gehabt. Denn sie ist auch nur die Erzehlung einer wahren Historie, mit einigen darzu gedichteten und untermischten Fa- beln. Wäre aber dieses zu einer Epopee genug, so sehe ich nicht, warum wir Deutschen nicht auch schon an Bergonens und Areteen Liebes- und Helden-Geschichten dergleichen auf- zuweisen hätten, welche ein Preußischer Edelmann, Otto Friedrich von der Gröben im Jahr 1700. in einem starcken Quart-Bande heraus gegeben. Dieses lange Gedichte be- schreibt des Verfassers eigene Reisen ins Gelobte Land, so wie Alonzo seinen eigenen Feld-Zug wieder ein Americani- sches Volck. Es sind Fabeln genug darzwischen gedichtet, indem seine Aretee und ihr Bruder Sfortunian eine sehr ar- tige Verwirrung in der Geschicht machen, dadurch er allego- risch die Tugend und das Unglück anzeigen wollen. Und ich könnte dergestalt meinem Vaterlande die Ehre beylegen, daß es den ersten Epischen Dichter in Deutschland hervor ge- bracht hätte: wann es nicht vernünftiger wäre, bey den Re- geln und Mustern der Alten zu bleiben.
Jch übergehe hier auch mit Fleiß den Milton und Cha- pelain, davon jener in Engelland sein verlohrnes Paradieß, dieser in Franckreich sein Mägdchen von Orleans in einem Helden-Gedichte beschrieben. Ohne Zweifel hat dieser letz- tere die Regeln der Epopee besser als jener beobachtet: gleich- wohl aber ist er, wegen der schlechten Verse, so er gemacht, von gantz Franckreich, den Perrault ausgenommen, mit sei- ner so vieljahrigen Arbeit nur ausgelacht worden. Man hat, wie bekannt, den Vers auf ihn gemacht:
Illa Capellani dudum exspectata Puella, Post tot in lucem tempora prodit anus.
Man kan bey uns Deutschen von Postels Wittekind eben das sagen. Seine Fabel an sich, oder das Gedichte selbst ist besser als seine rauhe und garstige Verse: daher sich sehr we- nige überwinden können, ein so verdrießliches Werck zu lesen. Milton hat hingegen in Engelland durch den Beyfall einiger Critic-verständigen, als Roscomons, Addisons, und Steeles die Hochachtung seiner gantzen Nation erlanget, und ist noch neulich ins frantzösische übersetzt heraus gekommen. Wir
haben
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Von der Epopee oder dem Helden-Gedichte.
gehabt. Denn ſie iſt auch nur die Erzehlung einer wahren Hiſtorie, mit einigen darzu gedichteten und untermiſchten Fa- beln. Waͤre aber dieſes zu einer Epopee genug, ſo ſehe ich nicht, warum wir Deutſchen nicht auch ſchon an Bergonens und Areteen Liebes- und Helden-Geſchichten dergleichen auf- zuweiſen haͤtten, welche ein Preußiſcher Edelmann, Otto Friedrich von der Groͤben im Jahr 1700. in einem ſtarcken Quart-Bande heraus gegeben. Dieſes lange Gedichte be- ſchreibt des Verfaſſers eigene Reiſen ins Gelobte Land, ſo wie Alonzo ſeinen eigenen Feld-Zug wieder ein Americani- ſches Volck. Es ſind Fabeln genug darzwiſchen gedichtet, indem ſeine Aretee und ihr Bruder Sfortunian eine ſehr ar- tige Verwirrung in der Geſchicht machen, dadurch er allego- riſch die Tugend und das Ungluͤck anzeigen wollen. Und ich koͤnnte dergeſtalt meinem Vaterlande die Ehre beylegen, daß es den erſten Epiſchen Dichter in Deutſchland hervor ge- bracht haͤtte: wann es nicht vernuͤnftiger waͤre, bey den Re- geln und Muſtern der Alten zu bleiben.
Jch uͤbergehe hier auch mit Fleiß den Milton und Cha- pelain, davon jener in Engelland ſein verlohrnes Paradieß, dieſer in Franckreich ſein Maͤgdchen von Orleans in einem Helden-Gedichte beſchrieben. Ohne Zweifel hat dieſer letz- tere die Regeln der Epopee beſſer als jener beobachtet: gleich- wohl aber iſt er, wegen der ſchlechten Verſe, ſo er gemacht, von gantz Franckreich, den Perrault ausgenommen, mit ſei- ner ſo vieljahrigen Arbeit nur ausgelacht worden. Man hat, wie bekannt, den Vers auf ihn gemacht:
Illa Capellani dudum exſpectata Puella, Poſt tot in lucem tempora prodit anus.
Man kan bey uns Deutſchen von Poſtels Wittekind eben das ſagen. Seine Fabel an ſich, oder das Gedichte ſelbſt iſt beſſer als ſeine rauhe und garſtige Verſe: daher ſich ſehr we- nige uͤberwinden koͤnnen, ein ſo verdrießliches Werck zu leſen. Milton hat hingegen in Engelland durch den Beyfall einiger Critic-verſtaͤndigen, als Roſcomons, Addiſons, und Steeles die Hochachtung ſeiner gantzen Nation erlanget, und iſt noch neulich ins frantzoͤſiſche uͤberſetzt heraus gekommen. Wir
haben
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Von der Epopee oder dem Helden-Gedichte.
gehabt. Denn ſie iſt auch nur die Erzehlung einer wahren
Hiſtorie, mit einigen darzu gedichteten und untermiſchten Fa-
beln. Waͤre aber dieſes zu einer Epopee genug, ſo ſehe ich
nicht, warum wir Deutſchen nicht auch ſchon an Bergonens
und Areteen Liebes- und Helden-Geſchichten dergleichen auf-
zuweiſen haͤtten, welche ein Preußiſcher Edelmann, Otto
Friedrich von der Groͤben im Jahr 1700. in einem ſtarcken
Quart-Bande heraus gegeben. Dieſes lange Gedichte be-
ſchreibt des Verfaſſers eigene Reiſen ins Gelobte Land, ſo
wie Alonzo ſeinen eigenen Feld-Zug wieder ein Americani-
ſches Volck. Es ſind Fabeln genug darzwiſchen gedichtet,
indem ſeine Aretee und ihr Bruder Sfortunian eine ſehr ar-
tige Verwirrung in der Geſchicht machen, dadurch er allego-
riſch die Tugend und das Ungluͤck anzeigen wollen. Und ich
koͤnnte dergeſtalt meinem Vaterlande die Ehre beylegen, daß
es den erſten Epiſchen Dichter in Deutſchland hervor ge-
bracht haͤtte: wann es nicht vernuͤnftiger waͤre, bey den Re-
geln und Muſtern der Alten zu bleiben.
Jch uͤbergehe hier auch mit Fleiß den Milton und Cha-
pelain, davon jener in Engelland ſein verlohrnes Paradieß,
dieſer in Franckreich ſein Maͤgdchen von Orleans in einem
Helden-Gedichte beſchrieben. Ohne Zweifel hat dieſer letz-
tere die Regeln der Epopee beſſer als jener beobachtet: gleich-
wohl aber iſt er, wegen der ſchlechten Verſe, ſo er gemacht,
von gantz Franckreich, den Perrault ausgenommen, mit ſei-
ner ſo vieljahrigen Arbeit nur ausgelacht worden. Man hat,
wie bekannt, den Vers auf ihn gemacht:
Illa Capellani dudum exſpectata Puella,
Poſt tot in lucem tempora prodit anus.
Man kan bey uns Deutſchen von Poſtels Wittekind eben
das ſagen. Seine Fabel an ſich, oder das Gedichte ſelbſt iſt
beſſer als ſeine rauhe und garſtige Verſe: daher ſich ſehr we-
nige uͤberwinden koͤnnen, ein ſo verdrießliches Werck zu leſen.
Milton hat hingegen in Engelland durch den Beyfall einiger
Critic-verſtaͤndigen, als Roſcomons, Addiſons, und Steeles
die Hochachtung ſeiner gantzen Nation erlanget, und iſt noch
neulich ins frantzoͤſiſche uͤberſetzt heraus gekommen. Wir
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 547. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/575>, abgerufen am 17.06.2024.
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