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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Wer die Verhältnisse des deutschen Journalismus nur einiger¬
maßen kennt, der wird gestehen müssen, daß Nichts schwieriger, ja
vielleicht Nichts unmöglicher ist, als alle diese Köpfe unter ei¬
nen Hut zu bringen. Bei dem Mangel einer großen, überwiegenden
und entscheidenden Centralstadr in Deutschland werden die einzelnen
Richtungen und Interessen überall ihre eigenen Wege suchen. Wir
haben dies erst bei einem kürzlichen Beispiele, bei der Einführung der
Tantiemezahlung an dramatische Schriftsteller gesehen. Obgleich Wien
und Berlin, die beiden Großstädte und Hauptbühnen Deutschlands,
zusammengewirkt haben, so ist es ihnen dennoch nicht gelungen, ihr
System auch von den anderen deutschen Bühnen angenommen zu se¬
hen. Vielmehr hören wir von München, daß es zwar gleichfalls die
Tantieme, aber nach einem ganz anderen Princip einführen wolle.
Die Hofbühnen von Dresden, Stuttgart, Weimar :c. und mehrere
andere bedeutende Bühnen geben nicht das mindeste Zeichen von sich,
daß sie von dem Wien-Berliner Schritt irgendwie Notiz genommen
hätten, und selbst wenn sie durch den Drang der Umstände genöthigt
werden, dem endlich zur Anerkennung gekommenen Autorenrecht Ge¬
nüge zu leisten, so läßt sich doch im Voraus ersehen, daß dies mehr
oder minder in abweichender Weise geschehen wird. Die deutschen
Bühnendichter sind jedenfalls den Herren v. Holbein und v. Küstner
auch dafür zu Dank verpflichtet, daß sie nicht erst auf den Anschluß
der Uebrigen gewartet haben.

Das ist ein belehrendes Exempel für unseren Fall. Bevor es
den Leipziger Redacteuren gelingen würde -- und dies Gelingen ist
sehr zu bezweifeln -- ihre College" im übrigen Deutschland zu einer
und derselben Ansicht und Maßregel zu vereinen, würden sicherlich
noch Jahre verstreichen. Und wer sagt ihnen, daß sie nicht selbst in
dieser schwierigen Verhandlung und den damit verbundenen Correspon-
denzen stecken bleiben, daß nicht gerade die Eifrigsten und Energischsten
mittlerweile sich von der Journalistik zurückziehen und die ganzen müh¬
seligen Negociationen in's Stocken gerathen und veraebens gewesen
sind.

Wir meinen: Wirke Jeder vorerst in seinem Kreise. Mögen
die Leipziger Redacteure, die ein nicht unansehnliches Häuflein bilden,
zuerst unter einander sich verständigen über das, was in Journalen
erlaubter und unerlaubter Nachdruck ist; wie weit den politischen Jour¬
nalen, denen man den Wiederabdruck von Nachrichten, Documenten
und officiellen Artikeln, die in anderen Journalen erschienen, immer¬
hin gestatten muß, ein freierer Spielraum anzuweisen ist, als den
wissenschaftlichen und belletristischen. Man vereinige sich über die
moralischen Mittel, durch welche man gemeinschaftlich die Gewissen¬
losigkeit des journalistischen Piraten züchtigen wolle und wie weit die
Kosten einer juridischen Verfolgung desselben aus gemeinschaftlichen


Wer die Verhältnisse des deutschen Journalismus nur einiger¬
maßen kennt, der wird gestehen müssen, daß Nichts schwieriger, ja
vielleicht Nichts unmöglicher ist, als alle diese Köpfe unter ei¬
nen Hut zu bringen. Bei dem Mangel einer großen, überwiegenden
und entscheidenden Centralstadr in Deutschland werden die einzelnen
Richtungen und Interessen überall ihre eigenen Wege suchen. Wir
haben dies erst bei einem kürzlichen Beispiele, bei der Einführung der
Tantiemezahlung an dramatische Schriftsteller gesehen. Obgleich Wien
und Berlin, die beiden Großstädte und Hauptbühnen Deutschlands,
zusammengewirkt haben, so ist es ihnen dennoch nicht gelungen, ihr
System auch von den anderen deutschen Bühnen angenommen zu se¬
hen. Vielmehr hören wir von München, daß es zwar gleichfalls die
Tantieme, aber nach einem ganz anderen Princip einführen wolle.
Die Hofbühnen von Dresden, Stuttgart, Weimar :c. und mehrere
andere bedeutende Bühnen geben nicht das mindeste Zeichen von sich,
daß sie von dem Wien-Berliner Schritt irgendwie Notiz genommen
hätten, und selbst wenn sie durch den Drang der Umstände genöthigt
werden, dem endlich zur Anerkennung gekommenen Autorenrecht Ge¬
nüge zu leisten, so läßt sich doch im Voraus ersehen, daß dies mehr
oder minder in abweichender Weise geschehen wird. Die deutschen
Bühnendichter sind jedenfalls den Herren v. Holbein und v. Küstner
auch dafür zu Dank verpflichtet, daß sie nicht erst auf den Anschluß
der Uebrigen gewartet haben.

Das ist ein belehrendes Exempel für unseren Fall. Bevor es
den Leipziger Redacteuren gelingen würde — und dies Gelingen ist
sehr zu bezweifeln — ihre College» im übrigen Deutschland zu einer
und derselben Ansicht und Maßregel zu vereinen, würden sicherlich
noch Jahre verstreichen. Und wer sagt ihnen, daß sie nicht selbst in
dieser schwierigen Verhandlung und den damit verbundenen Correspon-
denzen stecken bleiben, daß nicht gerade die Eifrigsten und Energischsten
mittlerweile sich von der Journalistik zurückziehen und die ganzen müh¬
seligen Negociationen in's Stocken gerathen und veraebens gewesen
sind.

Wir meinen: Wirke Jeder vorerst in seinem Kreise. Mögen
die Leipziger Redacteure, die ein nicht unansehnliches Häuflein bilden,
zuerst unter einander sich verständigen über das, was in Journalen
erlaubter und unerlaubter Nachdruck ist; wie weit den politischen Jour¬
nalen, denen man den Wiederabdruck von Nachrichten, Documenten
und officiellen Artikeln, die in anderen Journalen erschienen, immer¬
hin gestatten muß, ein freierer Spielraum anzuweisen ist, als den
wissenschaftlichen und belletristischen. Man vereinige sich über die
moralischen Mittel, durch welche man gemeinschaftlich die Gewissen¬
losigkeit des journalistischen Piraten züchtigen wolle und wie weit die
Kosten einer juridischen Verfolgung desselben aus gemeinschaftlichen


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[0509] Wer die Verhältnisse des deutschen Journalismus nur einiger¬ maßen kennt, der wird gestehen müssen, daß Nichts schwieriger, ja vielleicht Nichts unmöglicher ist, als alle diese Köpfe unter ei¬ nen Hut zu bringen. Bei dem Mangel einer großen, überwiegenden und entscheidenden Centralstadr in Deutschland werden die einzelnen Richtungen und Interessen überall ihre eigenen Wege suchen. Wir haben dies erst bei einem kürzlichen Beispiele, bei der Einführung der Tantiemezahlung an dramatische Schriftsteller gesehen. Obgleich Wien und Berlin, die beiden Großstädte und Hauptbühnen Deutschlands, zusammengewirkt haben, so ist es ihnen dennoch nicht gelungen, ihr System auch von den anderen deutschen Bühnen angenommen zu se¬ hen. Vielmehr hören wir von München, daß es zwar gleichfalls die Tantieme, aber nach einem ganz anderen Princip einführen wolle. Die Hofbühnen von Dresden, Stuttgart, Weimar :c. und mehrere andere bedeutende Bühnen geben nicht das mindeste Zeichen von sich, daß sie von dem Wien-Berliner Schritt irgendwie Notiz genommen hätten, und selbst wenn sie durch den Drang der Umstände genöthigt werden, dem endlich zur Anerkennung gekommenen Autorenrecht Ge¬ nüge zu leisten, so läßt sich doch im Voraus ersehen, daß dies mehr oder minder in abweichender Weise geschehen wird. Die deutschen Bühnendichter sind jedenfalls den Herren v. Holbein und v. Küstner auch dafür zu Dank verpflichtet, daß sie nicht erst auf den Anschluß der Uebrigen gewartet haben. Das ist ein belehrendes Exempel für unseren Fall. Bevor es den Leipziger Redacteuren gelingen würde — und dies Gelingen ist sehr zu bezweifeln — ihre College» im übrigen Deutschland zu einer und derselben Ansicht und Maßregel zu vereinen, würden sicherlich noch Jahre verstreichen. Und wer sagt ihnen, daß sie nicht selbst in dieser schwierigen Verhandlung und den damit verbundenen Correspon- denzen stecken bleiben, daß nicht gerade die Eifrigsten und Energischsten mittlerweile sich von der Journalistik zurückziehen und die ganzen müh¬ seligen Negociationen in's Stocken gerathen und veraebens gewesen sind. Wir meinen: Wirke Jeder vorerst in seinem Kreise. Mögen die Leipziger Redacteure, die ein nicht unansehnliches Häuflein bilden, zuerst unter einander sich verständigen über das, was in Journalen erlaubter und unerlaubter Nachdruck ist; wie weit den politischen Jour¬ nalen, denen man den Wiederabdruck von Nachrichten, Documenten und officiellen Artikeln, die in anderen Journalen erschienen, immer¬ hin gestatten muß, ein freierer Spielraum anzuweisen ist, als den wissenschaftlichen und belletristischen. Man vereinige sich über die moralischen Mittel, durch welche man gemeinschaftlich die Gewissen¬ losigkeit des journalistischen Piraten züchtigen wolle und wie weit die Kosten einer juridischen Verfolgung desselben aus gemeinschaftlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/509>, abgerufen am 17.06.2024.