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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Frack, gepudert und frisirt, lehrte die Kunst der Terpsychore einem
Irokesenstamm, der ihn dafür mit Biberfellen und Bärenschinken bezahlte.
"Er rühmte", erzählt Chateaubriand, "die Gewandtheit seiner Schüler
sehr; und ich muß wirklich gestehen, nie solche Gambaden gesehen

zu haben."
Bald trat der Reisende vor dem Dichter zurück, und die nord¬
westliche Durchfahrt schien vergessen zu sein. Chateaubriand wandert
von Wald zu Wald, von Volksstamm zu Volksstamm, bewundert
mit künstlerischem Auge die Effecte des Sonnen- und Mondlichts,
lauscht der Harmonie der Winde und Wässer in den Tiefen der
Wälder, wagt sein Leben, um den Niagara in der Nähe bewundern
zu können, durchschifft die großen Seen, reif't den Ohio hinauf, un¬
tersucht die gigantischen Ruinen, welche seine User bedecken, begeistert
sich an dieser jungfräulichen Natur, diesen urweltlichen Sitten, an
dem poetischen, nomadischen Leben, und rastet endlich in dem Lande
derNt

aez,umen";und Atala zuschreben.
Eines Tages, als er sich den europäischen Niederlassungen mehr
genähert hatte, beanspruchte er die Gastfreundschaft eines Farmers.
Hier fiel ihm eine alte englische Zeitung in die Hände. Bei dem
Schein deö wärmenden Feuers las er darin von der Flucht Lud¬
wig XVI., von seiner Verhaftung in Varennes und von dem Zu¬
nehmen der Emigration. Der ganze Adel vereinigte sich unter den
Fahnen der französischen Prinzen. Der bretagnische Edelmann folgte
der mahnenden Stimme der Ehre. Er verließ die geliebte Einsam¬
keit, fuhr abermals über das Weltmeer und eilte zu' der Condeschen
Armee. Man gab ihm zu verstehen, daß er sehr spät komme; um¬
sonst wandte er ein, daß er geraden Weges vom Niagara komme.
"Ich stand auf dem Punkte", sagte er, "mich zu schlagen, um die
Ehre haben zu dürfen, ein Tornister zu tragen." Endlich ward er in
der Adclsgarde aufgenommen und er machte den Feldzug von 1792
nut einer alten Flinte und dem Tornister auf dem Rücken mit. In
dem Tornister war Atala; und zwar zu seinem Glück, denn das
zarte Kind seiner Muse hielt eine Kugel auf, welche für seinen Vater
besttmmt war. Bei der Belagerung von Thionville am Schenkel
verwundet, zugleich mit einer gefährlichen ansteckenden Krankheit und
den Pocken behaftet, ließ man ihn für todt in einem Graben liegen.
Einige Leute des Fürsten von Ligne warfen ihn auf einen Packwagen;


Frack, gepudert und frisirt, lehrte die Kunst der Terpsychore einem
Irokesenstamm, der ihn dafür mit Biberfellen und Bärenschinken bezahlte.
„Er rühmte", erzählt Chateaubriand, „die Gewandtheit seiner Schüler
sehr; und ich muß wirklich gestehen, nie solche Gambaden gesehen

zu haben."
Bald trat der Reisende vor dem Dichter zurück, und die nord¬
westliche Durchfahrt schien vergessen zu sein. Chateaubriand wandert
von Wald zu Wald, von Volksstamm zu Volksstamm, bewundert
mit künstlerischem Auge die Effecte des Sonnen- und Mondlichts,
lauscht der Harmonie der Winde und Wässer in den Tiefen der
Wälder, wagt sein Leben, um den Niagara in der Nähe bewundern
zu können, durchschifft die großen Seen, reif't den Ohio hinauf, un¬
tersucht die gigantischen Ruinen, welche seine User bedecken, begeistert
sich an dieser jungfräulichen Natur, diesen urweltlichen Sitten, an
dem poetischen, nomadischen Leben, und rastet endlich in dem Lande
derNt

aez,umen«;und Atala zuschreben.
Eines Tages, als er sich den europäischen Niederlassungen mehr
genähert hatte, beanspruchte er die Gastfreundschaft eines Farmers.
Hier fiel ihm eine alte englische Zeitung in die Hände. Bei dem
Schein deö wärmenden Feuers las er darin von der Flucht Lud¬
wig XVI., von seiner Verhaftung in Varennes und von dem Zu¬
nehmen der Emigration. Der ganze Adel vereinigte sich unter den
Fahnen der französischen Prinzen. Der bretagnische Edelmann folgte
der mahnenden Stimme der Ehre. Er verließ die geliebte Einsam¬
keit, fuhr abermals über das Weltmeer und eilte zu' der Condeschen
Armee. Man gab ihm zu verstehen, daß er sehr spät komme; um¬
sonst wandte er ein, daß er geraden Weges vom Niagara komme.
„Ich stand auf dem Punkte", sagte er, „mich zu schlagen, um die
Ehre haben zu dürfen, ein Tornister zu tragen." Endlich ward er in
der Adclsgarde aufgenommen und er machte den Feldzug von 1792
nut einer alten Flinte und dem Tornister auf dem Rücken mit. In
dem Tornister war Atala; und zwar zu seinem Glück, denn das
zarte Kind seiner Muse hielt eine Kugel auf, welche für seinen Vater
besttmmt war. Bei der Belagerung von Thionville am Schenkel
verwundet, zugleich mit einer gefährlichen ansteckenden Krankheit und
den Pocken behaftet, ließ man ihn für todt in einem Graben liegen.
Einige Leute des Fürsten von Ligne warfen ihn auf einen Packwagen;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/59>, abgerufen am 17.06.2024.