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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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und sagt leise: Du hast Verdruß gehabt? Jch?
sagt ich -- der Graf hat dich aus der Gesellschaft
gewiesen -- Hol sie der Teufel, sagt ich, mir war's
lieb, daß ich in die freye Luft kam -- Gut, sagt
er, daß du's auf die leichte Achsel nimmst. Nur
verdrießt mich's. Es ist schon überall herum. --
Da fieng mir das Ding erst an zu wurmen. Al-
le die zu Tische kamen und mich ansahen, dacht
ich die sehen dich darum an! Das fieng an mir
böses Blut zu sezzen.

Und da man nun heute gar wo ich hin-
trete mich bedauert, da ich höre, daß meine Nei-
der nun triumphiren und sagen: Da sähe man's,
wo's mit den Uebermüthigen hinausgieng, die sich
ihres bißgen Kopfs überhüben und glaubten, sich
darum über alle Verhältnisse hinaussezzen zu dür-
fen, und was des Hundegeschwäzzes mehr ist.
Da möchte man sich ein Messer in's Herz bohren.
Denn man rede von Selbstständigkeit was man
will, den will ich sehn der bulden kann, daß Schur-
ken über ihn reden, wenn sie eine Prise über ihn
haben. Wenn ihr Geschwätz leer ist, ach! da kann
man sie leicht lassen.

am
J 3



und ſagt leiſe: Du haſt Verdruß gehabt? Jch?
ſagt ich — der Graf hat dich aus der Geſellſchaft
gewieſen — Hol ſie der Teufel, ſagt ich, mir war’s
lieb, daß ich in die freye Luft kam — Gut, ſagt
er, daß du’s auf die leichte Achſel nimmſt. Nur
verdrießt mich’s. Es iſt ſchon uͤberall herum. —
Da fieng mir das Ding erſt an zu wurmen. Al-
le die zu Tiſche kamen und mich anſahen, dacht
ich die ſehen dich darum an! Das fieng an mir
boͤſes Blut zu ſezzen.

Und da man nun heute gar wo ich hin-
trete mich bedauert, da ich hoͤre, daß meine Nei-
der nun triumphiren und ſagen: Da ſaͤhe man’s,
wo’s mit den Uebermuͤthigen hinausgieng, die ſich
ihres bißgen Kopfs uͤberhuͤben und glaubten, ſich
darum uͤber alle Verhaͤltniſſe hinausſezzen zu duͤr-
fen, und was des Hundegeſchwaͤzzes mehr iſt.
Da moͤchte man ſich ein Meſſer in’s Herz bohren.
Denn man rede von Selbſtſtaͤndigkeit was man
will, den will ich ſehn der bulden kann, daß Schur-
ken uͤber ihn reden, wenn ſie eine Priſe uͤber ihn
haben. Wenn ihr Geſchwaͤtz leer iſt, ach! da kann
man ſie leicht laſſen.

am
J 3
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[133/0021] und ſagt leiſe: Du haſt Verdruß gehabt? Jch? ſagt ich — der Graf hat dich aus der Geſellſchaft gewieſen — Hol ſie der Teufel, ſagt ich, mir war’s lieb, daß ich in die freye Luft kam — Gut, ſagt er, daß du’s auf die leichte Achſel nimmſt. Nur verdrießt mich’s. Es iſt ſchon uͤberall herum. — Da fieng mir das Ding erſt an zu wurmen. Al- le die zu Tiſche kamen und mich anſahen, dacht ich die ſehen dich darum an! Das fieng an mir boͤſes Blut zu ſezzen. Und da man nun heute gar wo ich hin- trete mich bedauert, da ich hoͤre, daß meine Nei- der nun triumphiren und ſagen: Da ſaͤhe man’s, wo’s mit den Uebermuͤthigen hinausgieng, die ſich ihres bißgen Kopfs uͤberhuͤben und glaubten, ſich darum uͤber alle Verhaͤltniſſe hinausſezzen zu duͤr- fen, und was des Hundegeſchwaͤzzes mehr iſt. Da moͤchte man ſich ein Meſſer in’s Herz bohren. Denn man rede von Selbſtſtaͤndigkeit was man will, den will ich ſehn der bulden kann, daß Schur- ken uͤber ihn reden, wenn ſie eine Priſe uͤber ihn haben. Wenn ihr Geſchwaͤtz leer iſt, ach! da kann man ſie leicht laſſen. am J 3

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther02_1774/21>, abgerufen am 02.05.2024.