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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 1. Leipzig, 1774.

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Albert, du warst im Zimmer! Sie hörte je-
mand gehn, und fragte, und forderte dich zu ihr.
Und wie sie dich ansah und mich, mit dem getrö-
steten ruhigen Blikke, daß wir glüklich seyn, zu-
sammen glüklich seyn würden. Albert fiel ihr um
den Hals und küßte sie, und rief: wir sinds!
wir werdens seyn. Der ruhige Albert war ganz
aus seiner Fassung, und ich wußte nichts von mir
selber.

Werther, fieng sie an, und diese Frau sollte
dahin seyn! Gott, wenn ich manchmal so denke,
wie man das Liebste seines Lebens so wegtragen
läßt, und niemand als die Kinder das so scharf
fühlt, die sich noch lange beklagten: die schwarzen
Männer hätten die Mamma weggetragen.

Sie stund auf, und ich ward erwekt und er-
schüttert, blieb sizzen und hielt ihre Hand. Wir
wollen fort, sagte sie, es wird Zeit. Sie wollte
ihre Hand zurük ziehen und ich hielt sie fester!
Wir werden uns wiedersehn, rief ich, wir werden
uns finden, unter allen Gestalten werden wir uns

erken-


Albert, du warſt im Zimmer! Sie hoͤrte je-
mand gehn, und fragte, und forderte dich zu ihr.
Und wie ſie dich anſah und mich, mit dem getroͤ-
ſteten ruhigen Blikke, daß wir gluͤklich ſeyn, zu-
ſammen gluͤklich ſeyn wuͤrden. Albert fiel ihr um
den Hals und kuͤßte ſie, und rief: wir ſinds!
wir werdens ſeyn. Der ruhige Albert war ganz
aus ſeiner Faſſung, und ich wußte nichts von mir
ſelber.

Werther, fieng ſie an, und dieſe Frau ſollte
dahin ſeyn! Gott, wenn ich manchmal ſo denke,
wie man das Liebſte ſeines Lebens ſo wegtragen
laͤßt, und niemand als die Kinder das ſo ſcharf
fuͤhlt, die ſich noch lange beklagten: die ſchwarzen
Maͤnner haͤtten die Mamma weggetragen.

Sie ſtund auf, und ich ward erwekt und er-
ſchuͤttert, blieb ſizzen und hielt ihre Hand. Wir
wollen fort, ſagte ſie, es wird Zeit. Sie wollte
ihre Hand zuruͤk ziehen und ich hielt ſie feſter!
Wir werden uns wiederſehn, rief ich, wir werden
uns finden, unter allen Geſtalten werden wir uns

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[110/0110] Albert, du warſt im Zimmer! Sie hoͤrte je- mand gehn, und fragte, und forderte dich zu ihr. Und wie ſie dich anſah und mich, mit dem getroͤ- ſteten ruhigen Blikke, daß wir gluͤklich ſeyn, zu- ſammen gluͤklich ſeyn wuͤrden. Albert fiel ihr um den Hals und kuͤßte ſie, und rief: wir ſinds! wir werdens ſeyn. Der ruhige Albert war ganz aus ſeiner Faſſung, und ich wußte nichts von mir ſelber. Werther, fieng ſie an, und dieſe Frau ſollte dahin ſeyn! Gott, wenn ich manchmal ſo denke, wie man das Liebſte ſeines Lebens ſo wegtragen laͤßt, und niemand als die Kinder das ſo ſcharf fuͤhlt, die ſich noch lange beklagten: die ſchwarzen Maͤnner haͤtten die Mamma weggetragen. Sie ſtund auf, und ich ward erwekt und er- ſchuͤttert, blieb ſizzen und hielt ihre Hand. Wir wollen fort, ſagte ſie, es wird Zeit. Sie wollte ihre Hand zuruͤk ziehen und ich hielt ſie feſter! Wir werden uns wiederſehn, rief ich, wir werden uns finden, unter allen Geſtalten werden wir uns erken-

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 1. Leipzig, 1774, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther01_1774/110>, abgerufen am 04.05.2024.