meiner Aufmerksamkeit. Ich störe dich nicht weiter, rief sie: du siehst mich nicht wieder! Sie sprach's und eilte nach dem Vordertheil des Schiffs, von da sie ins Wasser sprang. Einige Stimmen riefen: rettet! rettet! sie er¬ trinkt. Er war in der entsetzlichsten Verle¬ genheit. Ueber dem Lerm erwacht der alte Schiffsmeister, will das Ruder ergreifen, der jüngere es ihm übergeben; aber es ist keine Zeit die Herrschaft zu wechseln: das Schiff strandet, und in eben dem Augenblick, die lästigsten Kleidungsstücke wegwerfend, stürzte er sich ins Wasser, und schwamm der schönen Feindinn nach.
Das Wasser ist ein freundliches Element für den der damit bekannt ist und es zu be¬ handeln weiß. Es trug ihn, und der ge¬ schickte Schwimmer beherrschte es. Bald hatte er die vor ihm fortgerissene Schöne er¬ reicht; er faßte sie, wußte sie zu heben und zu tragen; beyde wurden vom Strom gewalt¬
meiner Aufmerkſamkeit. Ich ſtoͤre dich nicht weiter, rief ſie: du ſiehſt mich nicht wieder! Sie ſprach's und eilte nach dem Vordertheil des Schiffs, von da ſie ins Waſſer ſprang. Einige Stimmen riefen: rettet! rettet! ſie er¬ trinkt. Er war in der entſetzlichſten Verle¬ genheit. Ueber dem Lerm erwacht der alte Schiffsmeiſter, will das Ruder ergreifen, der juͤngere es ihm uͤbergeben; aber es iſt keine Zeit die Herrſchaft zu wechſeln: das Schiff ſtrandet, und in eben dem Augenblick, die laͤſtigſten Kleidungsſtuͤcke wegwerfend, ſtuͤrzte er ſich ins Waſſer, und ſchwamm der ſchoͤnen Feindinn nach.
Das Waſſer iſt ein freundliches Element fuͤr den der damit bekannt iſt und es zu be¬ handeln weiß. Es trug ihn, und der ge¬ ſchickte Schwimmer beherrſchte es. Bald hatte er die vor ihm fortgeriſſene Schoͤne er¬ reicht; er faßte ſie, wußte ſie zu heben und zu tragen; beyde wurden vom Strom gewalt¬
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meiner Aufmerkſamkeit. Ich ſtoͤre dich nicht
weiter, rief ſie: du ſiehſt mich nicht wieder!
Sie ſprach's und eilte nach dem Vordertheil
des Schiffs, von da ſie ins Waſſer ſprang.
Einige Stimmen riefen: rettet! rettet! ſie er¬
trinkt. Er war in der entſetzlichſten Verle¬
genheit. Ueber dem Lerm erwacht der alte
Schiffsmeiſter, will das Ruder ergreifen, der
juͤngere es ihm uͤbergeben; aber es iſt keine
Zeit die Herrſchaft zu wechſeln: das Schiff
ſtrandet, und in eben dem Augenblick, die
laͤſtigſten Kleidungsſtuͤcke wegwerfend, ſtuͤrzte
er ſich ins Waſſer, und ſchwamm der ſchoͤnen
Feindinn nach.
Das Waſſer iſt ein freundliches Element
fuͤr den der damit bekannt iſt und es zu be¬
handeln weiß. Es trug ihn, und der ge¬
ſchickte Schwimmer beherrſchte es. Bald
hatte er die vor ihm fortgeriſſene Schoͤne er¬
reicht; er faßte ſie, wußte ſie zu heben und
zu tragen; beyde wurden vom Strom gewalt¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/213>, abgerufen am 15.05.2024.
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