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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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man sie etwa mit. Miltons. verlorenem Paradies oder gar mit Camoens
Lusiade vergleicht.-' Die Jtaliener- Ungegen, welche die herrlichen und
unvergleichlichen Epopöen eines Tasso, eines. Ariost besitzen, sind da¬
gegen wieder ganz entblößt von ächt tragischen -Dramen,' und selbst
Alfieri, ihr bester Tragiker, verhält'sich zu Schiller und Shakspeare wie
eine, silberne Zimmerschelle zu einer metallenen Kirchenglocke. - ,' -

, Eine einzige Gattung von. Poesie giebt es,M bei allen Völkern
eine Heimath hat, und auf alle Menschen ihre Macht erstrecktdie.
lyrische Poesie! , ' . . ^ , ' ' '---.' x

Die Aesthetiker theilen bekanntlich alle Poesie in -drei Hauptab¬
theilungen ein; in lyrische, -epische und-dramatische. -Die lyrische Poe¬
sie - stellen sie dabei, auf die> unterste Stufe. Denn, sagen sie, das
lyrische Gedicht besteht darin, daß es sich nur mit unserem eigenen
Ich beschäftigt, während-das. Epos und das Drama auch Andere in
ihre Kreise ziehen.- Das lyrische Gedicht spricht nur.unsere Empfin'-,
dung aus ; aber .auch der Vogel singt seine Empfindung, und bei dem
rohesten Völkern findet, man. Liebeslieder. Das Epos und das Dramen
hingegen stellen die Empfindung und das Leben Anderer .dar, und da¬
zu gehört ein höherer Geist und ein höherer Verstand. Wohl sind.
Drama und Epos größere Kunstwerke, aber darin liegt, ja eben die>
Allmacht der- Lyrik, daß sie der.Natur am nächsten steht! -Wie kunst¬
reich ist nicht vYev Wu ,einer Violine, wie. viel. Mühe, und Material
bedarf es nicht um ein..Klavier.^zu'b?um, und doch, wird, uns jeder.
Musiker, sagende, menschliche Stimme sei der schönste Ton unter al-->
im andern Tönen. Dieser Ton aber liegt in unserer'Brust, -die Na¬
tur-hat ihn uns-gegeben und dje, Kunst.braucht nur ein-Kleines da¬
zu, zu thun> .um ihn zu. bilden.. Und eben so ist. es.mit der Lyrik.
Der Ton liegt- imunserer Seele; in dem Momente der Freude, des
Schmerzes,-der Furcht und der Rettung, sind wir Alle lyrische Dich¬
ter, der Gelehrte,wie der Bauer, der Seelsorger und der Bandit,
Nicht Alle haben die-Gabe, die Empfindung auszusprechen, aber Alle
sind-davon durchdrungen. Finden wir nun aber einen Dichter, der
solchen Gefühlen Worte leiht -- wie finden wir uns zu-ihm hinge¬
zogen,.wie sind wir durch ihn erschüttert! - -

Man lese jenem wackern Handwerksmanne einmal die Iliade
vor-, und er wird vor Langeweile die Hände ringen; mau führe je¬
nen Bauer einmal ins Theater, und er wird bei den schönsten - Re-


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man sie etwa mit. Miltons. verlorenem Paradies oder gar mit Camoens
Lusiade vergleicht.-' Die Jtaliener- Ungegen, welche die herrlichen und
unvergleichlichen Epopöen eines Tasso, eines. Ariost besitzen, sind da¬
gegen wieder ganz entblößt von ächt tragischen -Dramen,' und selbst
Alfieri, ihr bester Tragiker, verhält'sich zu Schiller und Shakspeare wie
eine, silberne Zimmerschelle zu einer metallenen Kirchenglocke. - ,' -

, Eine einzige Gattung von. Poesie giebt es,M bei allen Völkern
eine Heimath hat, und auf alle Menschen ihre Macht erstrecktdie.
lyrische Poesie! , ' . . ^ , ' ' '---.' x

Die Aesthetiker theilen bekanntlich alle Poesie in -drei Hauptab¬
theilungen ein; in lyrische, -epische und-dramatische. -Die lyrische Poe¬
sie - stellen sie dabei, auf die> unterste Stufe. Denn, sagen sie, das
lyrische Gedicht besteht darin, daß es sich nur mit unserem eigenen
Ich beschäftigt, während-das. Epos und das Drama auch Andere in
ihre Kreise ziehen.- Das lyrische Gedicht spricht nur.unsere Empfin'-,
dung aus ; aber .auch der Vogel singt seine Empfindung, und bei dem
rohesten Völkern findet, man. Liebeslieder. Das Epos und das Dramen
hingegen stellen die Empfindung und das Leben Anderer .dar, und da¬
zu gehört ein höherer Geist und ein höherer Verstand. Wohl sind.
Drama und Epos größere Kunstwerke, aber darin liegt, ja eben die>
Allmacht der- Lyrik, daß sie der.Natur am nächsten steht! -Wie kunst¬
reich ist nicht vYev Wu ,einer Violine, wie. viel. Mühe, und Material
bedarf es nicht um ein..Klavier.^zu'b?um, und doch, wird, uns jeder.
Musiker, sagende, menschliche Stimme sei der schönste Ton unter al-->
im andern Tönen. Dieser Ton aber liegt in unserer'Brust, -die Na¬
tur-hat ihn uns-gegeben und dje, Kunst.braucht nur ein-Kleines da¬
zu, zu thun> .um ihn zu. bilden.. Und eben so ist. es.mit der Lyrik.
Der Ton liegt- imunserer Seele; in dem Momente der Freude, des
Schmerzes,-der Furcht und der Rettung, sind wir Alle lyrische Dich¬
ter, der Gelehrte,wie der Bauer, der Seelsorger und der Bandit,
Nicht Alle haben die-Gabe, die Empfindung auszusprechen, aber Alle
sind-davon durchdrungen. Finden wir nun aber einen Dichter, der
solchen Gefühlen Worte leiht — wie finden wir uns zu-ihm hinge¬
zogen,.wie sind wir durch ihn erschüttert! - -

Man lese jenem wackern Handwerksmanne einmal die Iliade
vor-, und er wird vor Langeweile die Hände ringen; mau führe je¬
nen Bauer einmal ins Theater, und er wird bei den schönsten - Re-


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[0613] man sie etwa mit. Miltons. verlorenem Paradies oder gar mit Camoens Lusiade vergleicht.-' Die Jtaliener- Ungegen, welche die herrlichen und unvergleichlichen Epopöen eines Tasso, eines. Ariost besitzen, sind da¬ gegen wieder ganz entblößt von ächt tragischen -Dramen,' und selbst Alfieri, ihr bester Tragiker, verhält'sich zu Schiller und Shakspeare wie eine, silberne Zimmerschelle zu einer metallenen Kirchenglocke. - ,' - , Eine einzige Gattung von. Poesie giebt es,M bei allen Völkern eine Heimath hat, und auf alle Menschen ihre Macht erstrecktdie. lyrische Poesie! , ' . . ^ , ' ' '---.' x Die Aesthetiker theilen bekanntlich alle Poesie in -drei Hauptab¬ theilungen ein; in lyrische, -epische und-dramatische. -Die lyrische Poe¬ sie - stellen sie dabei, auf die> unterste Stufe. Denn, sagen sie, das lyrische Gedicht besteht darin, daß es sich nur mit unserem eigenen Ich beschäftigt, während-das. Epos und das Drama auch Andere in ihre Kreise ziehen.- Das lyrische Gedicht spricht nur.unsere Empfin'-, dung aus ; aber .auch der Vogel singt seine Empfindung, und bei dem rohesten Völkern findet, man. Liebeslieder. Das Epos und das Dramen hingegen stellen die Empfindung und das Leben Anderer .dar, und da¬ zu gehört ein höherer Geist und ein höherer Verstand. Wohl sind. Drama und Epos größere Kunstwerke, aber darin liegt, ja eben die> Allmacht der- Lyrik, daß sie der.Natur am nächsten steht! -Wie kunst¬ reich ist nicht vYev Wu ,einer Violine, wie. viel. Mühe, und Material bedarf es nicht um ein..Klavier.^zu'b?um, und doch, wird, uns jeder. Musiker, sagende, menschliche Stimme sei der schönste Ton unter al--> im andern Tönen. Dieser Ton aber liegt in unserer'Brust, -die Na¬ tur-hat ihn uns-gegeben und dje, Kunst.braucht nur ein-Kleines da¬ zu, zu thun> .um ihn zu. bilden.. Und eben so ist. es.mit der Lyrik. Der Ton liegt- imunserer Seele; in dem Momente der Freude, des Schmerzes,-der Furcht und der Rettung, sind wir Alle lyrische Dich¬ ter, der Gelehrte,wie der Bauer, der Seelsorger und der Bandit, Nicht Alle haben die-Gabe, die Empfindung auszusprechen, aber Alle sind-davon durchdrungen. Finden wir nun aber einen Dichter, der solchen Gefühlen Worte leiht — wie finden wir uns zu-ihm hinge¬ zogen,.wie sind wir durch ihn erschüttert! - - Man lese jenem wackern Handwerksmanne einmal die Iliade vor-, und er wird vor Langeweile die Hände ringen; mau führe je¬ nen Bauer einmal ins Theater, und er wird bei den schönsten - Re- 31»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/613>, abgerufen am 16.06.2024.