Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

In Deutschland sind die Klassen der Menschen, oder besser, die Menschen der
Klassen, durchaus verschieden von einander. Daher das Steife, sogar aus der Straße.
Der Mensch denkt immer an sein Amt und an seine Cravatte. In Frankreich gibt's
keine Klassen, blos Menschen oder Unmenschen; aber beisammen scheinen letztere sogar
menschlich, da sie ihre Laster liebenswürdig zu machen suchen. Dies sind freilich ober¬
flächliche Bemerkungen, Frauenbemerkungen, wenn Sie wollen, aber sie sind nichts desto
weniger wahr. Eine jede Nation hält sich für die vollkommenste, der Deutsche aber
hat einen andern Stolz, er hält sich für den Bescheidensten, und das ist oft der uner¬
träglichste Stolz von Allen.

Die Sitten eines Landes sind bessere Gesetzbücher als alle Coden und Pandekten,
und alle Vor- und Nachtheile entspringen ihnen. Es gibt in einem Staatsleben nichts
Kleines und Geringfügiges. Alles verkettet sich in Eins zusammen; der Strickstrumpf,
die Toilette, die Küche, der Betschemel, das Lied, das Buch, das Journal, bis zur
That, alles hängt an einem Faden und trägt zum Ganzen bei.

Einigen anspruchslosen Bemerkungen, die ich flüchtig in mein Notizenbuch eingetra¬
gen, mögen Sie den Raum in Ihrem Blatte nicht versagen.

Baden-Baden krümmt sich wie eine Schlange zwischen Berg und Fels hin. Wies¬
baden hingegen schläft an einem Hügel, wie ein unschuldiges Mädchen, das im Herzen
eine heißsprudelnde Leidenschaft trägt. Baden-Baden ist ein Dorf, Wiesbaden eine Stadt.
Ersteres Bad hat den ungeheuern Vortheil, daß die Gäste weder Frankfurter, noch Mainzer
sind, die sich einander kennen und sich einander langweilen. In Baden-Baden ist freies
Leben, lebendige Conversation, ein wirkliches Klein-Paris; in Wiesbaden ist alle Sonn¬
tag und Mittwoch Kirmeß. Lewald hat eine der reizendsten Wohnungen in Baden. Es
würde der Europa nicht schaden, wenn er einmal seine Haushaltung selbst darin abgra-
vieren ließe.

Carlsruhe ist das langweiligste Städtchen zwischen Wald und Sand, das ich kenne.
Wenn man am Schlosse ist, kömmt es einem vor, wie eine Commode, jede Straße
eine Schnblade drin. Wären die Straßen nicht so breit und die Stadt mehr auf die
Schnur gebaut, dann wäre es hübsch. Wann werden unsere Baumeister einsehen, daß
die Alten mehr verstanden haben als sie, und daß eine Stadt keine Caserne ist. Das
kleinste alte Städtchen ist interessanter, schöner, als die neuen großen Städte. Breite
Straßen für eine kleine Stadt ohne Menschen! das ist lächerlicher, als wenn ein Knabe
Riesenhosen trägt.

Niklas Becker in Cöln, ist ein schlanker, eben nicht sehr reizender Deutscher, ver-
schönert durch eine Brille und durch ein gutes Gemüth. Die Natur hat ihn zum Ehe-
mann geschaffen, der Rhein machte einen Dichter aus ihm.

Zu Mainz lernte ich den liebenswürdigen Moriz aus Stuttgart kennen, der ein¬
zige deutsche Künstler, der auch ein Urtheil über Literatur hat. Daß Deutschland
Künstler hat wie Moriz, die weit mehr als Schauspieler sind, tröstete mich mit seiner
Zukunft. Moriz hat Stoff genug in sich für einen Diplomaten, und oben drein ist

In Deutschland sind die Klassen der Menschen, oder besser, die Menschen der
Klassen, durchaus verschieden von einander. Daher das Steife, sogar aus der Straße.
Der Mensch denkt immer an sein Amt und an seine Cravatte. In Frankreich gibt's
keine Klassen, blos Menschen oder Unmenschen; aber beisammen scheinen letztere sogar
menschlich, da sie ihre Laster liebenswürdig zu machen suchen. Dies sind freilich ober¬
flächliche Bemerkungen, Frauenbemerkungen, wenn Sie wollen, aber sie sind nichts desto
weniger wahr. Eine jede Nation hält sich für die vollkommenste, der Deutsche aber
hat einen andern Stolz, er hält sich für den Bescheidensten, und das ist oft der uner¬
träglichste Stolz von Allen.

Die Sitten eines Landes sind bessere Gesetzbücher als alle Coden und Pandekten,
und alle Vor- und Nachtheile entspringen ihnen. Es gibt in einem Staatsleben nichts
Kleines und Geringfügiges. Alles verkettet sich in Eins zusammen; der Strickstrumpf,
die Toilette, die Küche, der Betschemel, das Lied, das Buch, das Journal, bis zur
That, alles hängt an einem Faden und trägt zum Ganzen bei.

Einigen anspruchslosen Bemerkungen, die ich flüchtig in mein Notizenbuch eingetra¬
gen, mögen Sie den Raum in Ihrem Blatte nicht versagen.

Baden-Baden krümmt sich wie eine Schlange zwischen Berg und Fels hin. Wies¬
baden hingegen schläft an einem Hügel, wie ein unschuldiges Mädchen, das im Herzen
eine heißsprudelnde Leidenschaft trägt. Baden-Baden ist ein Dorf, Wiesbaden eine Stadt.
Ersteres Bad hat den ungeheuern Vortheil, daß die Gäste weder Frankfurter, noch Mainzer
sind, die sich einander kennen und sich einander langweilen. In Baden-Baden ist freies
Leben, lebendige Conversation, ein wirkliches Klein-Paris; in Wiesbaden ist alle Sonn¬
tag und Mittwoch Kirmeß. Lewald hat eine der reizendsten Wohnungen in Baden. Es
würde der Europa nicht schaden, wenn er einmal seine Haushaltung selbst darin abgra-
vieren ließe.

Carlsruhe ist das langweiligste Städtchen zwischen Wald und Sand, das ich kenne.
Wenn man am Schlosse ist, kömmt es einem vor, wie eine Commode, jede Straße
eine Schnblade drin. Wären die Straßen nicht so breit und die Stadt mehr auf die
Schnur gebaut, dann wäre es hübsch. Wann werden unsere Baumeister einsehen, daß
die Alten mehr verstanden haben als sie, und daß eine Stadt keine Caserne ist. Das
kleinste alte Städtchen ist interessanter, schöner, als die neuen großen Städte. Breite
Straßen für eine kleine Stadt ohne Menschen! das ist lächerlicher, als wenn ein Knabe
Riesenhosen trägt.

Niklas Becker in Cöln, ist ein schlanker, eben nicht sehr reizender Deutscher, ver-
schönert durch eine Brille und durch ein gutes Gemüth. Die Natur hat ihn zum Ehe-
mann geschaffen, der Rhein machte einen Dichter aus ihm.

Zu Mainz lernte ich den liebenswürdigen Moriz aus Stuttgart kennen, der ein¬
zige deutsche Künstler, der auch ein Urtheil über Literatur hat. Daß Deutschland
Künstler hat wie Moriz, die weit mehr als Schauspieler sind, tröstete mich mit seiner
Zukunft. Moriz hat Stoff genug in sich für einen Diplomaten, und oben drein ist

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/179520" n="129" facs="#f0137"/>
          <p>In Deutschland sind die Klassen der Menschen, oder besser, die Menschen der<lb/>
Klassen, durchaus verschieden von einander. Daher das Steife, sogar aus der Straße.<lb/>
Der Mensch denkt immer an sein Amt und an seine Cravatte. In Frankreich gibt's<lb/>
keine Klassen, blos Menschen oder Unmenschen; aber beisammen scheinen letztere sogar<lb/>
menschlich, da sie ihre Laster liebenswürdig zu machen suchen. Dies sind freilich ober¬<lb/>
flächliche Bemerkungen, Frauenbemerkungen, wenn Sie wollen, aber sie sind nichts desto<lb/>
weniger wahr. Eine jede Nation hält sich für die vollkommenste, der Deutsche aber<lb/>
hat einen andern Stolz, er hält sich für den Bescheidensten, und das ist oft der uner¬<lb/>
träglichste Stolz von Allen.</p><lb/>
          <p>Die Sitten eines Landes sind bessere Gesetzbücher als alle Coden und Pandekten,<lb/>
und alle Vor- und Nachtheile entspringen ihnen. Es gibt in einem Staatsleben nichts<lb/>
Kleines und Geringfügiges. Alles verkettet sich in Eins zusammen; der Strickstrumpf,<lb/>
die Toilette, die Küche, der Betschemel, das Lied, das Buch, das Journal, bis zur<lb/>
That, alles hängt an einem Faden und trägt zum Ganzen bei.</p><lb/>
          <p>Einigen anspruchslosen Bemerkungen, die ich flüchtig in mein Notizenbuch eingetra¬<lb/>
gen, mögen Sie den Raum in Ihrem Blatte nicht versagen.</p><lb/>
          <p>Baden-Baden krümmt sich wie eine Schlange zwischen Berg und Fels hin. Wies¬<lb/>
baden hingegen schläft an einem Hügel, wie ein unschuldiges Mädchen, das im Herzen<lb/>
eine heißsprudelnde Leidenschaft trägt. Baden-Baden ist ein Dorf, Wiesbaden eine Stadt.<lb/>
Ersteres Bad hat den ungeheuern Vortheil, daß die Gäste weder Frankfurter, noch Mainzer<lb/>
sind, die sich einander kennen und sich einander langweilen. In Baden-Baden ist freies<lb/>
Leben, lebendige Conversation, ein wirkliches Klein-Paris; in Wiesbaden ist alle Sonn¬<lb/>
tag und Mittwoch Kirmeß. <hi rendition="#g">Lewald</hi> hat eine der reizendsten Wohnungen in Baden. Es<lb/>
würde der Europa nicht schaden, wenn er einmal seine Haushaltung selbst darin abgra-<lb/>
vieren ließe.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Carlsruhe</hi> ist das langweiligste Städtchen zwischen Wald und Sand, das ich kenne.<lb/>
Wenn man am Schlosse ist, kömmt es einem vor, wie eine Commode, jede Straße<lb/>
eine Schnblade drin. Wären die Straßen nicht so breit und die Stadt mehr auf die<lb/>
Schnur gebaut, dann wäre es hübsch. Wann werden unsere Baumeister einsehen, daß<lb/>
die Alten mehr verstanden haben als sie, und daß eine Stadt keine Caserne ist. Das<lb/>
kleinste alte Städtchen ist interessanter, schöner, als die neuen großen Städte. Breite<lb/>
Straßen für eine kleine Stadt ohne Menschen! das ist lächerlicher, als wenn ein Knabe<lb/>
Riesenhosen trägt.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Niklas Becker</hi> in Cöln, ist ein schlanker, eben nicht sehr reizender Deutscher, ver-<lb/>
schönert durch eine Brille und durch ein gutes Gemüth. Die Natur hat ihn zum Ehe-<lb/>
mann geschaffen, der Rhein machte einen Dichter aus ihm.</p><lb/>
          <p>Zu Mainz lernte ich den liebenswürdigen <hi rendition="#g">Moriz</hi> aus Stuttgart kennen, der ein¬<lb/>
zige deutsche Künstler, der auch ein Urtheil über Literatur hat. Daß Deutschland<lb/>
Künstler hat wie Moriz, die weit mehr als Schauspieler sind, tröstete mich mit seiner<lb/>
Zukunft. Moriz hat Stoff genug in sich für einen Diplomaten, und oben drein ist<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[129/0137] In Deutschland sind die Klassen der Menschen, oder besser, die Menschen der Klassen, durchaus verschieden von einander. Daher das Steife, sogar aus der Straße. Der Mensch denkt immer an sein Amt und an seine Cravatte. In Frankreich gibt's keine Klassen, blos Menschen oder Unmenschen; aber beisammen scheinen letztere sogar menschlich, da sie ihre Laster liebenswürdig zu machen suchen. Dies sind freilich ober¬ flächliche Bemerkungen, Frauenbemerkungen, wenn Sie wollen, aber sie sind nichts desto weniger wahr. Eine jede Nation hält sich für die vollkommenste, der Deutsche aber hat einen andern Stolz, er hält sich für den Bescheidensten, und das ist oft der uner¬ träglichste Stolz von Allen. Die Sitten eines Landes sind bessere Gesetzbücher als alle Coden und Pandekten, und alle Vor- und Nachtheile entspringen ihnen. Es gibt in einem Staatsleben nichts Kleines und Geringfügiges. Alles verkettet sich in Eins zusammen; der Strickstrumpf, die Toilette, die Küche, der Betschemel, das Lied, das Buch, das Journal, bis zur That, alles hängt an einem Faden und trägt zum Ganzen bei. Einigen anspruchslosen Bemerkungen, die ich flüchtig in mein Notizenbuch eingetra¬ gen, mögen Sie den Raum in Ihrem Blatte nicht versagen. Baden-Baden krümmt sich wie eine Schlange zwischen Berg und Fels hin. Wies¬ baden hingegen schläft an einem Hügel, wie ein unschuldiges Mädchen, das im Herzen eine heißsprudelnde Leidenschaft trägt. Baden-Baden ist ein Dorf, Wiesbaden eine Stadt. Ersteres Bad hat den ungeheuern Vortheil, daß die Gäste weder Frankfurter, noch Mainzer sind, die sich einander kennen und sich einander langweilen. In Baden-Baden ist freies Leben, lebendige Conversation, ein wirkliches Klein-Paris; in Wiesbaden ist alle Sonn¬ tag und Mittwoch Kirmeß. Lewald hat eine der reizendsten Wohnungen in Baden. Es würde der Europa nicht schaden, wenn er einmal seine Haushaltung selbst darin abgra- vieren ließe. Carlsruhe ist das langweiligste Städtchen zwischen Wald und Sand, das ich kenne. Wenn man am Schlosse ist, kömmt es einem vor, wie eine Commode, jede Straße eine Schnblade drin. Wären die Straßen nicht so breit und die Stadt mehr auf die Schnur gebaut, dann wäre es hübsch. Wann werden unsere Baumeister einsehen, daß die Alten mehr verstanden haben als sie, und daß eine Stadt keine Caserne ist. Das kleinste alte Städtchen ist interessanter, schöner, als die neuen großen Städte. Breite Straßen für eine kleine Stadt ohne Menschen! das ist lächerlicher, als wenn ein Knabe Riesenhosen trägt. Niklas Becker in Cöln, ist ein schlanker, eben nicht sehr reizender Deutscher, ver- schönert durch eine Brille und durch ein gutes Gemüth. Die Natur hat ihn zum Ehe- mann geschaffen, der Rhein machte einen Dichter aus ihm. Zu Mainz lernte ich den liebenswürdigen Moriz aus Stuttgart kennen, der ein¬ zige deutsche Künstler, der auch ein Urtheil über Literatur hat. Daß Deutschland Künstler hat wie Moriz, die weit mehr als Schauspieler sind, tröstete mich mit seiner Zukunft. Moriz hat Stoff genug in sich für einen Diplomaten, und oben drein ist

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-11-19T17:23:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Bayerische Staatbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Signatur Per 61 k-1). (2013-11-19T17:23:38Z)

Weitere Informationen:

Art der Texterfassung: OCR.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/137
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/137>, abgerufen am 01.05.2024.