Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

dieser wahrhaften Helden, obgleich der Zopf ihnen hinten hing! Die
Gesellschaft war ihnen gerade auch nicht verschlossen, aber sie erschie¬
nen nur als seltene Gäste darin. HöflingSnaturen mochten sie als
Raritäten belächeln, im Allgemeinen nahm man sie, wo sie kamen,
mit Ehrfurcht auf; denn sie waren den ,,GebiMe^1-..wirklich über¬
legen und hatten der Gesellschaft mehr zu bieten, als diese ihnen.
ES war die Zeit, wo ein Rousseau in selner Dachkammer Prinzes¬
sinnen und Fürsten Audienz gab.

Man glaube nicht, daß wir diese Vereinsamung zur Norm ma¬
chen, oder als alleingiltiges Merkmal schriftstellerischer Größe hin¬
stellen wollen; sie hatte eben so häufig, wie bei den Buchstabenge¬
lehrten, die noch immer außer der Gesellschaft stehen, ihren Grund
in einem Hange zur Träumerei und Originalitätssucht. Die alten
Genies setzten der Aristokratie des Goldes und der Titel die des
Geistes entgegen, ließen sich aber von ihrem Uebermuth zu weit
fortreißen, und das Leben, in dem sie doch am Ende wurzelten, rächte
sich an ihnen.

Heutzutage besteht die Gesellschaft nicht mehr aus Geburts¬
und Geldadel, sondern aus den sogenannten Gebildeten. Aber nickt
blos die größere Toleranz dieser neuen Gesellschaft hat eine Annä¬
herung zwischen ihr und den Literctten bewirkt, sondern eine neue
Richtung der Literatur selbst, die Journalistik. Denn man gestehe
sich,' daß der Dichter, der höher strebende, ungewöhnliche Geist, sich
nie und nimmer den Gesetzen der gebildeten Gesellschaft ganz unter¬
werfen, daß er in ihren ruhigen, harmonisch abgezirkelten Kreisen
stets ein Fremdling, ein seltener, wenn auch willkommener Gast blei¬
ben wird. Von seinem Verhältnisse zu ihr, einem ausnahmsweisen,
kann also hier nicht die Rede sein.

Die Journalistik hat den Schriftsteller gezwungen, seine Ein¬
samkeit zu opfern und sich unter die Gesellschaft zu mischen. Der
TageSschriststeller ist mit seinen Bedürfnissen auf sie verwiesen; denn
die Gebildeten sind das verklärte Abbild des Volkes und geben von
jeder Bewegung in den Tiefen desselben schnelle und feine Sym-
ptome. Der regelmäßige Verkehr mit der Gesellschaft, eine Folge der
Journalistik, ist und bleibt durch die erweckte lebendigere Theilnahme
am Realen, am frischen Inhalt des Lebens, für unsere Literatur
höchst wohlthätig. Andrerseits übersehe man nicht, daß eS die re-


dieser wahrhaften Helden, obgleich der Zopf ihnen hinten hing! Die
Gesellschaft war ihnen gerade auch nicht verschlossen, aber sie erschie¬
nen nur als seltene Gäste darin. HöflingSnaturen mochten sie als
Raritäten belächeln, im Allgemeinen nahm man sie, wo sie kamen,
mit Ehrfurcht auf; denn sie waren den ,,GebiMe^1-..wirklich über¬
legen und hatten der Gesellschaft mehr zu bieten, als diese ihnen.
ES war die Zeit, wo ein Rousseau in selner Dachkammer Prinzes¬
sinnen und Fürsten Audienz gab.

Man glaube nicht, daß wir diese Vereinsamung zur Norm ma¬
chen, oder als alleingiltiges Merkmal schriftstellerischer Größe hin¬
stellen wollen; sie hatte eben so häufig, wie bei den Buchstabenge¬
lehrten, die noch immer außer der Gesellschaft stehen, ihren Grund
in einem Hange zur Träumerei und Originalitätssucht. Die alten
Genies setzten der Aristokratie des Goldes und der Titel die des
Geistes entgegen, ließen sich aber von ihrem Uebermuth zu weit
fortreißen, und das Leben, in dem sie doch am Ende wurzelten, rächte
sich an ihnen.

Heutzutage besteht die Gesellschaft nicht mehr aus Geburts¬
und Geldadel, sondern aus den sogenannten Gebildeten. Aber nickt
blos die größere Toleranz dieser neuen Gesellschaft hat eine Annä¬
herung zwischen ihr und den Literctten bewirkt, sondern eine neue
Richtung der Literatur selbst, die Journalistik. Denn man gestehe
sich,' daß der Dichter, der höher strebende, ungewöhnliche Geist, sich
nie und nimmer den Gesetzen der gebildeten Gesellschaft ganz unter¬
werfen, daß er in ihren ruhigen, harmonisch abgezirkelten Kreisen
stets ein Fremdling, ein seltener, wenn auch willkommener Gast blei¬
ben wird. Von seinem Verhältnisse zu ihr, einem ausnahmsweisen,
kann also hier nicht die Rede sein.

Die Journalistik hat den Schriftsteller gezwungen, seine Ein¬
samkeit zu opfern und sich unter die Gesellschaft zu mischen. Der
TageSschriststeller ist mit seinen Bedürfnissen auf sie verwiesen; denn
die Gebildeten sind das verklärte Abbild des Volkes und geben von
jeder Bewegung in den Tiefen desselben schnelle und feine Sym-
ptome. Der regelmäßige Verkehr mit der Gesellschaft, eine Folge der
Journalistik, ist und bleibt durch die erweckte lebendigere Theilnahme
am Realen, am frischen Inhalt des Lebens, für unsere Literatur
höchst wohlthätig. Andrerseits übersehe man nicht, daß eS die re-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0037" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266654"/>
            <p xml:id="ID_68" prev="#ID_67"> dieser wahrhaften Helden, obgleich der Zopf ihnen hinten hing! Die<lb/>
Gesellschaft war ihnen gerade auch nicht verschlossen, aber sie erschie¬<lb/>
nen nur als seltene Gäste darin. HöflingSnaturen mochten sie als<lb/>
Raritäten belächeln, im Allgemeinen nahm man sie, wo sie kamen,<lb/>
mit Ehrfurcht auf; denn sie waren den ,,GebiMe^1-..wirklich über¬<lb/>
legen und hatten der Gesellschaft mehr zu bieten, als diese ihnen.<lb/>
ES war die Zeit, wo ein Rousseau in selner Dachkammer Prinzes¬<lb/>
sinnen und Fürsten Audienz gab.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_69"> Man glaube nicht, daß wir diese Vereinsamung zur Norm ma¬<lb/>
chen, oder als alleingiltiges Merkmal schriftstellerischer Größe hin¬<lb/>
stellen wollen; sie hatte eben so häufig, wie bei den Buchstabenge¬<lb/>
lehrten, die noch immer außer der Gesellschaft stehen, ihren Grund<lb/>
in einem Hange zur Träumerei und Originalitätssucht. Die alten<lb/>
Genies setzten der Aristokratie des Goldes und der Titel die des<lb/>
Geistes entgegen, ließen sich aber von ihrem Uebermuth zu weit<lb/>
fortreißen, und das Leben, in dem sie doch am Ende wurzelten, rächte<lb/>
sich an ihnen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_70"> Heutzutage besteht die Gesellschaft nicht mehr aus Geburts¬<lb/>
und Geldadel, sondern aus den sogenannten Gebildeten. Aber nickt<lb/>
blos die größere Toleranz dieser neuen Gesellschaft hat eine Annä¬<lb/>
herung zwischen ihr und den Literctten bewirkt, sondern eine neue<lb/>
Richtung der Literatur selbst, die Journalistik. Denn man gestehe<lb/>
sich,' daß der Dichter, der höher strebende, ungewöhnliche Geist, sich<lb/>
nie und nimmer den Gesetzen der gebildeten Gesellschaft ganz unter¬<lb/>
werfen, daß er in ihren ruhigen, harmonisch abgezirkelten Kreisen<lb/>
stets ein Fremdling, ein seltener, wenn auch willkommener Gast blei¬<lb/>
ben wird. Von seinem Verhältnisse zu ihr, einem ausnahmsweisen,<lb/>
kann also hier nicht die Rede sein.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_71" next="#ID_72"> Die Journalistik hat den Schriftsteller gezwungen, seine Ein¬<lb/>
samkeit zu opfern und sich unter die Gesellschaft zu mischen. Der<lb/>
TageSschriststeller ist mit seinen Bedürfnissen auf sie verwiesen; denn<lb/>
die Gebildeten sind das verklärte Abbild des Volkes und geben von<lb/>
jeder Bewegung in den Tiefen desselben schnelle und feine Sym-<lb/>
ptome. Der regelmäßige Verkehr mit der Gesellschaft, eine Folge der<lb/>
Journalistik, ist und bleibt durch die erweckte lebendigere Theilnahme<lb/>
am Realen, am frischen Inhalt des Lebens, für unsere Literatur<lb/>
höchst wohlthätig. Andrerseits übersehe man nicht, daß eS die re-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0037] dieser wahrhaften Helden, obgleich der Zopf ihnen hinten hing! Die Gesellschaft war ihnen gerade auch nicht verschlossen, aber sie erschie¬ nen nur als seltene Gäste darin. HöflingSnaturen mochten sie als Raritäten belächeln, im Allgemeinen nahm man sie, wo sie kamen, mit Ehrfurcht auf; denn sie waren den ,,GebiMe^1-..wirklich über¬ legen und hatten der Gesellschaft mehr zu bieten, als diese ihnen. ES war die Zeit, wo ein Rousseau in selner Dachkammer Prinzes¬ sinnen und Fürsten Audienz gab. Man glaube nicht, daß wir diese Vereinsamung zur Norm ma¬ chen, oder als alleingiltiges Merkmal schriftstellerischer Größe hin¬ stellen wollen; sie hatte eben so häufig, wie bei den Buchstabenge¬ lehrten, die noch immer außer der Gesellschaft stehen, ihren Grund in einem Hange zur Träumerei und Originalitätssucht. Die alten Genies setzten der Aristokratie des Goldes und der Titel die des Geistes entgegen, ließen sich aber von ihrem Uebermuth zu weit fortreißen, und das Leben, in dem sie doch am Ende wurzelten, rächte sich an ihnen. Heutzutage besteht die Gesellschaft nicht mehr aus Geburts¬ und Geldadel, sondern aus den sogenannten Gebildeten. Aber nickt blos die größere Toleranz dieser neuen Gesellschaft hat eine Annä¬ herung zwischen ihr und den Literctten bewirkt, sondern eine neue Richtung der Literatur selbst, die Journalistik. Denn man gestehe sich,' daß der Dichter, der höher strebende, ungewöhnliche Geist, sich nie und nimmer den Gesetzen der gebildeten Gesellschaft ganz unter¬ werfen, daß er in ihren ruhigen, harmonisch abgezirkelten Kreisen stets ein Fremdling, ein seltener, wenn auch willkommener Gast blei¬ ben wird. Von seinem Verhältnisse zu ihr, einem ausnahmsweisen, kann also hier nicht die Rede sein. Die Journalistik hat den Schriftsteller gezwungen, seine Ein¬ samkeit zu opfern und sich unter die Gesellschaft zu mischen. Der TageSschriststeller ist mit seinen Bedürfnissen auf sie verwiesen; denn die Gebildeten sind das verklärte Abbild des Volkes und geben von jeder Bewegung in den Tiefen desselben schnelle und feine Sym- ptome. Der regelmäßige Verkehr mit der Gesellschaft, eine Folge der Journalistik, ist und bleibt durch die erweckte lebendigere Theilnahme am Realen, am frischen Inhalt des Lebens, für unsere Literatur höchst wohlthätig. Andrerseits übersehe man nicht, daß eS die re-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/37
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/37>, abgerufen am 22.05.2024.