬
gegen das Schicksal, das die Menschen, ohne
ihr Zuthun, durch unzusammenhängende äu¬
ßere Umstände zu einer unvorgesehenen Ca¬
tastrophe hindrängt, nur im Drama statt
habe; daß der Zufall wohl pathetische, nie¬
mals aber tragische, Situationen hervorbrin¬

That. Grandiſon, Clariſſe, Pamela, der
Landprieſter von Wakefield, Tom Jones
ſelbſt ſind, wo nicht leidende, doch retardi¬
rende Perſonen, und alle Begebenheiten wer¬
den gewiſſermaßen nach ihren Geſinnungen
gemodelt. Im Drama modelt der Held
nichts nach ſich, alles widerſteht ihm, und
er räumt und rückt die Hinderniſſe aus dem
Wege, oder unterliegt ihnen.

So vereinigte man ſich auch darüber,
daß man dem Zufall im Roman gar wohl
ſein Spiel erlauben könne; daß er aber im¬
mer durch die Geſinnungen der Perſonen
gelenkt und geleitet werden müſſe; daß hin¬
gegen das Schickſal, das die Menſchen, ohne
ihr Zuthun, durch unzuſammenhängende äu¬
ßere Umſtände zu einer unvorgeſehenen Ca¬
taſtrophe hindrängt, nur im Drama ſtatt
habe; daß der Zufall wohl pathetiſche, nie¬
mals aber tragiſche, Situationen hervorbrin¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0082" n="76"/>
That. Grandi&#x017F;on, Clari&#x017F;&#x017F;e, Pamela, der<lb/>
Landprie&#x017F;ter von Wakefield, Tom Jones<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ind, wo nicht leidende, doch retardi¬<lb/>
rende Per&#x017F;onen, und alle Begebenheiten wer¬<lb/>
den gewi&#x017F;&#x017F;ermaßen nach ihren Ge&#x017F;innungen<lb/>
gemodelt. Im Drama modelt der Held<lb/>
nichts nach &#x017F;ich, alles wider&#x017F;teht ihm, und<lb/>
er räumt und rückt die Hinderni&#x017F;&#x017F;e aus dem<lb/>
Wege, oder unterliegt ihnen.</p><lb/>
            <p>So vereinigte man &#x017F;ich auch darüber,<lb/>
daß man dem Zufall im Roman gar wohl<lb/>
&#x017F;ein Spiel erlauben könne; daß er aber im¬<lb/>
mer durch die Ge&#x017F;innungen der Per&#x017F;onen<lb/>
gelenkt und geleitet werden mü&#x017F;&#x017F;e; daß hin¬<lb/>
gegen das Schick&#x017F;al, das die Men&#x017F;chen, ohne<lb/>
ihr Zuthun, durch unzu&#x017F;ammenhängende äu¬<lb/>
ßere Um&#x017F;tände zu einer unvorge&#x017F;ehenen Ca¬<lb/>
ta&#x017F;trophe hindrängt, nur im Drama &#x017F;tatt<lb/>
habe; daß der Zufall wohl patheti&#x017F;che, nie¬<lb/>
mals aber tragi&#x017F;che, Situationen hervorbrin¬<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[76/0082] That. Grandiſon, Clariſſe, Pamela, der Landprieſter von Wakefield, Tom Jones ſelbſt ſind, wo nicht leidende, doch retardi¬ rende Perſonen, und alle Begebenheiten wer¬ den gewiſſermaßen nach ihren Geſinnungen gemodelt. Im Drama modelt der Held nichts nach ſich, alles widerſteht ihm, und er räumt und rückt die Hinderniſſe aus dem Wege, oder unterliegt ihnen. So vereinigte man ſich auch darüber, daß man dem Zufall im Roman gar wohl ſein Spiel erlauben könne; daß er aber im¬ mer durch die Geſinnungen der Perſonen gelenkt und geleitet werden müſſe; daß hin¬ gegen das Schickſal, das die Menſchen, ohne ihr Zuthun, durch unzuſammenhängende äu¬ ßere Umſtände zu einer unvorgeſehenen Ca¬ taſtrophe hindrängt, nur im Drama ſtatt habe; daß der Zufall wohl pathetiſche, nie¬ mals aber tragiſche, Situationen hervorbrin¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/82
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/82>, abgerufen am 26.04.2024.