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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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i.
Aus Paris.

Nie Ausstellungen im Palais roval. -- Reujahr und Weihnachten. -- Das
neue Journal Vorwärts und seine Zukunft. -- Rüge. -- Die Damen Rüge
und Herwegh. -- Louis Blanc über Deutschland. --

Die große Woche für das Palais royal ist angebrochen. Die
Magazine und Laden flimmern und glänzen Von unermeßlichen Aus¬
stellungen des raffinirtesten Lurus. DaS Neujahr steht vor der Thüre
und jeder Franzose wünscht seine Dame, seine Kinder mit Etivaö zu
beschenken, was voriges Jahr noch nicht da gewesen. Goldschmiede,
Juweliere, Gcschmcidcfabriken, Glasarbeiter, Modistinnen, Buchbin¬
der, Kalendermacher, Alles strengt seine Phantasie an, um daS Uner¬
hörte, Niedagewesene zu ersinnen und seinem Nachbar den Rang ab¬
zulaufen. In Frankreich ist der Neujahrstag, was für Deutschland
Weihnachten sind. Dieses Volk ist ein geschichtliches, selbst bis in die
kleinsten Züge hinab. Das Neujahr, das einen geschichtlichen Abschnitt
in dem Leben eines jeden Einzelnen, wie in der gesammten Zeitrech¬
nung bildet, ist ihm wichtiger als die Weihnachtsfeier, die blos eine
religiöse Bedeutung hat und ein Fest der Innerlichkeit ist. Bei dem
Pariser zumal, der recht gern nach J"ne" sich wendet und bei dem
religiösen Feste eben keine große Bedeutung haben, muß der Neujahrs¬
tag, der eine äußerliche Epoche bezeichnet, schon an und für sich mehr
gemeinschaftliche Theilnahme hervorrufen. Die lebenslustige coqucttc
Französin sieht sich an diesem Tage um ein Jahr älter und will sich
durch irgend.einen Putz, ein Geschenk'--trösten und zerstreuen lassen.
Daher entstand auch die Sitte, daß jeder Herr an diesem Tage den
Damen seiner Bekanntschaft einen Blumenstrauß, eine Düte Bonbons
oder je nachdem er ihr näher steht, etwas Bedeutendes zum Geschenke
macht, gleichsam als wollte er ihr dadurch ein Zeugniß ablegen, daß,
obgleich ihre Grazie um ein Jahr gealtert ist, sie doch in seinem Herzen
denselben Platz einnimmt, wie früher. Dies ist die weltliche Seite.
Aber auch die geistliche Seite findet an diesem Tage besser ihre Rech¬
nung, als bei der Weihnachtsfeier; der Priester weiß, daß das Chri¬
stenthum manches Franzosen sehr zweifelhaft ist und daß ein rein


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Aus Paris.

Nie Ausstellungen im Palais roval. — Reujahr und Weihnachten. — Das
neue Journal Vorwärts und seine Zukunft. — Rüge. — Die Damen Rüge
und Herwegh. — Louis Blanc über Deutschland. —

Die große Woche für das Palais royal ist angebrochen. Die
Magazine und Laden flimmern und glänzen Von unermeßlichen Aus¬
stellungen des raffinirtesten Lurus. DaS Neujahr steht vor der Thüre
und jeder Franzose wünscht seine Dame, seine Kinder mit Etivaö zu
beschenken, was voriges Jahr noch nicht da gewesen. Goldschmiede,
Juweliere, Gcschmcidcfabriken, Glasarbeiter, Modistinnen, Buchbin¬
der, Kalendermacher, Alles strengt seine Phantasie an, um daS Uner¬
hörte, Niedagewesene zu ersinnen und seinem Nachbar den Rang ab¬
zulaufen. In Frankreich ist der Neujahrstag, was für Deutschland
Weihnachten sind. Dieses Volk ist ein geschichtliches, selbst bis in die
kleinsten Züge hinab. Das Neujahr, das einen geschichtlichen Abschnitt
in dem Leben eines jeden Einzelnen, wie in der gesammten Zeitrech¬
nung bildet, ist ihm wichtiger als die Weihnachtsfeier, die blos eine
religiöse Bedeutung hat und ein Fest der Innerlichkeit ist. Bei dem
Pariser zumal, der recht gern nach J»ne» sich wendet und bei dem
religiösen Feste eben keine große Bedeutung haben, muß der Neujahrs¬
tag, der eine äußerliche Epoche bezeichnet, schon an und für sich mehr
gemeinschaftliche Theilnahme hervorrufen. Die lebenslustige coqucttc
Französin sieht sich an diesem Tage um ein Jahr älter und will sich
durch irgend.einen Putz, ein Geschenk'—trösten und zerstreuen lassen.
Daher entstand auch die Sitte, daß jeder Herr an diesem Tage den
Damen seiner Bekanntschaft einen Blumenstrauß, eine Düte Bonbons
oder je nachdem er ihr näher steht, etwas Bedeutendes zum Geschenke
macht, gleichsam als wollte er ihr dadurch ein Zeugniß ablegen, daß,
obgleich ihre Grazie um ein Jahr gealtert ist, sie doch in seinem Herzen
denselben Platz einnimmt, wie früher. Dies ist die weltliche Seite.
Aber auch die geistliche Seite findet an diesem Tage besser ihre Rech¬
nung, als bei der Weihnachtsfeier; der Priester weiß, daß das Chri¬
stenthum manches Franzosen sehr zweifelhaft ist und daß ein rein


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[0038] T l! g e b u es. i. Aus Paris. Nie Ausstellungen im Palais roval. — Reujahr und Weihnachten. — Das neue Journal Vorwärts und seine Zukunft. — Rüge. — Die Damen Rüge und Herwegh. — Louis Blanc über Deutschland. — Die große Woche für das Palais royal ist angebrochen. Die Magazine und Laden flimmern und glänzen Von unermeßlichen Aus¬ stellungen des raffinirtesten Lurus. DaS Neujahr steht vor der Thüre und jeder Franzose wünscht seine Dame, seine Kinder mit Etivaö zu beschenken, was voriges Jahr noch nicht da gewesen. Goldschmiede, Juweliere, Gcschmcidcfabriken, Glasarbeiter, Modistinnen, Buchbin¬ der, Kalendermacher, Alles strengt seine Phantasie an, um daS Uner¬ hörte, Niedagewesene zu ersinnen und seinem Nachbar den Rang ab¬ zulaufen. In Frankreich ist der Neujahrstag, was für Deutschland Weihnachten sind. Dieses Volk ist ein geschichtliches, selbst bis in die kleinsten Züge hinab. Das Neujahr, das einen geschichtlichen Abschnitt in dem Leben eines jeden Einzelnen, wie in der gesammten Zeitrech¬ nung bildet, ist ihm wichtiger als die Weihnachtsfeier, die blos eine religiöse Bedeutung hat und ein Fest der Innerlichkeit ist. Bei dem Pariser zumal, der recht gern nach J»ne» sich wendet und bei dem religiösen Feste eben keine große Bedeutung haben, muß der Neujahrs¬ tag, der eine äußerliche Epoche bezeichnet, schon an und für sich mehr gemeinschaftliche Theilnahme hervorrufen. Die lebenslustige coqucttc Französin sieht sich an diesem Tage um ein Jahr älter und will sich durch irgend.einen Putz, ein Geschenk'—trösten und zerstreuen lassen. Daher entstand auch die Sitte, daß jeder Herr an diesem Tage den Damen seiner Bekanntschaft einen Blumenstrauß, eine Düte Bonbons oder je nachdem er ihr näher steht, etwas Bedeutendes zum Geschenke macht, gleichsam als wollte er ihr dadurch ein Zeugniß ablegen, daß, obgleich ihre Grazie um ein Jahr gealtert ist, sie doch in seinem Herzen denselben Platz einnimmt, wie früher. Dies ist die weltliche Seite. Aber auch die geistliche Seite findet an diesem Tage besser ihre Rech¬ nung, als bei der Weihnachtsfeier; der Priester weiß, daß das Chri¬ stenthum manches Franzosen sehr zweifelhaft ist und daß ein rein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/38>, abgerufen am 26.05.2024.