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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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sich einstellt?, das Bild der Verwilderung des Clerus, der Auflösung
aller gesetzlichen Bande, des meuterischen Treibens des Bauernstandes
leitete den Vortrag ein und erweckte in Jedem das Gefühl, daß in
solchen Nöthen nur eine kräftige Hilfe etwas würde ausrichten kön¬
nen. Als solche wurde dann von der Landesregierung die Gesellschaft
Jesu herbeigerufen und dieser gelang es auch bald, ihre ordnende Thä¬
tigkeit zu entwickeln und dem ganzen Leben wieder ein kirchliches
Gepräge zu geben. Neue Andachten, Bruderschaften, Missionen,
Klosterstiftungen u. s. w. traten in zahlloser Menge hervor und ließen
glauben, daß man nirgends frommer und sittlicher lebe, als in Tyrol.
Allein der Historiker konnte dabei auch nicht verschweigen, wie diese
ausschließlich auf das Gemüth berechnete Wirksamkeit durch Vernach¬
lässigung der Intelligenz wie das in seinen Mitteln nicht immer rü¬
stige Streben der Jesuiten, Alles ihrem Einflüsse zu unterwerfen, mit
der Zeit Folgen hatte, die ein gänzliches Ersterben des geistigen Le¬
bens herbeiführten. So wurde denn mit aller Offenheit dargelegt,
wie die Jesuiten durch Beförderung einer gleißenden Frömmelei, durch
Hätschelung der Großen, durch Schmeichelei gegen den Adel, durch
gedankenlose, geisttödtende Erziehung des Volkes allmälig jene düstere
Leere in unserem Leben herbeiführten, die bei ihrer Aufhebung im
Lande so fühlbar war und wie zu dieser Zeit alle ihre Stiftungen,
ohne Wurzeln in dem Volksbewußtsein, unfähig, dem Andrange einer
neuen Denkungsweise zu widerstehen, haltungslos zusammenfielen.
Eine Menge angeführter Thatsachen verstärkte den Eindruck dieser
Schilderung, die eine tiefe Bewegung auf die Zuhörer hervorbrachte.
Es ist nicht zu läugnen, daß die Einwohnerschaft von Innsbruck bis¬
her der Gesellschaft Jesu nicht günstig gestimmt werden konnte, und
da in dem Gehörten für diese abholde Meinung eine vollgiltige Mo-
tivirung lag, so wurde es nur mit desto größerer Anerkennung auf¬
genommen. Bemerken wir indessen, daß sich neben der großen Zahl
der Beifälligen auch etliche unangenehm Berührte gewahren ließen, welche
in der objectiven historischen Darstellung Professor Jäger's Manches
finden wollten, was vielleicht nur sie selbst hineingelegt und die den
hie und da etwas grellen Thatsachen gern die Begründung abgespro¬
chen hätten. Es fehlte daher nicht an Anschuldigungen, die leichtlich
sehr hart geworden wären, wenn nicht Professor Jäger noch zur rech¬
ten Zeit erklärte, daß alles Thatsächliche, was er angeführt, aus den
bischöflichen Visitationsprotocollen und anderen Do¬
kumenten der Zeit entnommen sei, wie diese schon seit Jah¬
ren in Sinnacher's Beiträgen zur Geschichte der Kirchen von Seben
und Brixen vorliegen. Indessen waren Manche schon so tief in Eifer
gerathen, daß auch diese Nachricht zu spät kam, zu spät, als daß sie
ihre Anklagen gegen das Ferdinandeum, dessen Mitglied Professor Jä¬
ger ist, zurückgenommen oder gemildert hatten, und man war daher nicht


sich einstellt?, das Bild der Verwilderung des Clerus, der Auflösung
aller gesetzlichen Bande, des meuterischen Treibens des Bauernstandes
leitete den Vortrag ein und erweckte in Jedem das Gefühl, daß in
solchen Nöthen nur eine kräftige Hilfe etwas würde ausrichten kön¬
nen. Als solche wurde dann von der Landesregierung die Gesellschaft
Jesu herbeigerufen und dieser gelang es auch bald, ihre ordnende Thä¬
tigkeit zu entwickeln und dem ganzen Leben wieder ein kirchliches
Gepräge zu geben. Neue Andachten, Bruderschaften, Missionen,
Klosterstiftungen u. s. w. traten in zahlloser Menge hervor und ließen
glauben, daß man nirgends frommer und sittlicher lebe, als in Tyrol.
Allein der Historiker konnte dabei auch nicht verschweigen, wie diese
ausschließlich auf das Gemüth berechnete Wirksamkeit durch Vernach¬
lässigung der Intelligenz wie das in seinen Mitteln nicht immer rü¬
stige Streben der Jesuiten, Alles ihrem Einflüsse zu unterwerfen, mit
der Zeit Folgen hatte, die ein gänzliches Ersterben des geistigen Le¬
bens herbeiführten. So wurde denn mit aller Offenheit dargelegt,
wie die Jesuiten durch Beförderung einer gleißenden Frömmelei, durch
Hätschelung der Großen, durch Schmeichelei gegen den Adel, durch
gedankenlose, geisttödtende Erziehung des Volkes allmälig jene düstere
Leere in unserem Leben herbeiführten, die bei ihrer Aufhebung im
Lande so fühlbar war und wie zu dieser Zeit alle ihre Stiftungen,
ohne Wurzeln in dem Volksbewußtsein, unfähig, dem Andrange einer
neuen Denkungsweise zu widerstehen, haltungslos zusammenfielen.
Eine Menge angeführter Thatsachen verstärkte den Eindruck dieser
Schilderung, die eine tiefe Bewegung auf die Zuhörer hervorbrachte.
Es ist nicht zu läugnen, daß die Einwohnerschaft von Innsbruck bis¬
her der Gesellschaft Jesu nicht günstig gestimmt werden konnte, und
da in dem Gehörten für diese abholde Meinung eine vollgiltige Mo-
tivirung lag, so wurde es nur mit desto größerer Anerkennung auf¬
genommen. Bemerken wir indessen, daß sich neben der großen Zahl
der Beifälligen auch etliche unangenehm Berührte gewahren ließen, welche
in der objectiven historischen Darstellung Professor Jäger's Manches
finden wollten, was vielleicht nur sie selbst hineingelegt und die den
hie und da etwas grellen Thatsachen gern die Begründung abgespro¬
chen hätten. Es fehlte daher nicht an Anschuldigungen, die leichtlich
sehr hart geworden wären, wenn nicht Professor Jäger noch zur rech¬
ten Zeit erklärte, daß alles Thatsächliche, was er angeführt, aus den
bischöflichen Visitationsprotocollen und anderen Do¬
kumenten der Zeit entnommen sei, wie diese schon seit Jah¬
ren in Sinnacher's Beiträgen zur Geschichte der Kirchen von Seben
und Brixen vorliegen. Indessen waren Manche schon so tief in Eifer
gerathen, daß auch diese Nachricht zu spät kam, zu spät, als daß sie
ihre Anklagen gegen das Ferdinandeum, dessen Mitglied Professor Jä¬
ger ist, zurückgenommen oder gemildert hatten, und man war daher nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/699>, abgerufen am 26.05.2024.