Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

pgo_461.001
Muse hervorleuchtet, ist eine politische, die Form aber eine phantastisch-symbolische, pgo_461.002
ohne je in's Allegorisch-Nüchterne überzugehn. pgo_461.003
Diese Symbolik erstreckt sich bis auf das Kostüm, wie z. B. in den pgo_461.004
"Fröschen" der feige Dionysos, der wie Herkules in die Unterwelt hinabsteigen pgo_461.005
will, um einen verstorbenen Tragiker heraufzuholen, die Kontraste pgo_461.006
seines Charakters und seiner Jntentionen in seinem Kostüm andeutet, pgo_461.007
in welchem sich die Löwenhaut und der Weiberrock, die Herkuleskeule und pgo_461.008
der Weiberschuh paaren. So hat der Chor der Vögel, der Wespen, der pgo_461.009
Frösche nicht blos eine symbolische Bedeutung für die Handlung selbst, pgo_461.010
sondern er drückte sie auch in der entsprechenden Thiermaske aus, welche pgo_461.011
als die Vermischung des Thierischen und Menschlichen den phantastischen pgo_461.012
Anstrich des Ganzen am schärfsten ausprägte. Der Chor, das Urelement, pgo_461.013
aus welchem sich die Komödie, wie die Tragödie entwickelte, spricht pgo_461.014
entweder die Gesinnung des Dichters in heiterer Jronie aus, wie in den pgo_461.015
"Fröschen," oder er wandelt seine Meinung unter den Einflüssen der Handlung, pgo_461.016
wie in den "Wespen," oder er giebt sich, wie in den "Vögeln," den pgo_461.017
"Wolken," den Anschein, als ob er ganz in das thierische und elementarische pgo_461.018
Leben aufgegangen sei, während er doch mit schalkhafter Jronie aus pgo_461.019
seiner Maske hervorsieht*). Jndem er aber oft mit schwunghafter Lyrik, pgo_461.020
wie jener Preis der Gestirne in den Wolken beweist, die Handlung unterbricht, pgo_461.021
erhebt er das Komische in den gereinigten Aether des Schönen. pgo_461.022
Jn der Parabase, in welcher sich der Chor mit einer Frontveränderung pgo_461.023
gegen das Publikum schwenkte, nahm die Komik des Dichters eine ganz pgo_461.024
persönliche Wendung, indem er sich selbst, seine Rivalen, seine Werke pgo_461.025
bespricht und sich so in unmittelbare Beziehung zu seinem Auditorium pgo_461.026
setzt. Die Handlung dieser altattischen Komödie war natürlich ohne jede pgo_461.027
Jntrigue und Verwicklung, ein einfach komischer und symbolischer Akt; pgo_461.028
die Ausführung ging oft in's derb Possenhafte und Cynische über; aber pgo_461.029
ein kühner Genius, von sittlicher Energie durchdrungen, mit einer außerordentlich pgo_461.030
reichen Phantasie begabt, erhob diese Komödie zu einer idealen pgo_461.031
Höhe!

pgo_461.032
Die zweite historische Erscheinung des idealistischen Lustspieles pgo_461.033
finden wir in den phantastisch-romantischen Shakespeare's

*) pgo_461.034
Vgl. Bohtz, das Komische und die Komödie S. 158.

pgo_461.001
Muse hervorleuchtet, ist eine politische, die Form aber eine phantastisch-symbolische, pgo_461.002
ohne je in's Allegorisch-Nüchterne überzugehn. pgo_461.003
Diese Symbolik erstreckt sich bis auf das Kostüm, wie z. B. in den pgo_461.004
„Fröschen“ der feige Dionysos, der wie Herkules in die Unterwelt hinabsteigen pgo_461.005
will, um einen verstorbenen Tragiker heraufzuholen, die Kontraste pgo_461.006
seines Charakters und seiner Jntentionen in seinem Kostüm andeutet, pgo_461.007
in welchem sich die Löwenhaut und der Weiberrock, die Herkuleskeule und pgo_461.008
der Weiberschuh paaren. So hat der Chor der Vögel, der Wespen, der pgo_461.009
Frösche nicht blos eine symbolische Bedeutung für die Handlung selbst, pgo_461.010
sondern er drückte sie auch in der entsprechenden Thiermaske aus, welche pgo_461.011
als die Vermischung des Thierischen und Menschlichen den phantastischen pgo_461.012
Anstrich des Ganzen am schärfsten ausprägte. Der Chor, das Urelement, pgo_461.013
aus welchem sich die Komödie, wie die Tragödie entwickelte, spricht pgo_461.014
entweder die Gesinnung des Dichters in heiterer Jronie aus, wie in den pgo_461.015
„Fröschen,“ oder er wandelt seine Meinung unter den Einflüssen der Handlung, pgo_461.016
wie in den „Wespen,“ oder er giebt sich, wie in den „Vögeln,“ den pgo_461.017
„Wolken,“ den Anschein, als ob er ganz in das thierische und elementarische pgo_461.018
Leben aufgegangen sei, während er doch mit schalkhafter Jronie aus pgo_461.019
seiner Maske hervorsieht*). Jndem er aber oft mit schwunghafter Lyrik, pgo_461.020
wie jener Preis der Gestirne in den Wolken beweist, die Handlung unterbricht, pgo_461.021
erhebt er das Komische in den gereinigten Aether des Schönen. pgo_461.022
Jn der Parabase, in welcher sich der Chor mit einer Frontveränderung pgo_461.023
gegen das Publikum schwenkte, nahm die Komik des Dichters eine ganz pgo_461.024
persönliche Wendung, indem er sich selbst, seine Rivalen, seine Werke pgo_461.025
bespricht und sich so in unmittelbare Beziehung zu seinem Auditorium pgo_461.026
setzt. Die Handlung dieser altattischen Komödie war natürlich ohne jede pgo_461.027
Jntrigue und Verwicklung, ein einfach komischer und symbolischer Akt; pgo_461.028
die Ausführung ging oft in's derb Possenhafte und Cynische über; aber pgo_461.029
ein kühner Genius, von sittlicher Energie durchdrungen, mit einer außerordentlich pgo_461.030
reichen Phantasie begabt, erhob diese Komödie zu einer idealen pgo_461.031
Höhe!

pgo_461.032
Die zweite historische Erscheinung des idealistischen Lustspieles pgo_461.033
finden wir in den phantastisch-romantischen Shakespeare's

*) pgo_461.034
Vgl. Bohtz, das Komische und die Komödie S. 158.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0483" n="461"/><lb n="pgo_461.001"/>
Muse hervorleuchtet, ist eine <hi rendition="#g">politische,</hi> die <hi rendition="#g">Form</hi> aber eine <hi rendition="#g">phantastisch-symbolische,</hi> <lb n="pgo_461.002"/>
ohne je in's Allegorisch-Nüchterne überzugehn. <lb n="pgo_461.003"/>
Diese <hi rendition="#g">Symbolik</hi> erstreckt sich bis auf das Kostüm, wie z. B. in den <lb n="pgo_461.004"/>
&#x201E;Fröschen&#x201C; der feige Dionysos, der wie Herkules in die Unterwelt hinabsteigen <lb n="pgo_461.005"/>
will, um einen verstorbenen Tragiker heraufzuholen, die Kontraste <lb n="pgo_461.006"/>
seines Charakters und seiner Jntentionen in seinem Kostüm andeutet, <lb n="pgo_461.007"/>
in welchem sich die Löwenhaut und der Weiberrock, die Herkuleskeule und <lb n="pgo_461.008"/>
der Weiberschuh paaren. So hat der Chor der Vögel, der Wespen, der <lb n="pgo_461.009"/>
Frösche nicht blos eine symbolische Bedeutung für die Handlung selbst, <lb n="pgo_461.010"/>
sondern er drückte sie auch in der entsprechenden Thiermaske aus, welche <lb n="pgo_461.011"/>
als die Vermischung des Thierischen und Menschlichen den phantastischen <lb n="pgo_461.012"/>
Anstrich des Ganzen am schärfsten ausprägte. Der <hi rendition="#g">Chor,</hi> das Urelement, <lb n="pgo_461.013"/>
aus welchem sich die Komödie, wie die Tragödie entwickelte, spricht <lb n="pgo_461.014"/>
entweder die Gesinnung des Dichters in heiterer Jronie aus, wie in den <lb n="pgo_461.015"/>
&#x201E;Fröschen,&#x201C; oder er wandelt seine Meinung unter den Einflüssen der Handlung, <lb n="pgo_461.016"/>
wie in den &#x201E;Wespen,&#x201C; oder er giebt sich, wie in den &#x201E;Vögeln,&#x201C; den <lb n="pgo_461.017"/>
&#x201E;Wolken,&#x201C; den Anschein, als ob er ganz in das thierische und elementarische <lb n="pgo_461.018"/>
Leben aufgegangen sei, während er doch mit schalkhafter Jronie aus <lb n="pgo_461.019"/>
seiner Maske hervorsieht<note xml:id="PGO_461_1" place="foot" n="*)"><lb n="pgo_461.034"/>
Vgl. <hi rendition="#g">Bohtz,</hi> das Komische und die Komödie S. 158.</note>. Jndem er aber oft mit schwunghafter Lyrik, <lb n="pgo_461.020"/>
wie jener Preis der Gestirne in den Wolken beweist, die Handlung unterbricht, <lb n="pgo_461.021"/>
erhebt er das Komische in den gereinigten Aether des Schönen. <lb n="pgo_461.022"/>
Jn der <hi rendition="#g">Parabase,</hi> in welcher sich der Chor mit einer Frontveränderung <lb n="pgo_461.023"/>
gegen das Publikum schwenkte, nahm die Komik des Dichters eine ganz <lb n="pgo_461.024"/>
persönliche Wendung, indem er sich selbst, seine Rivalen, seine Werke <lb n="pgo_461.025"/>
bespricht und sich so in unmittelbare Beziehung zu seinem Auditorium <lb n="pgo_461.026"/>
setzt. Die Handlung dieser altattischen Komödie war natürlich ohne jede <lb n="pgo_461.027"/>
Jntrigue und Verwicklung, ein einfach komischer und symbolischer Akt; <lb n="pgo_461.028"/>
die Ausführung ging oft in's derb Possenhafte und Cynische über; aber <lb n="pgo_461.029"/>
ein kühner Genius, von sittlicher Energie durchdrungen, mit einer außerordentlich <lb n="pgo_461.030"/>
reichen Phantasie begabt, erhob diese Komödie zu einer idealen <lb n="pgo_461.031"/>
Höhe!</p>
                <p><lb n="pgo_461.032"/>
Die zweite historische Erscheinung des <hi rendition="#g">idealistischen Lustspieles</hi> <lb n="pgo_461.033"/>
finden wir in den <hi rendition="#g">phantastisch-romantischen</hi> Shakespeare's
</p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[461/0483] pgo_461.001 Muse hervorleuchtet, ist eine politische, die Form aber eine phantastisch-symbolische, pgo_461.002 ohne je in's Allegorisch-Nüchterne überzugehn. pgo_461.003 Diese Symbolik erstreckt sich bis auf das Kostüm, wie z. B. in den pgo_461.004 „Fröschen“ der feige Dionysos, der wie Herkules in die Unterwelt hinabsteigen pgo_461.005 will, um einen verstorbenen Tragiker heraufzuholen, die Kontraste pgo_461.006 seines Charakters und seiner Jntentionen in seinem Kostüm andeutet, pgo_461.007 in welchem sich die Löwenhaut und der Weiberrock, die Herkuleskeule und pgo_461.008 der Weiberschuh paaren. So hat der Chor der Vögel, der Wespen, der pgo_461.009 Frösche nicht blos eine symbolische Bedeutung für die Handlung selbst, pgo_461.010 sondern er drückte sie auch in der entsprechenden Thiermaske aus, welche pgo_461.011 als die Vermischung des Thierischen und Menschlichen den phantastischen pgo_461.012 Anstrich des Ganzen am schärfsten ausprägte. Der Chor, das Urelement, pgo_461.013 aus welchem sich die Komödie, wie die Tragödie entwickelte, spricht pgo_461.014 entweder die Gesinnung des Dichters in heiterer Jronie aus, wie in den pgo_461.015 „Fröschen,“ oder er wandelt seine Meinung unter den Einflüssen der Handlung, pgo_461.016 wie in den „Wespen,“ oder er giebt sich, wie in den „Vögeln,“ den pgo_461.017 „Wolken,“ den Anschein, als ob er ganz in das thierische und elementarische pgo_461.018 Leben aufgegangen sei, während er doch mit schalkhafter Jronie aus pgo_461.019 seiner Maske hervorsieht *). Jndem er aber oft mit schwunghafter Lyrik, pgo_461.020 wie jener Preis der Gestirne in den Wolken beweist, die Handlung unterbricht, pgo_461.021 erhebt er das Komische in den gereinigten Aether des Schönen. pgo_461.022 Jn der Parabase, in welcher sich der Chor mit einer Frontveränderung pgo_461.023 gegen das Publikum schwenkte, nahm die Komik des Dichters eine ganz pgo_461.024 persönliche Wendung, indem er sich selbst, seine Rivalen, seine Werke pgo_461.025 bespricht und sich so in unmittelbare Beziehung zu seinem Auditorium pgo_461.026 setzt. Die Handlung dieser altattischen Komödie war natürlich ohne jede pgo_461.027 Jntrigue und Verwicklung, ein einfach komischer und symbolischer Akt; pgo_461.028 die Ausführung ging oft in's derb Possenhafte und Cynische über; aber pgo_461.029 ein kühner Genius, von sittlicher Energie durchdrungen, mit einer außerordentlich pgo_461.030 reichen Phantasie begabt, erhob diese Komödie zu einer idealen pgo_461.031 Höhe! pgo_461.032 Die zweite historische Erscheinung des idealistischen Lustspieles pgo_461.033 finden wir in den phantastisch-romantischen Shakespeare's *) pgo_461.034 Vgl. Bohtz, das Komische und die Komödie S. 158.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/483
Zitationshilfe: Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 461. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/483>, abgerufen am 04.05.2024.