Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

Bystal, in des scheußlich entstellten Knechtes Hand den
Bohrer und auf des Bohrers Spitze den schrecklichen
Zapfen. Jetzt wußte er was da geschehen war, schlug
die Hände über dem Kopfe zusammen, und wenn die
Erde ihn verschlungen hätte, so wäre es ihm recht
gewesen. Da kroch etwas hinterem Ofen hervor,
schmiegte sich ihm an; entsetzt fuhr er zusammen, aber
es war nicht die Spinne, es war ein armes Bübchen,
das er um Gotteswillen ins Haus genommen und un¬
ter dem ruchlosen Gesinde gelassen hatte, wie es ja auch
jetzt viel geschieht, daß man Kinder um Gotteswillen
nimmt und sie dem Teufel in die Hände spielt. Das
hatte keinen Theil genommen an den Gräueln des Ge¬
sindes, war erschreckt hinter den Ofen geflohen; es
allein blieb von der Spinne verschont, und konnte nun
den Hergang erzählen.

"Aber noch während das Bübchen erzählte, scholl
durch Wind und Wetter Angstgeschrei von andern Häu¬
sern her. Wie in hundertjähriger aufgeschwellter Lust
flog die Spinne durch die Thalschaft, las zuerst die
üppigsten Häuser sich aus, wo man am wenigsten an
Gott dachte, aber am meisten an die Welt, daher von
dem Tode am wenigsten wissen mochte.

"Noch war es nicht Tag geworden, so war die
Kunde in jeglichem Hause: die alte Spinne sei los¬
gebrochen, gehe aufs Neue todtbringend um in der
Gemeinde; schon lägen Viele todt und hinten im Thale
fahre Schrei auf Schrei zum Himmel auf von den Ge¬
zeichneten, die sterben müßten. Da kann man sich den¬
ken, welch Jammer im Lande war, welche Angst in
allen Herzen, was das für eine Weihnacht war in
Sumiswald. An die Freude, die sie sonst bringt, konnte
kein Mensch denken, und solcher Jammer kam vom Frevel

Byſtal, in des ſcheußlich entſtellten Knechtes Hand den
Bohrer und auf des Bohrers Spitze den ſchrecklichen
Zapfen. Jetzt wußte er was da geſchehen war, ſchlug
die Hände über dem Kopfe zuſammen, und wenn die
Erde ihn verſchlungen hätte, ſo wäre es ihm recht
geweſen. Da kroch etwas hinterem Ofen hervor,
ſchmiegte ſich ihm an; entſetzt fuhr er zuſammen, aber
es war nicht die Spinne, es war ein armes Bübchen,
das er um Gotteswillen ins Haus genommen und un¬
ter dem ruchloſen Geſinde gelaſſen hatte, wie es ja auch
jetzt viel geſchieht, daß man Kinder um Gotteswillen
nimmt und ſie dem Teufel in die Hände ſpielt. Das
hatte keinen Theil genommen an den Gräueln des Ge¬
ſindes, war erſchreckt hinter den Ofen geflohen; es
allein blieb von der Spinne verſchont, und konnte nun
den Hergang erzählen.

„Aber noch während das Bübchen erzählte, ſcholl
durch Wind und Wetter Angſtgeſchrei von andern Häu¬
ſern her. Wie in hundertjähriger aufgeſchwellter Luſt
flog die Spinne durch die Thalſchaft, las zuerſt die
üppigſten Häuſer ſich aus, wo man am wenigſten an
Gott dachte, aber am meiſten an die Welt, daher von
dem Tode am wenigſten wiſſen mochte.

„Noch war es nicht Tag geworden, ſo war die
Kunde in jeglichem Hauſe: die alte Spinne ſei los¬
gebrochen, gehe aufs Neue todtbringend um in der
Gemeinde; ſchon lägen Viele todt und hinten im Thale
fahre Schrei auf Schrei zum Himmel auf von den Ge¬
zeichneten, die ſterben müßten. Da kann man ſich den¬
ken, welch Jammer im Lande war, welche Angſt in
allen Herzen, was das für eine Weihnacht war in
Sumiswald. An die Freude, die ſie ſonſt bringt, konnte
kein Menſch denken, und ſolcher Jammer kam vom Frevel

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0110" n="100"/>
By&#x017F;tal, in des &#x017F;cheußlich ent&#x017F;tellten Knechtes Hand den<lb/>
Bohrer und auf des Bohrers Spitze den &#x017F;chrecklichen<lb/>
Zapfen. Jetzt wußte er was da ge&#x017F;chehen war, &#x017F;chlug<lb/>
die Hände über dem Kopfe zu&#x017F;ammen, und wenn die<lb/>
Erde ihn ver&#x017F;chlungen hätte, &#x017F;o wäre es ihm recht<lb/>
gewe&#x017F;en. Da kroch etwas hinterem Ofen hervor,<lb/>
&#x017F;chmiegte &#x017F;ich ihm an; ent&#x017F;etzt fuhr er zu&#x017F;ammen, aber<lb/>
es war nicht die Spinne, es war ein armes Bübchen,<lb/>
das er um Gotteswillen ins Haus genommen und un¬<lb/>
ter dem ruchlo&#x017F;en Ge&#x017F;inde gela&#x017F;&#x017F;en hatte, wie es ja auch<lb/>
jetzt viel ge&#x017F;chieht, daß man Kinder um Gotteswillen<lb/>
nimmt und &#x017F;ie dem Teufel in die Hände &#x017F;pielt. Das<lb/>
hatte keinen Theil genommen an den Gräueln des Ge¬<lb/>
&#x017F;indes, war er&#x017F;chreckt hinter den Ofen geflohen; es<lb/>
allein blieb von der Spinne ver&#x017F;chont, und konnte nun<lb/>
den Hergang erzählen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Aber noch während das Bübchen erzählte, &#x017F;choll<lb/>
durch Wind und Wetter Ang&#x017F;tge&#x017F;chrei von andern Häu¬<lb/>
&#x017F;ern her. Wie in hundertjähriger aufge&#x017F;chwellter Lu&#x017F;t<lb/>
flog die Spinne durch die Thal&#x017F;chaft, las zuer&#x017F;t die<lb/>
üppig&#x017F;ten Häu&#x017F;er &#x017F;ich aus, wo man am wenig&#x017F;ten an<lb/>
Gott dachte, aber am mei&#x017F;ten an die Welt, daher von<lb/>
dem Tode am wenig&#x017F;ten wi&#x017F;&#x017F;en mochte.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Noch war es nicht Tag geworden, &#x017F;o war die<lb/>
Kunde in jeglichem Hau&#x017F;e: die alte Spinne &#x017F;ei los¬<lb/>
gebrochen, gehe aufs Neue todtbringend um in der<lb/>
Gemeinde; &#x017F;chon lägen Viele todt und hinten im Thale<lb/>
fahre Schrei auf Schrei zum Himmel auf von den Ge¬<lb/>
zeichneten, die &#x017F;terben müßten. Da kann man &#x017F;ich den¬<lb/>
ken, welch Jammer im Lande war, welche Ang&#x017F;t in<lb/>
allen Herzen, was das für eine Weihnacht war in<lb/>
Sumiswald. An die Freude, die &#x017F;ie &#x017F;on&#x017F;t bringt, konnte<lb/>
kein Men&#x017F;ch denken, und &#x017F;olcher Jammer kam vom Frevel<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[100/0110] Byſtal, in des ſcheußlich entſtellten Knechtes Hand den Bohrer und auf des Bohrers Spitze den ſchrecklichen Zapfen. Jetzt wußte er was da geſchehen war, ſchlug die Hände über dem Kopfe zuſammen, und wenn die Erde ihn verſchlungen hätte, ſo wäre es ihm recht geweſen. Da kroch etwas hinterem Ofen hervor, ſchmiegte ſich ihm an; entſetzt fuhr er zuſammen, aber es war nicht die Spinne, es war ein armes Bübchen, das er um Gotteswillen ins Haus genommen und un¬ ter dem ruchloſen Geſinde gelaſſen hatte, wie es ja auch jetzt viel geſchieht, daß man Kinder um Gotteswillen nimmt und ſie dem Teufel in die Hände ſpielt. Das hatte keinen Theil genommen an den Gräueln des Ge¬ ſindes, war erſchreckt hinter den Ofen geflohen; es allein blieb von der Spinne verſchont, und konnte nun den Hergang erzählen. „Aber noch während das Bübchen erzählte, ſcholl durch Wind und Wetter Angſtgeſchrei von andern Häu¬ ſern her. Wie in hundertjähriger aufgeſchwellter Luſt flog die Spinne durch die Thalſchaft, las zuerſt die üppigſten Häuſer ſich aus, wo man am wenigſten an Gott dachte, aber am meiſten an die Welt, daher von dem Tode am wenigſten wiſſen mochte. „Noch war es nicht Tag geworden, ſo war die Kunde in jeglichem Hauſe: die alte Spinne ſei los¬ gebrochen, gehe aufs Neue todtbringend um in der Gemeinde; ſchon lägen Viele todt und hinten im Thale fahre Schrei auf Schrei zum Himmel auf von den Ge¬ zeichneten, die ſterben müßten. Da kann man ſich den¬ ken, welch Jammer im Lande war, welche Angſt in allen Herzen, was das für eine Weihnacht war in Sumiswald. An die Freude, die ſie ſonſt bringt, konnte kein Menſch denken, und ſolcher Jammer kam vom Frevel

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/110
Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/110>, abgerufen am 11.05.2024.