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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Gin Besuch bei Madame Pasta



Die Natur des deutschen Künstlers unterscheidet sich von der
des italienischen vorzüglich darin, daß sie gleichmäßiger ist. Das
geistige Leben des Südländers steht im Einklange mit seinem physi¬
schen, und wie die heiße Lust seines Landes ihn zwingt, in Mitte
des schönsten Tages Siesta zu halten, so zwingt ihn auch die hei¬
ßere Strömung seiner Seele, in Mitte seiner schönsten Thätigkeit
eine Pause zu machen und auszuruhen. Aus dieser Ruhe treibt ihn
aber oft seine Leidenschaft plötzlich auf und unerwartet, ohne daß
man sich's versieht, übt er seine Kraft wieder aus, mit gespannten
Sehnen und in glühender Aufregung, bis er abermals ermattet nie¬
dersinkt. So ging es mit Rossini. Jahre lang hielt er Siesta und seine
Feinde spotteten über den todten Löwen; aber plötzlich raffte er sich
empor und schuf den Tell, um gleich darauf wieder in ein Dolce
farniente ;n versinken. So auch die Pasta; Jahre lang war sie
von der Bühne verschwunden, neue Namen verdrängten ihren alten
Ruhm. -- Da treibt es sie aus der Zurückgezogenheit heraus und
die Rudern ihrer Stimme reichen hin, Berlin in Bewunderung zu
setzen.

Bevor die Pasta ihre letzte Reise nach Petersburg und Berlin
antrat, lebte sie mehrere Jahre an den Ufern des Como-See's.
Am Rande dieses blauen Gewässers, am Fuße der grünen Berge
hatte sich die Sängerin ein allerliebstes Landhaus erbauen lassen.'


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Gin Besuch bei Madame Pasta



Die Natur des deutschen Künstlers unterscheidet sich von der
des italienischen vorzüglich darin, daß sie gleichmäßiger ist. Das
geistige Leben des Südländers steht im Einklange mit seinem physi¬
schen, und wie die heiße Lust seines Landes ihn zwingt, in Mitte
des schönsten Tages Siesta zu halten, so zwingt ihn auch die hei¬
ßere Strömung seiner Seele, in Mitte seiner schönsten Thätigkeit
eine Pause zu machen und auszuruhen. Aus dieser Ruhe treibt ihn
aber oft seine Leidenschaft plötzlich auf und unerwartet, ohne daß
man sich's versieht, übt er seine Kraft wieder aus, mit gespannten
Sehnen und in glühender Aufregung, bis er abermals ermattet nie¬
dersinkt. So ging es mit Rossini. Jahre lang hielt er Siesta und seine
Feinde spotteten über den todten Löwen; aber plötzlich raffte er sich
empor und schuf den Tell, um gleich darauf wieder in ein Dolce
farniente ;n versinken. So auch die Pasta; Jahre lang war sie
von der Bühne verschwunden, neue Namen verdrängten ihren alten
Ruhm. — Da treibt es sie aus der Zurückgezogenheit heraus und
die Rudern ihrer Stimme reichen hin, Berlin in Bewunderung zu
setzen.

Bevor die Pasta ihre letzte Reise nach Petersburg und Berlin
antrat, lebte sie mehrere Jahre an den Ufern des Como-See's.
Am Rande dieses blauen Gewässers, am Fuße der grünen Berge
hatte sich die Sängerin ein allerliebstes Landhaus erbauen lassen.'


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[0057] Gin Besuch bei Madame Pasta Die Natur des deutschen Künstlers unterscheidet sich von der des italienischen vorzüglich darin, daß sie gleichmäßiger ist. Das geistige Leben des Südländers steht im Einklange mit seinem physi¬ schen, und wie die heiße Lust seines Landes ihn zwingt, in Mitte des schönsten Tages Siesta zu halten, so zwingt ihn auch die hei¬ ßere Strömung seiner Seele, in Mitte seiner schönsten Thätigkeit eine Pause zu machen und auszuruhen. Aus dieser Ruhe treibt ihn aber oft seine Leidenschaft plötzlich auf und unerwartet, ohne daß man sich's versieht, übt er seine Kraft wieder aus, mit gespannten Sehnen und in glühender Aufregung, bis er abermals ermattet nie¬ dersinkt. So ging es mit Rossini. Jahre lang hielt er Siesta und seine Feinde spotteten über den todten Löwen; aber plötzlich raffte er sich empor und schuf den Tell, um gleich darauf wieder in ein Dolce farniente ;n versinken. So auch die Pasta; Jahre lang war sie von der Bühne verschwunden, neue Namen verdrängten ihren alten Ruhm. — Da treibt es sie aus der Zurückgezogenheit heraus und die Rudern ihrer Stimme reichen hin, Berlin in Bewunderung zu setzen. Bevor die Pasta ihre letzte Reise nach Petersburg und Berlin antrat, lebte sie mehrere Jahre an den Ufern des Como-See's. Am Rande dieses blauen Gewässers, am Fuße der grünen Berge hatte sich die Sängerin ein allerliebstes Landhaus erbauen lassen.' 4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/57>, abgerufen am 21.05.2024.