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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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ausgebeutet. Wir sind gewiß keine Freunde von einer Beschränkung der Presse, welcher Art
sie auch sei. Ist aber in einem Lande der Grundsatz einmal aufgestellt, daß die Erzeugnisse
des Buchdrucks überwacht werden müssen, dann wahrlich verdient das Buch jenes unglückseli¬
gen Weibes vor allen andern den hemmenden Bannstrahl. Haben sich doch sogar hier vielfache
Stimmen gegen den Erlaub dieser nichtswürdigen Art von Publication erhoben.

Es ist uns nicht darum zu thun, heißt es in einem dieser Artikel, über die Schuld oder
Unschuld der Mad. Lafarge zu entscheiden; eben so wenig wollen wir untersuchen, ob ihr Buch
geistreich sei oder nicht; wir fragen mir, ob die Regierung das Recht hatte, die Veröffent¬
lichung eines Buches geschehen zu lassen, vor welchem als Vorrede eine Verurteilung zu
Zwangsarbeiten steht.

Das Recht, seine Gedanken öffentlich auszusprechen, kommt den Franzosen zu, aber nicht
den Galeerengefangenen, die keinem Lande mehr angehören, sobald die Hand der Gerechtig¬
keit sie getroffen hat.

Diese Memoiren enthalten nicht die schmerzliche und Theilnahme fordernde Vertheidi¬
gung einer Frau, die ihre Unschuld erkräftigen will. Es ist diese Schrift vielmehr eine elende,
straflose Rache, welche hinter den Gittern eines Gefängnisses Schutz findet.

Was einem Schriftsteller einen höhern Charakter verleiht, ist die Verantwortlichkeit,
welche er vor der Welt und vor den Gesetzen übernimmt. Der Fall, von dem wir hier reden,
ist eine Entheiligung des Rechts der freien Mittheilung.

Die Gerichte haben der Mad. Lafarge nicht erlauben wollen zu sagen, was sie jetzt
schreibt. Ist dadurch nicht die Gerechtigkeit selbst, der frühere Ausspruch der Richter verhöhnt?

Die Herausgabe eines Werkes kann nicht ohne mancherlei Verkehr, ohne Unterhandlung
mit einem Verleger, einem Drucker, statt finden; da giebt es ein Hin- und Hergehen, da läßt
man sich in Correspondenzen und allerhand unvermeidliche Geschäfte ein, wozu die zur Be¬
wachung der Mad. Lafarge bestellten Leute die Hand haben bieten müssen. Dies ist nun ent¬
weder der Ordnung gemäß, oder es ist ein Ausnahmsfall. Ist es eine Ausnahme, so muß
man fragen, wer sie bewilligt. Ist es ein Recht, so haben wir nichts mehr zu sagen. Jeder
Sträfling wird denn aus seinem Gefängniß dem Publikum die Geschichte seiner Empfindun¬
gen und die Apologie seiner Verbrechen hinwerfen können. Wahrlich, das wäre eine Litera¬
tur der Zukunft! Wir haben eine klassische und eine romantische Literatur gehabt. Von
nun an werden wir eine Zuchthaus-Literatur haben. --

Jules Janin hat bekanntlich gleichfalls einen fulminanten Artikel gegen die Memoiren
dieser Giftmischerin geschrieben. Zufälligerweise findet es sich, daß der Feuilletonist der De¬
bats sich zu verheirathen gedenkt, und seine Verbindung mit der Tochter eines hiesigen bekann¬
ten Advocaten dieser Tage auf dem Hotel de Ville angezeigt hat. Dieß giebt zu allerlei schlech¬
ten und guten Witzen Veranlassung. Man sagt unter andern, wenn Madame Janin in den
Verdacht käme, ihren Gatten vergiftet zu haben, und man gezwungen wäre, seinen Leichnam
zu öffnen, so wäre die arme Frau verloren, denn in dem Innern des boshaften Feuilletonisten
würde man so viel Gift finden, um ganz Paris damit zu vergiften.

P.--


ausgebeutet. Wir sind gewiß keine Freunde von einer Beschränkung der Presse, welcher Art
sie auch sei. Ist aber in einem Lande der Grundsatz einmal aufgestellt, daß die Erzeugnisse
des Buchdrucks überwacht werden müssen, dann wahrlich verdient das Buch jenes unglückseli¬
gen Weibes vor allen andern den hemmenden Bannstrahl. Haben sich doch sogar hier vielfache
Stimmen gegen den Erlaub dieser nichtswürdigen Art von Publication erhoben.

Es ist uns nicht darum zu thun, heißt es in einem dieser Artikel, über die Schuld oder
Unschuld der Mad. Lafarge zu entscheiden; eben so wenig wollen wir untersuchen, ob ihr Buch
geistreich sei oder nicht; wir fragen mir, ob die Regierung das Recht hatte, die Veröffent¬
lichung eines Buches geschehen zu lassen, vor welchem als Vorrede eine Verurteilung zu
Zwangsarbeiten steht.

Das Recht, seine Gedanken öffentlich auszusprechen, kommt den Franzosen zu, aber nicht
den Galeerengefangenen, die keinem Lande mehr angehören, sobald die Hand der Gerechtig¬
keit sie getroffen hat.

Diese Memoiren enthalten nicht die schmerzliche und Theilnahme fordernde Vertheidi¬
gung einer Frau, die ihre Unschuld erkräftigen will. Es ist diese Schrift vielmehr eine elende,
straflose Rache, welche hinter den Gittern eines Gefängnisses Schutz findet.

Was einem Schriftsteller einen höhern Charakter verleiht, ist die Verantwortlichkeit,
welche er vor der Welt und vor den Gesetzen übernimmt. Der Fall, von dem wir hier reden,
ist eine Entheiligung des Rechts der freien Mittheilung.

Die Gerichte haben der Mad. Lafarge nicht erlauben wollen zu sagen, was sie jetzt
schreibt. Ist dadurch nicht die Gerechtigkeit selbst, der frühere Ausspruch der Richter verhöhnt?

Die Herausgabe eines Werkes kann nicht ohne mancherlei Verkehr, ohne Unterhandlung
mit einem Verleger, einem Drucker, statt finden; da giebt es ein Hin- und Hergehen, da läßt
man sich in Correspondenzen und allerhand unvermeidliche Geschäfte ein, wozu die zur Be¬
wachung der Mad. Lafarge bestellten Leute die Hand haben bieten müssen. Dies ist nun ent¬
weder der Ordnung gemäß, oder es ist ein Ausnahmsfall. Ist es eine Ausnahme, so muß
man fragen, wer sie bewilligt. Ist es ein Recht, so haben wir nichts mehr zu sagen. Jeder
Sträfling wird denn aus seinem Gefängniß dem Publikum die Geschichte seiner Empfindun¬
gen und die Apologie seiner Verbrechen hinwerfen können. Wahrlich, das wäre eine Litera¬
tur der Zukunft! Wir haben eine klassische und eine romantische Literatur gehabt. Von
nun an werden wir eine Zuchthaus-Literatur haben. —

Jules Janin hat bekanntlich gleichfalls einen fulminanten Artikel gegen die Memoiren
dieser Giftmischerin geschrieben. Zufälligerweise findet es sich, daß der Feuilletonist der De¬
bats sich zu verheirathen gedenkt, und seine Verbindung mit der Tochter eines hiesigen bekann¬
ten Advocaten dieser Tage auf dem Hotel de Ville angezeigt hat. Dieß giebt zu allerlei schlech¬
ten und guten Witzen Veranlassung. Man sagt unter andern, wenn Madame Janin in den
Verdacht käme, ihren Gatten vergiftet zu haben, und man gezwungen wäre, seinen Leichnam
zu öffnen, so wäre die arme Frau verloren, denn in dem Innern des boshaften Feuilletonisten
würde man so viel Gift finden, um ganz Paris damit zu vergiften.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/74>, abgerufen am 29.04.2024.