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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809.

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Sonne mit herrlichem Blick heraufstieg und
die frühsten Nebel gewältigte.

Nun fand er sich den ersten Wachenden
in seinen Besitzungen. Die Arbeiter schienen
ihm zu lange auszubleiben. Sie kamen; es
schienen ihm ihrer zu wenig, und die vorge¬
setzte Tagesarbeit für seine Wünsche zu gering.
Er fragte nach mehreren Arbeitern: man ver¬
sprach sie und stellte sie im Laufe des Tages.
Aber auch diese sind ihm nicht genug, um
seine Vorsätze schleunig ausgeführt zu sehen.
Das Schaffen macht ihm keine Freude mehr:
es soll schon alles fertig seyn, und für wen?
Die Wege sollen gebahnt seyn, damit Otti¬
lie bequem sie gehen, die Sitze schon an
Ort und Stelle, damit Ottilie dort ruhen
könne. Auch an dem neuen Hause treibt er
was er kann: es soll an Ottiliens Geburts¬
tage gerichtet werden. In Eduards Gesin¬
nungen, wie in seinen Handlungen ist kein
Maaß mehr. Das Bewußtseyn zu lieben

Sonne mit herrlichem Blick heraufſtieg und
die fruͤhſten Nebel gewaͤltigte.

Nun fand er ſich den erſten Wachenden
in ſeinen Beſitzungen. Die Arbeiter ſchienen
ihm zu lange auszubleiben. Sie kamen; es
ſchienen ihm ihrer zu wenig, und die vorge¬
ſetzte Tagesarbeit fuͤr ſeine Wuͤnſche zu gering.
Er fragte nach mehreren Arbeitern: man ver¬
ſprach ſie und ſtellte ſie im Laufe des Tages.
Aber auch dieſe ſind ihm nicht genug, um
ſeine Vorſaͤtze ſchleunig ausgefuͤhrt zu ſehen.
Das Schaffen macht ihm keine Freude mehr:
es ſoll ſchon alles fertig ſeyn, und fuͤr wen?
Die Wege ſollen gebahnt ſeyn, damit Otti¬
lie bequem ſie gehen, die Sitze ſchon an
Ort und Stelle, damit Ottilie dort ruhen
koͤnne. Auch an dem neuen Hauſe treibt er
was er kann: es ſoll an Ottiliens Geburts¬
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nungen, wie in ſeinen Handlungen iſt kein
Maaß mehr. Das Bewußtſeyn zu lieben

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[224/0229] Sonne mit herrlichem Blick heraufſtieg und die fruͤhſten Nebel gewaͤltigte. Nun fand er ſich den erſten Wachenden in ſeinen Beſitzungen. Die Arbeiter ſchienen ihm zu lange auszubleiben. Sie kamen; es ſchienen ihm ihrer zu wenig, und die vorge¬ ſetzte Tagesarbeit fuͤr ſeine Wuͤnſche zu gering. Er fragte nach mehreren Arbeitern: man ver¬ ſprach ſie und ſtellte ſie im Laufe des Tages. Aber auch dieſe ſind ihm nicht genug, um ſeine Vorſaͤtze ſchleunig ausgefuͤhrt zu ſehen. Das Schaffen macht ihm keine Freude mehr: es ſoll ſchon alles fertig ſeyn, und fuͤr wen? Die Wege ſollen gebahnt ſeyn, damit Otti¬ lie bequem ſie gehen, die Sitze ſchon an Ort und Stelle, damit Ottilie dort ruhen koͤnne. Auch an dem neuen Hauſe treibt er was er kann: es ſoll an Ottiliens Geburts¬ tage gerichtet werden. In Eduards Geſin¬ nungen, wie in ſeinen Handlungen iſt kein Maaß mehr. Das Bewußtſeyn zu lieben

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/229>, abgerufen am 27.04.2024.