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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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durchaus aller Perspektive; es nimmt sich wie eine große Vignette aus; unwillkührlich
wird man an die Illustrationen erinnert, in denen sich Coomans Erfindungsgabe be¬
währt. Die beste Partie in der Erstürmung von Jerusalem ist der Kreuzprediger Pe¬
ter, der unter den Mauern auf einer Erhöhung steht; neben ihm ist ein Pfeil in den
Boden geschlagen; doch bietet sich dieser Gedanke leicht dar. -- Für manche treffliche
Stücke wäre ein günstigerer Platz zu wünschen gewesen, welches bei der Beschränktheit
des Saales Schwierigkeiten finden mag; indessen hätte hie und da eine Tafel von we¬
nig Bedeutung, ohne Nachtheil, weichen können. -- Die Menge der Institute für die
Kunst, welche es jetzt giebt, sollte einen mächtigern Einfluß auf den guten Geschmack
erwarten lassen. Aber die Hunderte von Aktionären eines Kunstvereins tragen verhält-
nißmäßig nur wenig dazu bei, wenn ein Umschwung in der artistischen Welt geschieht,
wenn neue Schulen gegründet, neue Bahnen eröffnet werden. Dies ist das Werk Ein¬
zelner. Die Summen, welche man zusammenbringt, dienen mehr den Künstlern als
der Kunst und selbst so großartige Anstalten, wie die Nationalausstellungen in den drei
belgischen Kunsthauptstädten, bringen nicht viel mehr zu Wege, als die Gelegenheit zu
erleichtern, sich vor dem großen Publikum zu produciren. Es scheint, als wenn eine
stärkere Einwirkung auf die arbeitenden Kräfte selbst möglich wäre. Was ließe sich
nicht hoffen, wenn die bisher getrennten Akademien für Kunst und für Wissenschaft sich
verbänden, wenn sie, ohne sich zu verschmelzen, in regelmäßiger Weise, dem gemein¬
samen Ziel, dem sie dienen, -- der Bildung des öffentlichen Geistes und des Geschmacks,
-- zusammen die Hand liehen? Würden die Sitzungen hochstudirter Akademiker an
Gehalt und Interesse verlieren, wenn man einige kostbare Stunden den Documenten
der Vorzeit entrisse, wenn man zuweilen die von feinem Wissen strotzenden Memoiren
zur Seite thäte, um mir den Meistern der Palette, des Grabstichels uud des Meißels
die schönen Lebensfragen der Kunst zu verhandeln? Und auf der andern Seite die
Kunstvereine! Sollte nicht die Gegenwart erleuchteter Denker und geistvoller Forscher
in ihre Säle ein neues Lebenselement, einen neuen Antrieb bringen? Ein flüchtiger
Gang durch die modernen Anstalten für bildende Kunst überzeugt uns leicht, daß es
der strebenden, sich versuchenden Jugend an Gedanken, an freier Auffassung des Stof¬
fes fehlt. Die Kunstschule ist vor Allem auf das Technische gewiesen, auf diesem Felde
muß sie ihre Kräfte möglichst concentriren. Doch reicht das nicht aus. Mögen einmal
die Kunstvereine ihre Thore den Akademien des Wissens aufthun, und jener fördernden Kri¬
tik, welche neue Wege zu weisen und noch unverbrauchte Ideen an die Hand zu geben
versteht. Die Wissenschaft und Gelehrsamkeit müßte sehr unfruchtbar sein, welchc durch
diese Vermählung nicht zum Gewinn der Gesellschaft, ja des Vaterlandes beitrüge, oder
sehr spröde und dem Leben feind, wenn sie vor einer so edlen Allianz zurückschreckte. --

Sch.


durchaus aller Perspektive; es nimmt sich wie eine große Vignette aus; unwillkührlich
wird man an die Illustrationen erinnert, in denen sich Coomans Erfindungsgabe be¬
währt. Die beste Partie in der Erstürmung von Jerusalem ist der Kreuzprediger Pe¬
ter, der unter den Mauern auf einer Erhöhung steht; neben ihm ist ein Pfeil in den
Boden geschlagen; doch bietet sich dieser Gedanke leicht dar. — Für manche treffliche
Stücke wäre ein günstigerer Platz zu wünschen gewesen, welches bei der Beschränktheit
des Saales Schwierigkeiten finden mag; indessen hätte hie und da eine Tafel von we¬
nig Bedeutung, ohne Nachtheil, weichen können. — Die Menge der Institute für die
Kunst, welche es jetzt giebt, sollte einen mächtigern Einfluß auf den guten Geschmack
erwarten lassen. Aber die Hunderte von Aktionären eines Kunstvereins tragen verhält-
nißmäßig nur wenig dazu bei, wenn ein Umschwung in der artistischen Welt geschieht,
wenn neue Schulen gegründet, neue Bahnen eröffnet werden. Dies ist das Werk Ein¬
zelner. Die Summen, welche man zusammenbringt, dienen mehr den Künstlern als
der Kunst und selbst so großartige Anstalten, wie die Nationalausstellungen in den drei
belgischen Kunsthauptstädten, bringen nicht viel mehr zu Wege, als die Gelegenheit zu
erleichtern, sich vor dem großen Publikum zu produciren. Es scheint, als wenn eine
stärkere Einwirkung auf die arbeitenden Kräfte selbst möglich wäre. Was ließe sich
nicht hoffen, wenn die bisher getrennten Akademien für Kunst und für Wissenschaft sich
verbänden, wenn sie, ohne sich zu verschmelzen, in regelmäßiger Weise, dem gemein¬
samen Ziel, dem sie dienen, — der Bildung des öffentlichen Geistes und des Geschmacks,
— zusammen die Hand liehen? Würden die Sitzungen hochstudirter Akademiker an
Gehalt und Interesse verlieren, wenn man einige kostbare Stunden den Documenten
der Vorzeit entrisse, wenn man zuweilen die von feinem Wissen strotzenden Memoiren
zur Seite thäte, um mir den Meistern der Palette, des Grabstichels uud des Meißels
die schönen Lebensfragen der Kunst zu verhandeln? Und auf der andern Seite die
Kunstvereine! Sollte nicht die Gegenwart erleuchteter Denker und geistvoller Forscher
in ihre Säle ein neues Lebenselement, einen neuen Antrieb bringen? Ein flüchtiger
Gang durch die modernen Anstalten für bildende Kunst überzeugt uns leicht, daß es
der strebenden, sich versuchenden Jugend an Gedanken, an freier Auffassung des Stof¬
fes fehlt. Die Kunstschule ist vor Allem auf das Technische gewiesen, auf diesem Felde
muß sie ihre Kräfte möglichst concentriren. Doch reicht das nicht aus. Mögen einmal
die Kunstvereine ihre Thore den Akademien des Wissens aufthun, und jener fördernden Kri¬
tik, welche neue Wege zu weisen und noch unverbrauchte Ideen an die Hand zu geben
versteht. Die Wissenschaft und Gelehrsamkeit müßte sehr unfruchtbar sein, welchc durch
diese Vermählung nicht zum Gewinn der Gesellschaft, ja des Vaterlandes beitrüge, oder
sehr spröde und dem Leben feind, wenn sie vor einer so edlen Allianz zurückschreckte. —

Sch.


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[275/0283] durchaus aller Perspektive; es nimmt sich wie eine große Vignette aus; unwillkührlich wird man an die Illustrationen erinnert, in denen sich Coomans Erfindungsgabe be¬ währt. Die beste Partie in der Erstürmung von Jerusalem ist der Kreuzprediger Pe¬ ter, der unter den Mauern auf einer Erhöhung steht; neben ihm ist ein Pfeil in den Boden geschlagen; doch bietet sich dieser Gedanke leicht dar. — Für manche treffliche Stücke wäre ein günstigerer Platz zu wünschen gewesen, welches bei der Beschränktheit des Saales Schwierigkeiten finden mag; indessen hätte hie und da eine Tafel von we¬ nig Bedeutung, ohne Nachtheil, weichen können. — Die Menge der Institute für die Kunst, welche es jetzt giebt, sollte einen mächtigern Einfluß auf den guten Geschmack erwarten lassen. Aber die Hunderte von Aktionären eines Kunstvereins tragen verhält- nißmäßig nur wenig dazu bei, wenn ein Umschwung in der artistischen Welt geschieht, wenn neue Schulen gegründet, neue Bahnen eröffnet werden. Dies ist das Werk Ein¬ zelner. Die Summen, welche man zusammenbringt, dienen mehr den Künstlern als der Kunst und selbst so großartige Anstalten, wie die Nationalausstellungen in den drei belgischen Kunsthauptstädten, bringen nicht viel mehr zu Wege, als die Gelegenheit zu erleichtern, sich vor dem großen Publikum zu produciren. Es scheint, als wenn eine stärkere Einwirkung auf die arbeitenden Kräfte selbst möglich wäre. Was ließe sich nicht hoffen, wenn die bisher getrennten Akademien für Kunst und für Wissenschaft sich verbänden, wenn sie, ohne sich zu verschmelzen, in regelmäßiger Weise, dem gemein¬ samen Ziel, dem sie dienen, — der Bildung des öffentlichen Geistes und des Geschmacks, — zusammen die Hand liehen? Würden die Sitzungen hochstudirter Akademiker an Gehalt und Interesse verlieren, wenn man einige kostbare Stunden den Documenten der Vorzeit entrisse, wenn man zuweilen die von feinem Wissen strotzenden Memoiren zur Seite thäte, um mir den Meistern der Palette, des Grabstichels uud des Meißels die schönen Lebensfragen der Kunst zu verhandeln? Und auf der andern Seite die Kunstvereine! Sollte nicht die Gegenwart erleuchteter Denker und geistvoller Forscher in ihre Säle ein neues Lebenselement, einen neuen Antrieb bringen? Ein flüchtiger Gang durch die modernen Anstalten für bildende Kunst überzeugt uns leicht, daß es der strebenden, sich versuchenden Jugend an Gedanken, an freier Auffassung des Stof¬ fes fehlt. Die Kunstschule ist vor Allem auf das Technische gewiesen, auf diesem Felde muß sie ihre Kräfte möglichst concentriren. Doch reicht das nicht aus. Mögen einmal die Kunstvereine ihre Thore den Akademien des Wissens aufthun, und jener fördernden Kri¬ tik, welche neue Wege zu weisen und noch unverbrauchte Ideen an die Hand zu geben versteht. Die Wissenschaft und Gelehrsamkeit müßte sehr unfruchtbar sein, welchc durch diese Vermählung nicht zum Gewinn der Gesellschaft, ja des Vaterlandes beitrüge, oder sehr spröde und dem Leben feind, wenn sie vor einer so edlen Allianz zurückschreckte. — Sch.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/283>, abgerufen am 27.04.2024.