Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

thue ich noch die Mutter selig durch, und die ist doch
eine berühmte Frau gewesen. So schwere Schweine wie
voriges Jahr, hat mein Vater noch nie auf den Markt
geführt. Der Metzger hat ihm manchmal gesagt: er
möchte das Meitschi sehen, welches die gemästet habe.
Aber über die heutigen Buben hat man zu klagen; was
um der lieben Welt willen ist dann mit diesen? Tu¬
backen, im Wirthshaus sitzen, die weißen Hüte auf der
Seite tragen und die Augen aufsperren wie Stadtthore,
allen Kegelten, allen Schießeten, allen schlechten Meit¬
schene nachstreichen, das können sie; aber wenn einer
eine Kuh melken oder einen Acker fahren soll, so ist er
fertig, und wenn er ein Werkholz in die Finger nimmt,
so thut er dumm wie ein Herr oder gar wie ein Schrei¬
ber. Ich habe mich schon manchmal hoch verredet, ich
wolle keinen Mann, oder ich wisse denn für gewiß wie
ich mit ihm fahren könne, und wenn schon hie und da
noch einer ein Bauer abgibt, so weiß man doch noch
lange nicht, was er für ein Mann wird." Da lachten
die Andern gar sehr, trieben dem Mädchen das Blut
ins Gesicht und das Gespött mit ihm: Wie lange es
wohl meine, daß man einen auf die Probe nehmen
müsse, bis man für gewiß wisse was er für ein Mann
werde. So unter Lachen und Scherz nahm man viel
Fleisch zu sich, vergaß auch die Kannenbirenschnitze nicht,
bis endlich der ältere Götti sagte: "Es dünke ihn, man
sollte einstweilen genug haben und etwas vom Tische
weg, die Beine würden unter dem Tische ganz steif
und eine Pfeife schmecke nie besser, als wenn man zu¬
vor Fleisch gegessen hätte." Dieser Rath erhielt allge¬
meinen Beifall, wie auch die Kindbettileute einredeten:
man solle doch nicht vom Tische weg; wenn man ein¬
mal davon sei, so bringe man die Menschen fast nicht

thue ich noch die Mutter ſelig durch, und die iſt doch
eine berühmte Frau geweſen. So ſchwere Schweine wie
voriges Jahr, hat mein Vater noch nie auf den Markt
geführt. Der Metzger hat ihm manchmal geſagt: er
möchte das Meitſchi ſehen, welches die gemäſtet habe.
Aber über die heutigen Buben hat man zu klagen; was
um der lieben Welt willen iſt dann mit dieſen? Tu¬
backen, im Wirthshaus ſitzen, die weißen Hüte auf der
Seite tragen und die Augen aufſperren wie Stadtthore,
allen Kegelten, allen Schießeten, allen ſchlechten Meit¬
ſchene nachſtreichen, das können ſie; aber wenn einer
eine Kuh melken oder einen Acker fahren ſoll, ſo iſt er
fertig, und wenn er ein Werkholz in die Finger nimmt,
ſo thut er dumm wie ein Herr oder gar wie ein Schrei¬
ber. Ich habe mich ſchon manchmal hoch verredet, ich
wolle keinen Mann, oder ich wiſſe denn für gewiß wie
ich mit ihm fahren könne, und wenn ſchon hie und da
noch einer ein Bauer abgibt, ſo weiß man doch noch
lange nicht, was er für ein Mann wird.“ Da lachten
die Andern gar ſehr, trieben dem Mädchen das Blut
ins Geſicht und das Geſpött mit ihm: Wie lange es
wohl meine, daß man einen auf die Probe nehmen
müſſe, bis man für gewiß wiſſe was er für ein Mann
werde. So unter Lachen und Scherz nahm man viel
Fleiſch zu ſich, vergaß auch die Kannenbirenſchnitze nicht,
bis endlich der ältere Götti ſagte: „Es dünke ihn, man
ſollte einſtweilen genug haben und etwas vom Tiſche
weg, die Beine würden unter dem Tiſche ganz ſteif
und eine Pfeife ſchmecke nie beſſer, als wenn man zu¬
vor Fleiſch gegeſſen hätte.“ Dieſer Rath erhielt allge¬
meinen Beifall, wie auch die Kindbettileute einredeten:
man ſolle doch nicht vom Tiſche weg; wenn man ein¬
mal davon ſei, ſo bringe man die Menſchen faſt nicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0032" n="22"/>
thue ich noch die Mutter &#x017F;elig durch, und die i&#x017F;t doch<lb/>
eine berühmte Frau gewe&#x017F;en. So &#x017F;chwere Schweine wie<lb/>
voriges Jahr, hat mein Vater noch nie auf den Markt<lb/>
geführt. Der Metzger hat ihm manchmal ge&#x017F;agt: er<lb/>
möchte das Meit&#x017F;chi &#x017F;ehen, welches die gemä&#x017F;tet habe.<lb/>
Aber über die heutigen Buben hat man zu klagen; was<lb/>
um der lieben Welt willen i&#x017F;t dann mit die&#x017F;en? Tu¬<lb/>
backen, im Wirthshaus &#x017F;itzen, die weißen Hüte auf der<lb/>
Seite tragen und die Augen auf&#x017F;perren wie Stadtthore,<lb/>
allen Kegelten, allen Schießeten, allen &#x017F;chlechten Meit¬<lb/>
&#x017F;chene nach&#x017F;treichen, das können &#x017F;ie; aber wenn einer<lb/>
eine Kuh melken oder einen Acker fahren &#x017F;oll, &#x017F;o i&#x017F;t er<lb/>
fertig, und wenn er ein Werkholz in die Finger nimmt,<lb/>
&#x017F;o thut er dumm wie ein Herr oder gar wie ein Schrei¬<lb/>
ber. Ich habe mich &#x017F;chon manchmal hoch verredet, ich<lb/>
wolle keinen Mann, oder ich wi&#x017F;&#x017F;e denn für gewiß wie<lb/>
ich mit ihm fahren könne, und wenn &#x017F;chon hie und da<lb/>
noch einer ein Bauer abgibt, &#x017F;o weiß man doch noch<lb/>
lange nicht, was er für ein Mann wird.&#x201C; Da lachten<lb/>
die Andern gar &#x017F;ehr, trieben dem Mädchen das Blut<lb/>
ins Ge&#x017F;icht und das Ge&#x017F;pött mit ihm: Wie lange es<lb/>
wohl meine, daß man einen auf die Probe nehmen<lb/>&#x017F;&#x017F;e, bis man für gewiß wi&#x017F;&#x017F;e was er für ein Mann<lb/>
werde. So unter Lachen und Scherz nahm man viel<lb/>
Flei&#x017F;ch zu &#x017F;ich, vergaß auch die Kannenbiren&#x017F;chnitze nicht,<lb/>
bis endlich der ältere Götti &#x017F;agte: &#x201E;Es dünke ihn, man<lb/>
&#x017F;ollte ein&#x017F;tweilen genug haben und etwas vom Ti&#x017F;che<lb/>
weg, die Beine würden unter dem Ti&#x017F;che ganz &#x017F;teif<lb/>
und eine Pfeife &#x017F;chmecke nie be&#x017F;&#x017F;er, als wenn man zu¬<lb/>
vor Flei&#x017F;ch gege&#x017F;&#x017F;en hätte.&#x201C; Die&#x017F;er Rath erhielt allge¬<lb/>
meinen Beifall, wie auch die Kindbettileute einredeten:<lb/>
man &#x017F;olle doch nicht vom Ti&#x017F;che weg; wenn man ein¬<lb/>
mal davon &#x017F;ei, &#x017F;o bringe man die Men&#x017F;chen fa&#x017F;t nicht<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22/0032] thue ich noch die Mutter ſelig durch, und die iſt doch eine berühmte Frau geweſen. So ſchwere Schweine wie voriges Jahr, hat mein Vater noch nie auf den Markt geführt. Der Metzger hat ihm manchmal geſagt: er möchte das Meitſchi ſehen, welches die gemäſtet habe. Aber über die heutigen Buben hat man zu klagen; was um der lieben Welt willen iſt dann mit dieſen? Tu¬ backen, im Wirthshaus ſitzen, die weißen Hüte auf der Seite tragen und die Augen aufſperren wie Stadtthore, allen Kegelten, allen Schießeten, allen ſchlechten Meit¬ ſchene nachſtreichen, das können ſie; aber wenn einer eine Kuh melken oder einen Acker fahren ſoll, ſo iſt er fertig, und wenn er ein Werkholz in die Finger nimmt, ſo thut er dumm wie ein Herr oder gar wie ein Schrei¬ ber. Ich habe mich ſchon manchmal hoch verredet, ich wolle keinen Mann, oder ich wiſſe denn für gewiß wie ich mit ihm fahren könne, und wenn ſchon hie und da noch einer ein Bauer abgibt, ſo weiß man doch noch lange nicht, was er für ein Mann wird.“ Da lachten die Andern gar ſehr, trieben dem Mädchen das Blut ins Geſicht und das Geſpött mit ihm: Wie lange es wohl meine, daß man einen auf die Probe nehmen müſſe, bis man für gewiß wiſſe was er für ein Mann werde. So unter Lachen und Scherz nahm man viel Fleiſch zu ſich, vergaß auch die Kannenbirenſchnitze nicht, bis endlich der ältere Götti ſagte: „Es dünke ihn, man ſollte einſtweilen genug haben und etwas vom Tiſche weg, die Beine würden unter dem Tiſche ganz ſteif und eine Pfeife ſchmecke nie beſſer, als wenn man zu¬ vor Fleiſch gegeſſen hätte.“ Dieſer Rath erhielt allge¬ meinen Beifall, wie auch die Kindbettileute einredeten: man ſolle doch nicht vom Tiſche weg; wenn man ein¬ mal davon ſei, ſo bringe man die Menſchen faſt nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/32
Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/32>, abgerufen am 27.04.2024.