Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 1. Leipzig, 1774.auf einen gewissen Grad ertragen, und geht zu Grunde, sobald der überstiegen ist. Hier ist also nicht die Frage, ob einer schwach Paradox! sehr paradox! rief Albert aus. -- Nun mein Lieber, laß uns das auf den Geist de F 3
auf einen gewiſſen Grad ertragen, und geht zu Grunde, ſobald der uͤberſtiegen iſt. Hier iſt alſo nicht die Frage, ob einer ſchwach Paradox! ſehr paradox! rief Albert aus. — Nun mein Lieber, laß uns das auf den Geiſt de F 3
<TEI> <text> <body> <div type="diaryEntry"> <p><pb facs="#f0085" n="85"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> auf einen gewiſſen Grad ertragen, und geht zu<lb/> Grunde, ſobald der uͤberſtiegen iſt.</p><lb/> <p>Hier iſt alſo nicht die Frage, ob einer ſchwach<lb/> oder ſtark iſt, ſondern ob er das Maas ſeines Lei-<lb/> dens ausdauren kann; es mag nun moraliſch oder<lb/> phyſikaliſch ſeyn, und ich finde es eben ſo wunder-<lb/> bar zu ſagen, der Menſch iſt feig, der ſich das Le-<lb/> ben nimmt, als es ungehoͤrig waͤre, den einen Fei-<lb/> gen zu nennen, der an einem boͤsartigen Fieber<lb/> ſtirbt.</p><lb/> <p>Paradox! ſehr paradox! rief Albert aus. —<lb/> Nicht ſo ſehr, als du denkſt, verſezt ich. Du giebſt<lb/> mir zu wir nennen das eine Krankheit zum Todte,<lb/> wodurch die Natur ſo angegriffen wird, daß theils<lb/> ihre Kraͤfte verzehrt, theils ſo auſſer Wuͤrkung ge-<lb/> ſezt werden, daß ſie ſich nicht wieder aufzuhelfen,<lb/> durch keine gluͤkliche Revolution, den gewoͤhnlichen<lb/> Umlauf des Lebens wieder herzuſtellen faͤhig iſt.</p><lb/> <p>Nun mein Lieber, laß uns das auf den Geiſt<lb/> anwenden. Sieh den Menſchen an in ſeiner Ein-<lb/> geſchraͤnktheit, wie Eindruͤkke auf ihn wuͤrken, Jdeen<lb/> ſich bey ihm feſt ſezzen, bis endlich eine wachſen-<lb/> <fw place="bottom" type="sig">F 3</fw><fw place="bottom" type="catch">de</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [85/0085]
auf einen gewiſſen Grad ertragen, und geht zu
Grunde, ſobald der uͤberſtiegen iſt.
Hier iſt alſo nicht die Frage, ob einer ſchwach
oder ſtark iſt, ſondern ob er das Maas ſeines Lei-
dens ausdauren kann; es mag nun moraliſch oder
phyſikaliſch ſeyn, und ich finde es eben ſo wunder-
bar zu ſagen, der Menſch iſt feig, der ſich das Le-
ben nimmt, als es ungehoͤrig waͤre, den einen Fei-
gen zu nennen, der an einem boͤsartigen Fieber
ſtirbt.
Paradox! ſehr paradox! rief Albert aus. —
Nicht ſo ſehr, als du denkſt, verſezt ich. Du giebſt
mir zu wir nennen das eine Krankheit zum Todte,
wodurch die Natur ſo angegriffen wird, daß theils
ihre Kraͤfte verzehrt, theils ſo auſſer Wuͤrkung ge-
ſezt werden, daß ſie ſich nicht wieder aufzuhelfen,
durch keine gluͤkliche Revolution, den gewoͤhnlichen
Umlauf des Lebens wieder herzuſtellen faͤhig iſt.
Nun mein Lieber, laß uns das auf den Geiſt
anwenden. Sieh den Menſchen an in ſeiner Ein-
geſchraͤnktheit, wie Eindruͤkke auf ihn wuͤrken, Jdeen
ſich bey ihm feſt ſezzen, bis endlich eine wachſen-
de
F 3
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther01_1774 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther01_1774/85 |
Zitationshilfe: | Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 1. Leipzig, 1774, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther01_1774/85>, abgerufen am 16.06.2024. |