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Gottsched, Luise Adelgunde Victorie: Die Pietisterey im Fischbein-Rocke. Rostock, 1736.

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im Fischbein-Rocke.
Cathrine.
Jch bitte sie drum. Das ist ja noch ärger, als
eine öffentliche Kirchen-Busse!
Herr Scheinfromm.
Freylich: Heyrathet sie aber meinen Vetter; so
kriegt sie einen Mann, der gar nicht angenehm ist,
und denn wird sie also nicht anders, als mit Gött-
lichen Beystande und Mitwürckung einer überna-
türlichen Gnade lieben können; so werden sie denn
in einer heiligen Vereinigung leben, und keine ver-
derbte Lüste kennen.
Cathrine.
Das gesteh ich! Wie Herr Magister? So
bald sich in der Liebe zweyer Eheleute ein wenig na-
türliche Liebe mischet; so ists Sünde?
Herr Scheinfromm.
Ja, meine Tochter! Alles was die Natur uns
befiehlt zu thun; alle Empfindungen, die von ihr
kommen, als was nicht bloß die Göttliche Gnade
in uns wircket, das ist Sünde.
Cathrine.
Warum denn das?
Herr Scheinfromm.
Je darum: Weil die gantze Natur in ihrer
Quelle, in ihrem Wesen, und in ihrer inneren
Beschaffenheit verderbt ist. Ein Ungläubiger, der
seinem Vater unzähliche Wohlthaten thut, der
darf
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im Fiſchbein-Rocke.
Cathrine.
Jch bitte ſie drum. Das iſt ja noch aͤrger, als
eine oͤffentliche Kirchen-Buſſe!
Herr Scheinfromm.
Freylich: Heyrathet ſie aber meinen Vetter; ſo
kriegt ſie einen Mann, der gar nicht angenehm iſt,
und denn wird ſie alſo nicht anders, als mit Goͤtt-
lichen Beyſtande und Mitwuͤrckung einer uͤberna-
tuͤrlichen Gnade lieben koͤnnen; ſo werden ſie denn
in einer heiligen Vereinigung leben, und keine ver-
derbte Luͤſte kennen.
Cathrine.
Das geſteh ich! Wie Herr Magiſter? So
bald ſich in der Liebe zweyer Eheleute ein wenig na-
tuͤrliche Liebe miſchet; ſo iſts Suͤnde?
Herr Scheinfromm.
Ja, meine Tochter! Alles was die Natur uns
befiehlt zu thun; alle Empfindungen, die von ihr
kommen, als was nicht bloß die Goͤttliche Gnade
in uns wircket, das iſt Suͤnde.
Cathrine.
Warum denn das?
Herr Scheinfromm.
Je darum: Weil die gantze Natur in ihrer
Quelle, in ihrem Weſen, und in ihrer inneren
Beſchaffenheit verderbt iſt. Ein Unglaͤubiger, der
ſeinem Vater unzaͤhliche Wohlthaten thut, der
darf
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[41/0061] im Fiſchbein-Rocke. Cathrine. Jch bitte ſie drum. Das iſt ja noch aͤrger, als eine oͤffentliche Kirchen-Buſſe! Herr Scheinfromm. Freylich: Heyrathet ſie aber meinen Vetter; ſo kriegt ſie einen Mann, der gar nicht angenehm iſt, und denn wird ſie alſo nicht anders, als mit Goͤtt- lichen Beyſtande und Mitwuͤrckung einer uͤberna- tuͤrlichen Gnade lieben koͤnnen; ſo werden ſie denn in einer heiligen Vereinigung leben, und keine ver- derbte Luͤſte kennen. Cathrine. Das geſteh ich! Wie Herr Magiſter? So bald ſich in der Liebe zweyer Eheleute ein wenig na- tuͤrliche Liebe miſchet; ſo iſts Suͤnde? Herr Scheinfromm. Ja, meine Tochter! Alles was die Natur uns befiehlt zu thun; alle Empfindungen, die von ihr kommen, als was nicht bloß die Goͤttliche Gnade in uns wircket, das iſt Suͤnde. Cathrine. Warum denn das? Herr Scheinfromm. Je darum: Weil die gantze Natur in ihrer Quelle, in ihrem Weſen, und in ihrer inneren Beſchaffenheit verderbt iſt. Ein Unglaͤubiger, der ſeinem Vater unzaͤhliche Wohlthaten thut, der darf C 5

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Zitationshilfe: Gottsched, Luise Adelgunde Victorie: Die Pietisterey im Fischbein-Rocke. Rostock, 1736, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_pietisterey_1736/61>, abgerufen am 29.04.2024.