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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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ches in Paris, wo wir nicht unterließen, einer Borlesung dieses so in¬
teressanten Professors beizuwohnen. Sein Vortrag, obzwar etwas schwer
und langsam, ist darum nicht minder anziehend; er ist zunächst durch¬
aus klar, durchaus rein und verständlich, und hat in seiner Fremdartigkeit
den Reiz einer seltenen Originalität. Das Wort kommt langsam aus
seinem Munde, aber dafür kommt auch immer das beste und passendste,
dem, was er sagen will, genau entsprechendste Wort. Einer seiner geist¬
reichsten Collegen, der ihm hierin ein wenig gleicht, sagte daher
auch von ihm" "ES ist wahr, er sucht, aber er findet auch."

Was seine Vorträge für die Zuhörer besonders anziehend macht,
daS sind jene alten polnischen, serbischen, böhmischen, russischen Lieder,
die der Dichter in ihrer Rauheit und fast homerischen Einfachheit
wiedergiebt und die in das Ohr der Hörenden in fremdartig klin¬
genden, abgebrochenen, gleichsam zerhackten, aber doch rhythmischen
und malerischen Worten dringen. Die Persönlichkeit und äußere
Erscheinung des Lehrers steht in voMommner Uebereinstimmung mit
dem Gegenstand seiner Vortrage. In diesem tiefsinnigen Blick und
in dieser traurigen, träumerischen Physiognomie ist der Zettstcmpel
unsrer Epoche deutlich ausgeprägt; in diesen eckigen Zügen dagegen,
in diesem hervorragenden, an beiden Winkeln gefurchten Mund,
in dieser Stimme mit ihren heftigen Betonungen der Worte liegt
etwas Altslavisches. Besonders bemerkenswerth aber ist der un¬
verrückbare Ernst seines Gesichtes, der gegen die Heiterkeit seiner Zu¬
hörer, welche oft durch eine oder die andere naive Aeußerung
eines böhmischen oder serbischen Helden des zehnten Jahrhunderts
hervorgerufen wird, scharf und eigenthümlich absticht. Man sollte
wahrlich meinen, der Dichter, der jene alten, heldenmütigen Ge¬
stalten aus ihren Gräbern hervorgerufen, habe in ihrer Mitte ge-.
lebt. Er besitzt zwar nicht ihren Riesenwuchs und ihre gewaltigen
Fäuste, aber er besitzt ihren kindlich warmen Glauben, ihre moralische
Thatkraft und jene einfache Größe, die in unsrem auf die äußere
Schaustellung berechneten Jahrhundert immer seltener wird.


H. g.


ches in Paris, wo wir nicht unterließen, einer Borlesung dieses so in¬
teressanten Professors beizuwohnen. Sein Vortrag, obzwar etwas schwer
und langsam, ist darum nicht minder anziehend; er ist zunächst durch¬
aus klar, durchaus rein und verständlich, und hat in seiner Fremdartigkeit
den Reiz einer seltenen Originalität. Das Wort kommt langsam aus
seinem Munde, aber dafür kommt auch immer das beste und passendste,
dem, was er sagen will, genau entsprechendste Wort. Einer seiner geist¬
reichsten Collegen, der ihm hierin ein wenig gleicht, sagte daher
auch von ihm» „ES ist wahr, er sucht, aber er findet auch."

Was seine Vorträge für die Zuhörer besonders anziehend macht,
daS sind jene alten polnischen, serbischen, böhmischen, russischen Lieder,
die der Dichter in ihrer Rauheit und fast homerischen Einfachheit
wiedergiebt und die in das Ohr der Hörenden in fremdartig klin¬
genden, abgebrochenen, gleichsam zerhackten, aber doch rhythmischen
und malerischen Worten dringen. Die Persönlichkeit und äußere
Erscheinung des Lehrers steht in voMommner Uebereinstimmung mit
dem Gegenstand seiner Vortrage. In diesem tiefsinnigen Blick und
in dieser traurigen, träumerischen Physiognomie ist der Zettstcmpel
unsrer Epoche deutlich ausgeprägt; in diesen eckigen Zügen dagegen,
in diesem hervorragenden, an beiden Winkeln gefurchten Mund,
in dieser Stimme mit ihren heftigen Betonungen der Worte liegt
etwas Altslavisches. Besonders bemerkenswerth aber ist der un¬
verrückbare Ernst seines Gesichtes, der gegen die Heiterkeit seiner Zu¬
hörer, welche oft durch eine oder die andere naive Aeußerung
eines böhmischen oder serbischen Helden des zehnten Jahrhunderts
hervorgerufen wird, scharf und eigenthümlich absticht. Man sollte
wahrlich meinen, der Dichter, der jene alten, heldenmütigen Ge¬
stalten aus ihren Gräbern hervorgerufen, habe in ihrer Mitte ge-.
lebt. Er besitzt zwar nicht ihren Riesenwuchs und ihre gewaltigen
Fäuste, aber er besitzt ihren kindlich warmen Glauben, ihre moralische
Thatkraft und jene einfache Größe, die in unsrem auf die äußere
Schaustellung berechneten Jahrhundert immer seltener wird.


H. g.


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[0566] ches in Paris, wo wir nicht unterließen, einer Borlesung dieses so in¬ teressanten Professors beizuwohnen. Sein Vortrag, obzwar etwas schwer und langsam, ist darum nicht minder anziehend; er ist zunächst durch¬ aus klar, durchaus rein und verständlich, und hat in seiner Fremdartigkeit den Reiz einer seltenen Originalität. Das Wort kommt langsam aus seinem Munde, aber dafür kommt auch immer das beste und passendste, dem, was er sagen will, genau entsprechendste Wort. Einer seiner geist¬ reichsten Collegen, der ihm hierin ein wenig gleicht, sagte daher auch von ihm» „ES ist wahr, er sucht, aber er findet auch." Was seine Vorträge für die Zuhörer besonders anziehend macht, daS sind jene alten polnischen, serbischen, böhmischen, russischen Lieder, die der Dichter in ihrer Rauheit und fast homerischen Einfachheit wiedergiebt und die in das Ohr der Hörenden in fremdartig klin¬ genden, abgebrochenen, gleichsam zerhackten, aber doch rhythmischen und malerischen Worten dringen. Die Persönlichkeit und äußere Erscheinung des Lehrers steht in voMommner Uebereinstimmung mit dem Gegenstand seiner Vortrage. In diesem tiefsinnigen Blick und in dieser traurigen, träumerischen Physiognomie ist der Zettstcmpel unsrer Epoche deutlich ausgeprägt; in diesen eckigen Zügen dagegen, in diesem hervorragenden, an beiden Winkeln gefurchten Mund, in dieser Stimme mit ihren heftigen Betonungen der Worte liegt etwas Altslavisches. Besonders bemerkenswerth aber ist der un¬ verrückbare Ernst seines Gesichtes, der gegen die Heiterkeit seiner Zu¬ hörer, welche oft durch eine oder die andere naive Aeußerung eines böhmischen oder serbischen Helden des zehnten Jahrhunderts hervorgerufen wird, scharf und eigenthümlich absticht. Man sollte wahrlich meinen, der Dichter, der jene alten, heldenmütigen Ge¬ stalten aus ihren Gräbern hervorgerufen, habe in ihrer Mitte ge-. lebt. Er besitzt zwar nicht ihren Riesenwuchs und ihre gewaltigen Fäuste, aber er besitzt ihren kindlich warmen Glauben, ihre moralische Thatkraft und jene einfache Größe, die in unsrem auf die äußere Schaustellung berechneten Jahrhundert immer seltener wird. H. g.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/566>, abgerufen am 22.05.2024.