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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809.

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Namen und Jahrzahlen nicht gleich bey der
Hand; bey der Geographie vermißte man
Aufmerksamkeit auf die politische Eintheilung.
Zum musicalischen Vortrag ihrer wenigen be¬
scheidenen Melodieen fand sich weder Zeit noch
Ruhe. Im Zeichnen hätte sie gewiß den
Preis davon getragen: ihre Umrisse waren
rein und die Ausführung bey vieler Sorgfalt
geistreich. Leider hatte sie etwas zu Großes
unternommen und war nicht fertig geworden.

Als die Schülerinnen abgetreten waren,
die Prüfenden zusammen Rath hielten und
uns Lehrern wenigstens einiges Wort dabey
gönnten, merkte ich wohl bald, daß von Ot¬
tilien gar nicht, und wenn es geschah, wo
nicht mit Misbilligung doch mit Gleichgültig¬
keit gesprochen wurde. Ich hoffte durch eine
offne Darstellung ihrer Art zu seyn, einige
Gunst zu erregen, und wagte mich daran
mit doppeltem Eifer, einmal weil ich nach
meiner Ueberzeugung sprechen konnte, und

Namen und Jahrzahlen nicht gleich bey der
Hand; bey der Geographie vermißte man
Aufmerkſamkeit auf die politiſche Eintheilung.
Zum muſicaliſchen Vortrag ihrer wenigen be¬
ſcheidenen Melodieen fand ſich weder Zeit noch
Ruhe. Im Zeichnen haͤtte ſie gewiß den
Preis davon getragen: ihre Umriſſe waren
rein und die Ausfuͤhrung bey vieler Sorgfalt
geiſtreich. Leider hatte ſie etwas zu Großes
unternommen und war nicht fertig geworden.

Als die Schuͤlerinnen abgetreten waren,
die Pruͤfenden zuſammen Rath hielten und
uns Lehrern wenigſtens einiges Wort dabey
goͤnnten, merkte ich wohl bald, daß von Ot¬
tilien gar nicht, und wenn es geſchah, wo
nicht mit Misbilligung doch mit Gleichguͤltig¬
keit geſprochen wurde. Ich hoffte durch eine
offne Darſtellung ihrer Art zu ſeyn, einige
Gunſt zu erregen, und wagte mich daran
mit doppeltem Eifer, einmal weil ich nach
meiner Ueberzeugung ſprechen konnte, und

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[96/0101] Namen und Jahrzahlen nicht gleich bey der Hand; bey der Geographie vermißte man Aufmerkſamkeit auf die politiſche Eintheilung. Zum muſicaliſchen Vortrag ihrer wenigen be¬ ſcheidenen Melodieen fand ſich weder Zeit noch Ruhe. Im Zeichnen haͤtte ſie gewiß den Preis davon getragen: ihre Umriſſe waren rein und die Ausfuͤhrung bey vieler Sorgfalt geiſtreich. Leider hatte ſie etwas zu Großes unternommen und war nicht fertig geworden. Als die Schuͤlerinnen abgetreten waren, die Pruͤfenden zuſammen Rath hielten und uns Lehrern wenigſtens einiges Wort dabey goͤnnten, merkte ich wohl bald, daß von Ot¬ tilien gar nicht, und wenn es geſchah, wo nicht mit Misbilligung doch mit Gleichguͤltig¬ keit geſprochen wurde. Ich hoffte durch eine offne Darſtellung ihrer Art zu ſeyn, einige Gunſt zu erregen, und wagte mich daran mit doppeltem Eifer, einmal weil ich nach meiner Ueberzeugung ſprechen konnte, und

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/101>, abgerufen am 02.05.2024.