Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.Reise - Journale. ES wäre wünschenswert!), daß jedes Journal eine kleine Spalte wöchentlich Reise - Journale. ES wäre wünschenswert!), daß jedes Journal eine kleine Spalte wöchentlich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0100" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266717"/> </div> <div n="2"> <head> Reise - Journale.</head><lb/> <p xml:id="ID_232" next="#ID_233"> ES wäre wünschenswert!), daß jedes Journal eine kleine Spalte wöchentlich<lb/> als eine Art Reisezeitung brächte. Dahin gehörte Alles, was der Redakteur<lb/> oder seine Freunde auf verschiedenen Ausflügen an Erfahrungen hinsichtlich der<lb/> Bequemlichkeiten und Unbequemlichkeiten der Beförderungs-Anstalten, Gast¬<lb/> höfe, Posten -c. gesammelt haben. In einer Zeit, wo Alles reist, sind solche<lb/> Berichte viel nützlicher und interessanter, als die Theater- und Conccrtberichtc,<lb/> welche unsere Journale als ewigen Ballast mit sich führen. Die Beschwerden¬<lb/> bücher, welche man auf den einzelnen Poststationen im Dunkel der Passagier¬<lb/> stube findet, bleiben oft genug wirkungslos. Unter zwanzig Reisenden scheue»<lb/> sich neunzehn, ihre Beschwerden niederzuschreiben, und der zwanzigste ist oft<lb/> gerade der Dümmste von Allen — ein Kleinigkeitskrämer, der über schlechten<lb/> Caffee und einen schlaftrunkenen Kellner eine lange Epistel nicdcrkleckst. Wenn<lb/> die Journale die Funktion der Beschwerdenbücher übernahmen, dann würde<lb/> Manches sich ändern — z. B. die gräßlichen Torturmaschinen, welche unter<lb/> dem Namen Beiwagen der Schrecken aller Reisenden sind. Giebt es etwas<lb/> Grausameres, Ungerechteres, als daß ein Mensch für den kleinen Zufall, daß<lb/> er um eine Viertelstunde später, als sein Bormann, auf dem Postamte sich<lb/> einschreiben ließ, zu dem schrecklichen Loose verurtheilt ist, in einen engen,<lb/> baufälligen, schmutzigen Armcnsünderkarrn eingepfercht zu werden, aus welchem<lb/> er mitten in der Nacht unter Schneegestöber und Wind alle zwei Stunden<lb/> aufsteigen muß, um in einen andern, oft noch halsbrecherischeren eingesperrt zu<lb/> werden. Dieses Beiwagen-System ist ein wahrhaft unchristliches, gottesläster¬<lb/> liches. Der Gott, der alle Creaturen gleich geschaffen hat, will nicht, daß der<lb/> Eine in einem bequem gepolsterten, großen Hauplwagen sitze und sich schaukle,<lb/> während der Andere in dem höllischen Räderwerk einer Beichaise sich, seinem<lb/> Schicksal und vor Allem dem Postmeister flucht. Dieses Postsystem ist, wie<lb/> die ganze Thurn und Tausche Postmeistcrschast, ein Ueberbleibsel aus dem<lb/> Mittelalter, wo der erstgeborne Sohn in Gold und Seide, in Ueberfluß und<lb/> Herrlichkeit zu schwelgen berechtigt war, während der jüngere, bloß weil er<lb/> etwas später gekommen, in den engen Mauern eines Klosters sein Leben zu¬<lb/> bringen mußte. Gleichheit vor dem Gesetze wollen wir, und haben nicht ein¬<lb/> mal Gleichheit vor dem Postamte. Gegen solche Mißbräuche nützen die ein¬<lb/> zelnen Klagen in den Beschwerdenbüchern nichts; wenn jedoch die ganze Presse<lb/> ihr Geschrei dagegen erhübe, so würden wir bald die guteWirrkung erleben.—</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0100]
Reise - Journale.
ES wäre wünschenswert!), daß jedes Journal eine kleine Spalte wöchentlich
als eine Art Reisezeitung brächte. Dahin gehörte Alles, was der Redakteur
oder seine Freunde auf verschiedenen Ausflügen an Erfahrungen hinsichtlich der
Bequemlichkeiten und Unbequemlichkeiten der Beförderungs-Anstalten, Gast¬
höfe, Posten -c. gesammelt haben. In einer Zeit, wo Alles reist, sind solche
Berichte viel nützlicher und interessanter, als die Theater- und Conccrtberichtc,
welche unsere Journale als ewigen Ballast mit sich führen. Die Beschwerden¬
bücher, welche man auf den einzelnen Poststationen im Dunkel der Passagier¬
stube findet, bleiben oft genug wirkungslos. Unter zwanzig Reisenden scheue»
sich neunzehn, ihre Beschwerden niederzuschreiben, und der zwanzigste ist oft
gerade der Dümmste von Allen — ein Kleinigkeitskrämer, der über schlechten
Caffee und einen schlaftrunkenen Kellner eine lange Epistel nicdcrkleckst. Wenn
die Journale die Funktion der Beschwerdenbücher übernahmen, dann würde
Manches sich ändern — z. B. die gräßlichen Torturmaschinen, welche unter
dem Namen Beiwagen der Schrecken aller Reisenden sind. Giebt es etwas
Grausameres, Ungerechteres, als daß ein Mensch für den kleinen Zufall, daß
er um eine Viertelstunde später, als sein Bormann, auf dem Postamte sich
einschreiben ließ, zu dem schrecklichen Loose verurtheilt ist, in einen engen,
baufälligen, schmutzigen Armcnsünderkarrn eingepfercht zu werden, aus welchem
er mitten in der Nacht unter Schneegestöber und Wind alle zwei Stunden
aufsteigen muß, um in einen andern, oft noch halsbrecherischeren eingesperrt zu
werden. Dieses Beiwagen-System ist ein wahrhaft unchristliches, gottesläster¬
liches. Der Gott, der alle Creaturen gleich geschaffen hat, will nicht, daß der
Eine in einem bequem gepolsterten, großen Hauplwagen sitze und sich schaukle,
während der Andere in dem höllischen Räderwerk einer Beichaise sich, seinem
Schicksal und vor Allem dem Postmeister flucht. Dieses Postsystem ist, wie
die ganze Thurn und Tausche Postmeistcrschast, ein Ueberbleibsel aus dem
Mittelalter, wo der erstgeborne Sohn in Gold und Seide, in Ueberfluß und
Herrlichkeit zu schwelgen berechtigt war, während der jüngere, bloß weil er
etwas später gekommen, in den engen Mauern eines Klosters sein Leben zu¬
bringen mußte. Gleichheit vor dem Gesetze wollen wir, und haben nicht ein¬
mal Gleichheit vor dem Postamte. Gegen solche Mißbräuche nützen die ein¬
zelnen Klagen in den Beschwerdenbüchern nichts; wenn jedoch die ganze Presse
ihr Geschrei dagegen erhübe, so würden wir bald die guteWirrkung erleben.—
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