Weit besser wies sich dein Verstand, Weit besser ward er angewandt, Wenn du ihn vor die Redens-Art Die unser Deutschland braucht, gespart. Hierinn hast du es weit gebracht, Und stets den Unverstand verlacht, Wenn mancher, dessen Spruch nichts gilt, Uns zornig, deutsche Meister schilt. Du hast dem allen nachgespürt, Was unsre Sprache schimpft und ziert, Und Dich so wohl darinn geübt, Daß jeder deine Schreibart liebt.
Jch schweige von der Poesie O Freund, die macht dir keine Müh, Du kennst der alten Dichter Zahl, Virgil, Horatz und Juvenal, Lucretz, Ovid, Lucans Pharsal, Terentz und Plaut und Martial, Und wie sie heissen allzumahl. Doch was? Du kennst sie ja nicht nur, Du folgst auch ihrer Bahn und Spur, Und liebst mit ihnen die Natur, Und ahmest solchen Meistern nach, Vor welche Phöbus Lorbern brach. Weit anders als die Reimsucht thut, Die Deutschland itzt mit ihrer Brut, Die täglich ärgre Jungen heckt, Gleich Pest und Seuchen angesteckt: Die unaufhörlich singt und reimt, Und leyrt, und heult, und rast, und träumt; Die, wenn ihr Lied am besten klingt, Vernunfft und Reim und Sylben zwingt, Mit ihrer Affter-Musen Frucht, Dem Pöbel zu gefallen sucht, Ein erbar Ohr mit Zoten quält, Kurtz, der sonst nichts, als alles fehlt.
Wo komm ich hin? mein Lobgedicht Gedenckt noch deiner Tugend nicht. Sie blieb zuletzt, und das mit Recht: Denn wäre sie gemein und schlecht, So hätt ich sie mit vielem lob'n, Wie sonst die Schmeichler thun, erhob'n. Allein ich mach es kurtz und gut, Du bist ein ehrlich deutsches Blut,
Und
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Von Sinn- und Schertz-Gedichten.
Weit beſſer wies ſich dein Verſtand, Weit beſſer ward er angewandt, Wenn du ihn vor die Redens-Art Die unſer Deutſchland braucht, geſpart. Hierinn haſt du es weit gebracht, Und ſtets den Unverſtand verlacht, Wenn mancher, deſſen Spruch nichts gilt, Uns zornig, deutſche Meiſter ſchilt. Du haſt dem allen nachgeſpuͤrt, Was unſre Sprache ſchimpft und ziert, Und Dich ſo wohl darinn geuͤbt, Daß jeder deine Schreibart liebt.
Jch ſchweige von der Poeſie O Freund, die macht dir keine Muͤh, Du kennſt der alten Dichter Zahl, Virgil, Horatz und Juvenal, Lucretz, Ovid, Lucans Pharſal, Terentz und Plaut und Martial, Und wie ſie heiſſen allzumahl. Doch was? Du kennſt ſie ja nicht nur, Du folgſt auch ihrer Bahn und Spur, Und liebſt mit ihnen die Natur, Und ahmeſt ſolchen Meiſtern nach, Vor welche Phoͤbus Lorbern brach. Weit anders als die Reimſucht thut, Die Deutſchland itzt mit ihrer Brut, Die taͤglich aͤrgre Jungen heckt, Gleich Peſt und Seuchen angeſteckt: Die unaufhoͤrlich ſingt und reimt, Und leyrt, und heult, und raſt, und traͤumt; Die, wenn ihr Lied am beſten klingt, Vernunfft und Reim und Sylben zwingt, Mit ihrer Affter-Muſen Frucht, Dem Poͤbel zu gefallen ſucht, Ein erbar Ohr mit Zoten quaͤlt, Kurtz, der ſonſt nichts, als alles fehlt.
Wo komm ich hin? mein Lobgedicht Gedenckt noch deiner Tugend nicht. Sie blieb zuletzt, und das mit Recht: Denn waͤre ſie gemein und ſchlecht, So haͤtt ich ſie mit vielem lob’n, Wie ſonſt die Schmeichler thun, erhob’n. Allein ich mach es kurtz und gut, Du biſt ein ehrlich deutſches Blut,
Und
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Von Sinn- und Schertz-Gedichten.
Weit beſſer wies ſich dein Verſtand,
Weit beſſer ward er angewandt,
Wenn du ihn vor die Redens-Art
Die unſer Deutſchland braucht, geſpart.
Hierinn haſt du es weit gebracht,
Und ſtets den Unverſtand verlacht,
Wenn mancher, deſſen Spruch nichts gilt,
Uns zornig, deutſche Meiſter ſchilt.
Du haſt dem allen nachgeſpuͤrt,
Was unſre Sprache ſchimpft und ziert,
Und Dich ſo wohl darinn geuͤbt,
Daß jeder deine Schreibart liebt.
Jch ſchweige von der Poeſie
O Freund, die macht dir keine Muͤh,
Du kennſt der alten Dichter Zahl,
Virgil, Horatz und Juvenal,
Lucretz, Ovid, Lucans Pharſal,
Terentz und Plaut und Martial,
Und wie ſie heiſſen allzumahl.
Doch was? Du kennſt ſie ja nicht nur,
Du folgſt auch ihrer Bahn und Spur,
Und liebſt mit ihnen die Natur,
Und ahmeſt ſolchen Meiſtern nach,
Vor welche Phoͤbus Lorbern brach.
Weit anders als die Reimſucht thut,
Die Deutſchland itzt mit ihrer Brut,
Die taͤglich aͤrgre Jungen heckt,
Gleich Peſt und Seuchen angeſteckt:
Die unaufhoͤrlich ſingt und reimt,
Und leyrt, und heult, und raſt, und traͤumt;
Die, wenn ihr Lied am beſten klingt,
Vernunfft und Reim und Sylben zwingt,
Mit ihrer Affter-Muſen Frucht,
Dem Poͤbel zu gefallen ſucht,
Ein erbar Ohr mit Zoten quaͤlt,
Kurtz, der ſonſt nichts, als alles fehlt.
Wo komm ich hin? mein Lobgedicht
Gedenckt noch deiner Tugend nicht.
Sie blieb zuletzt, und das mit Recht:
Denn waͤre ſie gemein und ſchlecht,
So haͤtt ich ſie mit vielem lob’n,
Wie ſonſt die Schmeichler thun, erhob’n.
Allein ich mach es kurtz und gut,
Du biſt ein ehrlich deutſches Blut,
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 501. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/529>, abgerufen am 11.12.2023.
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