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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Lotte! Lotte! nur noch ein Wort, ein Lebe wohl! --
Sie schwieg, er harrte -- und bat -- und harr-
te, dann riß er sich weg und rief, Leb wohl, Lotte!
auf ewig leb wohl!

Er kam an's Stadtthor. Die Wächter die
ihn schon gewohnt waren, ließen ihn stillschweigend
hinaus, es stübte zwischen Regen und Schnee,
und erst gegen eilfe klopfte er wieder. Sein Die-
ner bemerkte, als Werther nach Hause kam, daß sei-
nem Herrn der Huth fehlte. Er getraute sich
nichts zu sagen, entkleidete ihn, alles war naß.
Man hat nachher den Huth auf einem Felsen, der
an dem Abhange des Hügels in's Thal sieht ge-
funden, und es ist unbegreiflich, wie er ihn in einer
finstern feuchten Nacht ohne zu stürzen erstiegen
hat.

Er legte sich zu Bette und schlief lange.
Der Bediente fand ihn schreiben, als er ihm den
andern Morgen auf sein Rufen den Caffee brach-
te. Er schrieb folgendes am Briefe an Lotten:

Zum



Lotte! Lotte! nur noch ein Wort, ein Lebe wohl! —
Sie ſchwieg, er harrte — und bat — und harr-
te, dann riß er ſich weg und rief, Leb wohl, Lotte!
auf ewig leb wohl!

Er kam an’s Stadtthor. Die Waͤchter die
ihn ſchon gewohnt waren, ließen ihn ſtillſchweigend
hinaus, es ſtuͤbte zwiſchen Regen und Schnee,
und erſt gegen eilfe klopfte er wieder. Sein Die-
ner bemerkte, als Werther nach Hauſe kam, daß ſei-
nem Herrn der Huth fehlte. Er getraute ſich
nichts zu ſagen, entkleidete ihn, alles war naß.
Man hat nachher den Huth auf einem Felſen, der
an dem Abhange des Huͤgels in’s Thal ſieht ge-
funden, und es iſt unbegreiflich, wie er ihn in einer
finſtern feuchten Nacht ohne zu ſtuͤrzen erſtiegen
hat.

Er legte ſich zu Bette und ſchlief lange.
Der Bediente fand ihn ſchreiben, als er ihm den
andern Morgen auf ſein Rufen den Caffee brach-
te. Er ſchrieb folgendes am Briefe an Lotten:

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[208/0096] Lotte! Lotte! nur noch ein Wort, ein Lebe wohl! — Sie ſchwieg, er harrte — und bat — und harr- te, dann riß er ſich weg und rief, Leb wohl, Lotte! auf ewig leb wohl! Er kam an’s Stadtthor. Die Waͤchter die ihn ſchon gewohnt waren, ließen ihn ſtillſchweigend hinaus, es ſtuͤbte zwiſchen Regen und Schnee, und erſt gegen eilfe klopfte er wieder. Sein Die- ner bemerkte, als Werther nach Hauſe kam, daß ſei- nem Herrn der Huth fehlte. Er getraute ſich nichts zu ſagen, entkleidete ihn, alles war naß. Man hat nachher den Huth auf einem Felſen, der an dem Abhange des Huͤgels in’s Thal ſieht ge- funden, und es iſt unbegreiflich, wie er ihn in einer finſtern feuchten Nacht ohne zu ſtuͤrzen erſtiegen hat. Er legte ſich zu Bette und ſchlief lange. Der Bediente fand ihn ſchreiben, als er ihm den andern Morgen auf ſein Rufen den Caffee brach- te. Er ſchrieb folgendes am Briefe an Lotten: Zum

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther02_1774/96>, abgerufen am 28.04.2024.