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Gotter, Friedrich Wilhelm: Die Erbschleicher. Leipzig, 1789.

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Die Erbschleicher.
sichtern les' ich nichts, als den Wunsch: geh
ins Grab!
Justine. Fassen Sie sich!
Gerhard (außer sich.) Warum nahm ich nicht
ein Weib in meiner Jugend? Oder warum war
ich nicht gewissenlos, wie Andere? -- O, daß
irgend ein Unglücklicher mir das Leben zu danken
hätte! -- Als Sohn wollt' ich ihn umarmen,
und wenn die verworfenste Dirne seine Mutter
wäre! und wenn ich ihn von der Galeere lösen
müßte!
(Sinkt erschöpft zurück.)
Justine (mit steigender Wärme und Rührung.)
Lieber, bester Herr! Lassen Sie sich die Schmä-
hungen eines aufgebrachten Weibes nicht zu tief
verwunden! Die Verzweiflung sprach aus ihr. --
Geben Sie mildern Eindrücken Raum! Oeffnen
Sie Ihr Herz dem Redlichen! Gießen Sie
Wohlthaten über den aus, der sie verdient! Ge-
nießen Sie so Ihrer Güter! Dankbarkeit ist
noch nicht ausgestorben. Die Glücklichen, die es
durch Sie geworden sind, werden Ihnen die
Bürde des Alters tragen helfen, werden Ih-
rer wankenden Gesundheit mit unermüdeter
Sorgfalt pflegen, und mit treuen Händen
einst ihr müdes Haupt stützen, wann Sie
Die Erbſchleicher.
ſichtern leſ’ ich nichts, als den Wunſch: geh
ins Grab!
Juſtine. Faſſen Sie ſich!
Gerhard (außer ſich.) Warum nahm ich nicht
ein Weib in meiner Jugend? Oder warum war
ich nicht gewiſſenlos, wie Andere? — O, daß
irgend ein Ungluͤcklicher mir das Leben zu danken
haͤtte! — Als Sohn wollt’ ich ihn umarmen,
und wenn die verworfenſte Dirne ſeine Mutter
waͤre! und wenn ich ihn von der Galeere loͤſen
muͤßte!
(Sinkt erſchöpft zurück.)
Juſtine (mit ſteigender Wärme und Rührung.)
Lieber, beſter Herr! Laſſen Sie ſich die Schmaͤ-
hungen eines aufgebrachten Weibes nicht zu tief
verwunden! Die Verzweiflung ſprach aus ihr. —
Geben Sie mildern Eindruͤcken Raum! Oeffnen
Sie Ihr Herz dem Redlichen! Gießen Sie
Wohlthaten uͤber den aus, der ſie verdient! Ge-
nießen Sie ſo Ihrer Guͤter! Dankbarkeit iſt
noch nicht ausgeſtorben. Die Gluͤcklichen, die es
durch Sie geworden ſind, werden Ihnen die
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[207/0213] Die Erbſchleicher. ſichtern leſ’ ich nichts, als den Wunſch: geh ins Grab! Juſtine. Faſſen Sie ſich! Gerhard (außer ſich.) Warum nahm ich nicht ein Weib in meiner Jugend? Oder warum war ich nicht gewiſſenlos, wie Andere? — O, daß irgend ein Ungluͤcklicher mir das Leben zu danken haͤtte! — Als Sohn wollt’ ich ihn umarmen, und wenn die verworfenſte Dirne ſeine Mutter waͤre! und wenn ich ihn von der Galeere loͤſen muͤßte! (Sinkt erſchöpft zurück.) Juſtine (mit ſteigender Wärme und Rührung.) Lieber, beſter Herr! Laſſen Sie ſich die Schmaͤ- hungen eines aufgebrachten Weibes nicht zu tief verwunden! Die Verzweiflung ſprach aus ihr. — Geben Sie mildern Eindruͤcken Raum! Oeffnen Sie Ihr Herz dem Redlichen! Gießen Sie Wohlthaten uͤber den aus, der ſie verdient! Ge- nießen Sie ſo Ihrer Guͤter! Dankbarkeit iſt noch nicht ausgeſtorben. Die Gluͤcklichen, die es durch Sie geworden ſind, werden Ihnen die Buͤrde des Alters tragen helfen, werden Ih- rer wankenden Geſundheit mit unermuͤdeter Sorgfalt pflegen, und mit treuen Haͤnden einſt ihr muͤdes Haupt ſtuͤtzen, wann Sie

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Zitationshilfe: Gotter, Friedrich Wilhelm: Die Erbschleicher. Leipzig, 1789, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotter_erbschleicher_1789/213>, abgerufen am 29.04.2024.