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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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der Großvater und Urgroßvater angelegt, weil sie zu seiner Würde
gehörten, weil sie einen wesentlichen unerläßlichen Bestandtheil deö
Glanzes seines Hauses bildeten. Aber der Stammbaum dieser alten
Bibliotheken ist abgeschnitten, die alten prächtigen Foliobände und
Quartanten, die schonen Elzevire - Ausgaben in Goldschnitt und
Safsianband stehen ohne Nachfolger da. Wozu auch diese Samm¬
lungen fortsetzen? Die Leihbibliothek und die Brüsseler Nachdrücke K
20 Gr. der Band, versehen die gnädige Gräfin mit dem vollen Be¬
darf ihrer Lectüre und der Herr Graf findet eS viel zweckmäßiger,
sein Geld in Eisenbahnactien als in vergilbten Büchern anzulegen.
Früher allerdings würde die zarte aristokratische Hand einer Dame
zusammengezuckt haben, wenn sie ein Buch hätte berühren sollen, das
bereits durch ein Dutzend andere Hände gelaufen ist und das viel¬
leicht noch das Aroma an sich trägt, welches eS Tags zuvor auf
dem Tische einer "meno entikwnus eingesogen hat. Es lag ein
schöner poetischer Stolz darin, den Freund, der uns eine schöne Stunde
bereitet hatte, ausschließlich besitzen zu wollen. Welch ein schöner
Reiz liegt auf dem Buche, von dem wir wissen, daß bereits unsere
Mutter daraus sich erquickte; das immer nur von theuren Händen
berührt wurde und wie ein Familienfreund auf andere theure Wesen
sich vererbt, die, wenn sie einst darin lesen, sich unsere Empfindungen
dabei vergegenwärtigen. Solche aristokratische Schwärmereien sind
jetzt außer Mode: in diesem Punkte ist selbst der stolze Adel demo¬
kratisch geworden. In der Kirche und in der Leihbibliothek sind
alle Menschen gleich.

Man wundert sich oft, warum eS in Deutschland an guten Zeit¬
schriften fehlt, warum unsere Romane des feinen Parfüms entbehren
und nur für die rohe Masse geschrieben scheinen"). Der Grund
liegt aber zum großen Theil darin, weil die meisten Romane nur
in Leihbibliotheken ihren Absatz finden, weil die Zeitschriften nur auf
Cafchäuser und Journalzirkel rechnen können und in Form und In¬
halt auf den Haufen speculiren müssen. Der deutsche Adel ist zwar



*) Die Romane der Frau von Paalzow sind vielleicht die einzigen deut¬
schen, die in letzterer Aelt eine wiederholte Anflöge erlebten; der kluge Ver¬
leger wußte nämlich anfangs auszusprengen, c6 sei ein seitdem gekröntes
Haupt ihr eigentlicher Bcifasser. --

der Großvater und Urgroßvater angelegt, weil sie zu seiner Würde
gehörten, weil sie einen wesentlichen unerläßlichen Bestandtheil deö
Glanzes seines Hauses bildeten. Aber der Stammbaum dieser alten
Bibliotheken ist abgeschnitten, die alten prächtigen Foliobände und
Quartanten, die schonen Elzevire - Ausgaben in Goldschnitt und
Safsianband stehen ohne Nachfolger da. Wozu auch diese Samm¬
lungen fortsetzen? Die Leihbibliothek und die Brüsseler Nachdrücke K
20 Gr. der Band, versehen die gnädige Gräfin mit dem vollen Be¬
darf ihrer Lectüre und der Herr Graf findet eS viel zweckmäßiger,
sein Geld in Eisenbahnactien als in vergilbten Büchern anzulegen.
Früher allerdings würde die zarte aristokratische Hand einer Dame
zusammengezuckt haben, wenn sie ein Buch hätte berühren sollen, das
bereits durch ein Dutzend andere Hände gelaufen ist und das viel¬
leicht noch das Aroma an sich trägt, welches eS Tags zuvor auf
dem Tische einer »meno entikwnus eingesogen hat. Es lag ein
schöner poetischer Stolz darin, den Freund, der uns eine schöne Stunde
bereitet hatte, ausschließlich besitzen zu wollen. Welch ein schöner
Reiz liegt auf dem Buche, von dem wir wissen, daß bereits unsere
Mutter daraus sich erquickte; das immer nur von theuren Händen
berührt wurde und wie ein Familienfreund auf andere theure Wesen
sich vererbt, die, wenn sie einst darin lesen, sich unsere Empfindungen
dabei vergegenwärtigen. Solche aristokratische Schwärmereien sind
jetzt außer Mode: in diesem Punkte ist selbst der stolze Adel demo¬
kratisch geworden. In der Kirche und in der Leihbibliothek sind
alle Menschen gleich.

Man wundert sich oft, warum eS in Deutschland an guten Zeit¬
schriften fehlt, warum unsere Romane des feinen Parfüms entbehren
und nur für die rohe Masse geschrieben scheinen»). Der Grund
liegt aber zum großen Theil darin, weil die meisten Romane nur
in Leihbibliotheken ihren Absatz finden, weil die Zeitschriften nur auf
Cafchäuser und Journalzirkel rechnen können und in Form und In¬
halt auf den Haufen speculiren müssen. Der deutsche Adel ist zwar



*) Die Romane der Frau von Paalzow sind vielleicht die einzigen deut¬
schen, die in letzterer Aelt eine wiederholte Anflöge erlebten; der kluge Ver¬
leger wußte nämlich anfangs auszusprengen, c6 sei ein seitdem gekröntes
Haupt ihr eigentlicher Bcifasser. —
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[0028] der Großvater und Urgroßvater angelegt, weil sie zu seiner Würde gehörten, weil sie einen wesentlichen unerläßlichen Bestandtheil deö Glanzes seines Hauses bildeten. Aber der Stammbaum dieser alten Bibliotheken ist abgeschnitten, die alten prächtigen Foliobände und Quartanten, die schonen Elzevire - Ausgaben in Goldschnitt und Safsianband stehen ohne Nachfolger da. Wozu auch diese Samm¬ lungen fortsetzen? Die Leihbibliothek und die Brüsseler Nachdrücke K 20 Gr. der Band, versehen die gnädige Gräfin mit dem vollen Be¬ darf ihrer Lectüre und der Herr Graf findet eS viel zweckmäßiger, sein Geld in Eisenbahnactien als in vergilbten Büchern anzulegen. Früher allerdings würde die zarte aristokratische Hand einer Dame zusammengezuckt haben, wenn sie ein Buch hätte berühren sollen, das bereits durch ein Dutzend andere Hände gelaufen ist und das viel¬ leicht noch das Aroma an sich trägt, welches eS Tags zuvor auf dem Tische einer »meno entikwnus eingesogen hat. Es lag ein schöner poetischer Stolz darin, den Freund, der uns eine schöne Stunde bereitet hatte, ausschließlich besitzen zu wollen. Welch ein schöner Reiz liegt auf dem Buche, von dem wir wissen, daß bereits unsere Mutter daraus sich erquickte; das immer nur von theuren Händen berührt wurde und wie ein Familienfreund auf andere theure Wesen sich vererbt, die, wenn sie einst darin lesen, sich unsere Empfindungen dabei vergegenwärtigen. Solche aristokratische Schwärmereien sind jetzt außer Mode: in diesem Punkte ist selbst der stolze Adel demo¬ kratisch geworden. In der Kirche und in der Leihbibliothek sind alle Menschen gleich. Man wundert sich oft, warum eS in Deutschland an guten Zeit¬ schriften fehlt, warum unsere Romane des feinen Parfüms entbehren und nur für die rohe Masse geschrieben scheinen»). Der Grund liegt aber zum großen Theil darin, weil die meisten Romane nur in Leihbibliotheken ihren Absatz finden, weil die Zeitschriften nur auf Cafchäuser und Journalzirkel rechnen können und in Form und In¬ halt auf den Haufen speculiren müssen. Der deutsche Adel ist zwar *) Die Romane der Frau von Paalzow sind vielleicht die einzigen deut¬ schen, die in letzterer Aelt eine wiederholte Anflöge erlebten; der kluge Ver¬ leger wußte nämlich anfangs auszusprengen, c6 sei ein seitdem gekröntes Haupt ihr eigentlicher Bcifasser. —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/28>, abgerufen am 26.05.2024.