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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Steindämme hin und her rennen. Ich gestehe Ihnen, die Wogen sind mir
eigentlich neuer und näher als die Menschen. Dies Rauschen der Wasser,
dies Donnern der zusammenstürzenden Fluten ist mir eine Sprache, die ich,
wie ein Kind, -- mit dem Gefühle zu verstehen suche. Oben auf dem Damme
aber höre ich nur Englisch, Französisch und--Gottlob, auch viel Deutsch. Ja
doch, ihr lieben Deutschen, thut euch nur überall recht hervor, auch mit kran¬
ker Milz, damit ihr lernt so mißvergnügt auszusehen wie die Engländer. Und
unter den lieben Landsleuten sehe ich auch einen hoch und hübsch gewachsenen,
einen deutsch gewachsenen Mann wandeln, der nach etwas aussieht. Er trägt
den Stock gewöhnlich in der Linken, an der Schulter ausgestreckt. Wer er
ist? El, hinter ihm bleiben die einheimischen Frauen in ihren langen, dunkle"
Kapuzinermänteln und die Männer in den langen Kamisölen stehen und flü¬
stern einander in ihrem ehrerbietigsten Flämisch zu: "Hat is den Broeder
van ouzcn Koning! Ja, es ist der Herzog von Coburg! Das Heer der
deutschen Badegäste hat seinen Herzog hier und er theilt seine Leiden mit ih¬
nen. Auch er appellirt an das competente deutsche Meer, an die Austrägal-
Jnstanz der Flutwellen. Da träumt man denn augenblicklich, dies Nieder¬
land gehöre wieder zum deutschen Reich und Ostende sei das eigentliche West¬
ende unseres großen Vaterlandes! In diesen Flamändern regt sich ja so gar
sehr der Stolz, ihre alte Sprache wieder geltend zu machen, ihr -- Platt¬
deutsch. Und könnte es denn diesem einst so gesunden und mit uns einigen
Unterleib? Deutschlands nicht gehen, wie manchem, der hier die Cur braucht,
daß er, von den Wellen des deutschen Meeres richtig getroffen, zur Einigkeit
mit dem Oberleibe genese und das Herz zwischen Niederland und Hochland
regelmäßig schlage? -- Vielleicht, wenn die Cölner Domthürmc fertig sind,
geht mit den 3 riesigen Rosen, mit denen sie endigen, die richtige Erkenntniß
darüber auf, wie aus Thürmchen sich die Thürme c-rheben. Sind nicht be¬
reits die Stimmen unseres Vaterlandes Strebepfeiler zu einem Dome?
O, und eS fehlt uns nur die rechte Erkenntniß zu unserem nationalen
Willen.

Sie sehen, lieber Kuranda, man kann sich dermalen auch nicht einmal am
Meere vor dem Nationalschnupfcn des Deutschthums oder Deutschthums be¬
wahren. Man kriegt ihn von Königsberg herab bis sicher, wo Ihr König
badet, bis zu diesen in den Strand gerammten Baumpfählen, die mit tausend
schwarzen Muscheln und tausendmaltausend weißgrauen Muschelchen überwach¬
sen sind.

Der Sommer ist dem Baden ziemlich günstig. Nach Gewittern, kalten,


Steindämme hin und her rennen. Ich gestehe Ihnen, die Wogen sind mir
eigentlich neuer und näher als die Menschen. Dies Rauschen der Wasser,
dies Donnern der zusammenstürzenden Fluten ist mir eine Sprache, die ich,
wie ein Kind, — mit dem Gefühle zu verstehen suche. Oben auf dem Damme
aber höre ich nur Englisch, Französisch und—Gottlob, auch viel Deutsch. Ja
doch, ihr lieben Deutschen, thut euch nur überall recht hervor, auch mit kran¬
ker Milz, damit ihr lernt so mißvergnügt auszusehen wie die Engländer. Und
unter den lieben Landsleuten sehe ich auch einen hoch und hübsch gewachsenen,
einen deutsch gewachsenen Mann wandeln, der nach etwas aussieht. Er trägt
den Stock gewöhnlich in der Linken, an der Schulter ausgestreckt. Wer er
ist? El, hinter ihm bleiben die einheimischen Frauen in ihren langen, dunkle»
Kapuzinermänteln und die Männer in den langen Kamisölen stehen und flü¬
stern einander in ihrem ehrerbietigsten Flämisch zu: „Hat is den Broeder
van ouzcn Koning! Ja, es ist der Herzog von Coburg! Das Heer der
deutschen Badegäste hat seinen Herzog hier und er theilt seine Leiden mit ih¬
nen. Auch er appellirt an das competente deutsche Meer, an die Austrägal-
Jnstanz der Flutwellen. Da träumt man denn augenblicklich, dies Nieder¬
land gehöre wieder zum deutschen Reich und Ostende sei das eigentliche West¬
ende unseres großen Vaterlandes! In diesen Flamändern regt sich ja so gar
sehr der Stolz, ihre alte Sprache wieder geltend zu machen, ihr — Platt¬
deutsch. Und könnte es denn diesem einst so gesunden und mit uns einigen
Unterleib? Deutschlands nicht gehen, wie manchem, der hier die Cur braucht,
daß er, von den Wellen des deutschen Meeres richtig getroffen, zur Einigkeit
mit dem Oberleibe genese und das Herz zwischen Niederland und Hochland
regelmäßig schlage? — Vielleicht, wenn die Cölner Domthürmc fertig sind,
geht mit den 3 riesigen Rosen, mit denen sie endigen, die richtige Erkenntniß
darüber auf, wie aus Thürmchen sich die Thürme c-rheben. Sind nicht be¬
reits die Stimmen unseres Vaterlandes Strebepfeiler zu einem Dome?
O, und eS fehlt uns nur die rechte Erkenntniß zu unserem nationalen
Willen.

Sie sehen, lieber Kuranda, man kann sich dermalen auch nicht einmal am
Meere vor dem Nationalschnupfcn des Deutschthums oder Deutschthums be¬
wahren. Man kriegt ihn von Königsberg herab bis sicher, wo Ihr König
badet, bis zu diesen in den Strand gerammten Baumpfählen, die mit tausend
schwarzen Muscheln und tausendmaltausend weißgrauen Muschelchen überwach¬
sen sind.

Der Sommer ist dem Baden ziemlich günstig. Nach Gewittern, kalten,


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[0204] Steindämme hin und her rennen. Ich gestehe Ihnen, die Wogen sind mir eigentlich neuer und näher als die Menschen. Dies Rauschen der Wasser, dies Donnern der zusammenstürzenden Fluten ist mir eine Sprache, die ich, wie ein Kind, — mit dem Gefühle zu verstehen suche. Oben auf dem Damme aber höre ich nur Englisch, Französisch und—Gottlob, auch viel Deutsch. Ja doch, ihr lieben Deutschen, thut euch nur überall recht hervor, auch mit kran¬ ker Milz, damit ihr lernt so mißvergnügt auszusehen wie die Engländer. Und unter den lieben Landsleuten sehe ich auch einen hoch und hübsch gewachsenen, einen deutsch gewachsenen Mann wandeln, der nach etwas aussieht. Er trägt den Stock gewöhnlich in der Linken, an der Schulter ausgestreckt. Wer er ist? El, hinter ihm bleiben die einheimischen Frauen in ihren langen, dunkle» Kapuzinermänteln und die Männer in den langen Kamisölen stehen und flü¬ stern einander in ihrem ehrerbietigsten Flämisch zu: „Hat is den Broeder van ouzcn Koning! Ja, es ist der Herzog von Coburg! Das Heer der deutschen Badegäste hat seinen Herzog hier und er theilt seine Leiden mit ih¬ nen. Auch er appellirt an das competente deutsche Meer, an die Austrägal- Jnstanz der Flutwellen. Da träumt man denn augenblicklich, dies Nieder¬ land gehöre wieder zum deutschen Reich und Ostende sei das eigentliche West¬ ende unseres großen Vaterlandes! In diesen Flamändern regt sich ja so gar sehr der Stolz, ihre alte Sprache wieder geltend zu machen, ihr — Platt¬ deutsch. Und könnte es denn diesem einst so gesunden und mit uns einigen Unterleib? Deutschlands nicht gehen, wie manchem, der hier die Cur braucht, daß er, von den Wellen des deutschen Meeres richtig getroffen, zur Einigkeit mit dem Oberleibe genese und das Herz zwischen Niederland und Hochland regelmäßig schlage? — Vielleicht, wenn die Cölner Domthürmc fertig sind, geht mit den 3 riesigen Rosen, mit denen sie endigen, die richtige Erkenntniß darüber auf, wie aus Thürmchen sich die Thürme c-rheben. Sind nicht be¬ reits die Stimmen unseres Vaterlandes Strebepfeiler zu einem Dome? O, und eS fehlt uns nur die rechte Erkenntniß zu unserem nationalen Willen. Sie sehen, lieber Kuranda, man kann sich dermalen auch nicht einmal am Meere vor dem Nationalschnupfcn des Deutschthums oder Deutschthums be¬ wahren. Man kriegt ihn von Königsberg herab bis sicher, wo Ihr König badet, bis zu diesen in den Strand gerammten Baumpfählen, die mit tausend schwarzen Muscheln und tausendmaltausend weißgrauen Muschelchen überwach¬ sen sind. Der Sommer ist dem Baden ziemlich günstig. Nach Gewittern, kalten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/204>, abgerufen am 22.05.2024.