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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

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Von Sinn- und Schertzgedichten.
A ha! das war philosophirt.
So gehts, wenn man zu viel studirt,
Jnsonderheit die Physicam,
Wie sie, gepriesner Bräutigam.
Doch sie verstehn dabey
Das Corpus Juris schöner Kinder,
Und den Proceß nicht minder.
Wohlan! Sie sind ein Advocat,
Und wir bedörfen guten Rath,
Ob die Exception in Rechten gültig sey,
Dafern ein Mädchen spricht: Ey, seyn, sie, nicht, so, lo-se!
Wenn irgend jemand käme!
Phi, nein, phi, nein, ich schäme,
Jch schäme mich zu tode.
Das reimt sich nun zwar nicht auf lofe,
Jndessen schickt sichs doch dazu,
So wie das Heu vor eine Kuh.
Noch eins fragt sich zuletzt,
Wenn man sich paar und paar in eine Kutsche setzt,
Wie man sich da mit Schertzen,
Mit Lachen, Spielen, Dalen, Hertzen
Am artigsten ergetzt?
Doch bald versehn, das weiß ein guter Freund
Weit besser, als sie selbst gemeynt.
Wir andre sehn nur hinten drein,
Und müssen arme Sünder seyn;
Wie jener auf der Post:
Jndem sein Camerade
Die süsse Liebes-Kost
Ohn alle Gnade
Vor seinen Augen hat verzehrt;
Fürwahr, das ist ein Schimpf, der Marck und Bein versehrt.
Nun kömmt das Lied vom Ende,
Jhr Leute klopfet in die Hände,
Das Quodlibet ist aus,
Und eilt ins Hochzeit-Haus.
Geh hin, du schlechtes Schertz-Gedicht,
Und zeige dich nur denen, die gern lachen,
Und jede Zeile nicht
Sogleich zum Ertz-Paßquille machen.
Der Bräutigam, ein kluger Themis-Sohn,
Versteht den Schertz von seinen Freunden schon,
Und seine schöne Pönickin
Erkennt mit hochvergnügtem Sinn,
Daß
Von Sinn- und Schertzgedichten.
A ha! das war philoſophirt.
So gehts, wenn man zu viel ſtudirt,
Jnſonderheit die Phyſicam,
Wie ſie, geprieſner Braͤutigam.
Doch ſie verſtehn dabey
Das Corpus Juris ſchoͤner Kinder,
Und den Proceß nicht minder.
Wohlan! Sie ſind ein Advocat,
Und wir bedoͤrfen guten Rath,
Ob die Exception in Rechten guͤltig ſey,
Dafern ein Maͤdchen ſpricht: Ey, ſeyn, ſie, nicht, ſo, lo-ſe!
Wenn irgend jemand kaͤme!
Phi, nein, phi, nein, ich ſchaͤme,
Jch ſchaͤme mich zu tode.
Das reimt ſich nun zwar nicht auf lofe,
Jndeſſen ſchickt ſichs doch dazu,
So wie das Heu vor eine Kuh.
Noch eins fragt ſich zuletzt,
Wenn man ſich paar und paar in eine Kutſche ſetzt,
Wie man ſich da mit Schertzen,
Mit Lachen, Spielen, Dalen, Hertzen
Am artigſten ergetzt?
Doch bald verſehn, das weiß ein guter Freund
Weit beſſer, als ſie ſelbſt gemeynt.
Wir andre ſehn nur hinten drein,
Und muͤſſen arme Suͤnder ſeyn;
Wie jener auf der Poſt:
Jndem ſein Camerade
Die ſuͤſſe Liebes-Koſt
Ohn alle Gnade
Vor ſeinen Augen hat verzehrt;
Fuͤrwahr, das iſt ein Schimpf, der Marck und Bein verſehrt.
Nun koͤmmt das Lied vom Ende,
Jhr Leute klopfet in die Haͤnde,
Das Quodlibet iſt aus,
Und eilt ins Hochzeit-Haus.
Geh hin, du ſchlechtes Schertz-Gedicht,
Und zeige dich nur denen, die gern lachen,
Und jede Zeile nicht
Sogleich zum Ertz-Paßquille machen.
Der Braͤutigam, ein kluger Themis-Sohn,
Verſteht den Schertz von ſeinen Freunden ſchon,
Und ſeine ſchoͤne Poͤnickin
Erkennt mit hochvergnuͤgtem Sinn,
Daß
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[511/0539] Von Sinn- und Schertzgedichten. A ha! das war philoſophirt. So gehts, wenn man zu viel ſtudirt, Jnſonderheit die Phyſicam, Wie ſie, geprieſner Braͤutigam. Doch ſie verſtehn dabey Das Corpus Juris ſchoͤner Kinder, Und den Proceß nicht minder. Wohlan! Sie ſind ein Advocat, Und wir bedoͤrfen guten Rath, Ob die Exception in Rechten guͤltig ſey, Dafern ein Maͤdchen ſpricht: Ey, ſeyn, ſie, nicht, ſo, lo-ſe! Wenn irgend jemand kaͤme! Phi, nein, phi, nein, ich ſchaͤme, Jch ſchaͤme mich zu tode. Das reimt ſich nun zwar nicht auf lofe, Jndeſſen ſchickt ſichs doch dazu, So wie das Heu vor eine Kuh. Noch eins fragt ſich zuletzt, Wenn man ſich paar und paar in eine Kutſche ſetzt, Wie man ſich da mit Schertzen, Mit Lachen, Spielen, Dalen, Hertzen Am artigſten ergetzt? Doch bald verſehn, das weiß ein guter Freund Weit beſſer, als ſie ſelbſt gemeynt. Wir andre ſehn nur hinten drein, Und muͤſſen arme Suͤnder ſeyn; Wie jener auf der Poſt: Jndem ſein Camerade Die ſuͤſſe Liebes-Koſt Ohn alle Gnade Vor ſeinen Augen hat verzehrt; Fuͤrwahr, das iſt ein Schimpf, der Marck und Bein verſehrt. Nun koͤmmt das Lied vom Ende, Jhr Leute klopfet in die Haͤnde, Das Quodlibet iſt aus, Und eilt ins Hochzeit-Haus. Geh hin, du ſchlechtes Schertz-Gedicht, Und zeige dich nur denen, die gern lachen, Und jede Zeile nicht Sogleich zum Ertz-Paßquille machen. Der Braͤutigam, ein kluger Themis-Sohn, Verſteht den Schertz von ſeinen Freunden ſchon, Und ſeine ſchoͤne Poͤnickin Erkennt mit hochvergnuͤgtem Sinn, Daß

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Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 511. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/539>, abgerufen am 29.04.2024.