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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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nähme, welche dieser edle lyrische Meister für das Gedicht seines jun¬
gen Freundes äußerte, wird Herrn Witthauer nicht unbekannt geblie¬
ben sein. Er konnte ferner, als Journalist und Zeitungsleser, aus
den übereinstimmenden Berichten vieler andern Blätter wissen, daß
die Dresdner Zuhörer im Hotel Luxembourg Beck's Dichtung mit
Begeisterung aufnahmen; daß man wohl freie Ideen, wie zu erwar¬
ten war, aber nichts Staatsgefährliches und Subversives, vielmehr
in der darin vorherrschenden Humanitaren und versöhnenden Richtung
einen schönen Fortschritt des Dichters erblickte*). Und wäre die Wahr¬
haftigkeit des Dresdner Berichtes auch an sich gleichgiltig, was sie
nicht ist, so hatte Herr W. noch andere Rücksichten zu beobachten"
denn es ist eine Denunciation, Jemand an einem Orte anzuklagen,
wo er sich nicht vertheidigen kann. Herr W. kennt aber die Verhält¬
nisse und weiß, daß es ihm schwer fallen dürfte, in seiner Wiener
Zeitschrift eine offene Entgegnung des Verdächtigten aufzunehmen.
Herr W- ist auch lange genug in Oesterreich, um die Bedeutung ei¬
ner so leichtsinnig oder böswillig hingeworfenen Insinuation zu ken¬
nen Za wir begreifen kaum, wie man sich nicht vor dem ersten of¬
fiziellen Leser seines Blattes genirt, welcher politische Mittheilungen
der Art, weil sie nur einseitig sein können, von einem anständigen
Wiener Journal gar nicht erwartet. Muß er nicht erstaunen, wenn
ihm über ein ungedrucktes Gedicht eine Kritik vorgelegt wird, die sich
gleichsam direct an den Polizeichef in ihm, statt an den bloßen Cen¬
sor wendet? Und übrigens wird Herr W. wohl auch wissen, daß
Karl Beck, von dem er selbst in der Wiener Zeitschrift ein kleines
Gebiete drückte, und der sich jetzt mit einem österreichischen Paß in
Deutschland befindet, Oesterreicher (Ungar) ist und bleiben will.

Herr Witthauer täuschesinterasewichtder Anklage,
die wir gegen ihn erheben. Wir möchten nicht gern eine Ungerechtig¬
keit begehen und nehmen lieber an, daß die Schuld seinen Mangel
an Einsicht, als seinen guten Willen treffe. Schlimm genug, daß
es keine andere Entschuldigung für ihn gibt als die nasseste Unfähig¬
keit. Von dem Redacteur eines Blattes, dem die Autorität einiger
verehrten Namen, denen man zuweilen darin begegnet, ein gewisses
Renommee, eine Art von Nimbus gibt, darf man ein etwas lebhaf¬
teres Gefühl in solchen literarischen Ehrenpunkten, etwas mehr Takt
und etwas weniger Leichtsinn erwarten. Wenn Herr Witthauer das
nicht einsieht, sollte er das Redigiren lieber sein lassen.



") Diese Wahrnehmung wird Jeder machen, der die Bruchstücke gelesen
hat, welche diese Blätter aus der "Auferstehung" mittheilten.
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nähme, welche dieser edle lyrische Meister für das Gedicht seines jun¬
gen Freundes äußerte, wird Herrn Witthauer nicht unbekannt geblie¬
ben sein. Er konnte ferner, als Journalist und Zeitungsleser, aus
den übereinstimmenden Berichten vieler andern Blätter wissen, daß
die Dresdner Zuhörer im Hotel Luxembourg Beck's Dichtung mit
Begeisterung aufnahmen; daß man wohl freie Ideen, wie zu erwar¬
ten war, aber nichts Staatsgefährliches und Subversives, vielmehr
in der darin vorherrschenden Humanitaren und versöhnenden Richtung
einen schönen Fortschritt des Dichters erblickte*). Und wäre die Wahr¬
haftigkeit des Dresdner Berichtes auch an sich gleichgiltig, was sie
nicht ist, so hatte Herr W. noch andere Rücksichten zu beobachten»
denn es ist eine Denunciation, Jemand an einem Orte anzuklagen,
wo er sich nicht vertheidigen kann. Herr W. kennt aber die Verhält¬
nisse und weiß, daß es ihm schwer fallen dürfte, in seiner Wiener
Zeitschrift eine offene Entgegnung des Verdächtigten aufzunehmen.
Herr W- ist auch lange genug in Oesterreich, um die Bedeutung ei¬
ner so leichtsinnig oder böswillig hingeworfenen Insinuation zu ken¬
nen Za wir begreifen kaum, wie man sich nicht vor dem ersten of¬
fiziellen Leser seines Blattes genirt, welcher politische Mittheilungen
der Art, weil sie nur einseitig sein können, von einem anständigen
Wiener Journal gar nicht erwartet. Muß er nicht erstaunen, wenn
ihm über ein ungedrucktes Gedicht eine Kritik vorgelegt wird, die sich
gleichsam direct an den Polizeichef in ihm, statt an den bloßen Cen¬
sor wendet? Und übrigens wird Herr W. wohl auch wissen, daß
Karl Beck, von dem er selbst in der Wiener Zeitschrift ein kleines
Gebiete drückte, und der sich jetzt mit einem österreichischen Paß in
Deutschland befindet, Oesterreicher (Ungar) ist und bleiben will.

Herr Witthauer täuschesinterasewichtder Anklage,
die wir gegen ihn erheben. Wir möchten nicht gern eine Ungerechtig¬
keit begehen und nehmen lieber an, daß die Schuld seinen Mangel
an Einsicht, als seinen guten Willen treffe. Schlimm genug, daß
es keine andere Entschuldigung für ihn gibt als die nasseste Unfähig¬
keit. Von dem Redacteur eines Blattes, dem die Autorität einiger
verehrten Namen, denen man zuweilen darin begegnet, ein gewisses
Renommee, eine Art von Nimbus gibt, darf man ein etwas lebhaf¬
teres Gefühl in solchen literarischen Ehrenpunkten, etwas mehr Takt
und etwas weniger Leichtsinn erwarten. Wenn Herr Witthauer das
nicht einsieht, sollte er das Redigiren lieber sein lassen.



») Diese Wahrnehmung wird Jeder machen, der die Bruchstücke gelesen
hat, welche diese Blätter aus der „Auferstehung" mittheilten.
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[0735] nähme, welche dieser edle lyrische Meister für das Gedicht seines jun¬ gen Freundes äußerte, wird Herrn Witthauer nicht unbekannt geblie¬ ben sein. Er konnte ferner, als Journalist und Zeitungsleser, aus den übereinstimmenden Berichten vieler andern Blätter wissen, daß die Dresdner Zuhörer im Hotel Luxembourg Beck's Dichtung mit Begeisterung aufnahmen; daß man wohl freie Ideen, wie zu erwar¬ ten war, aber nichts Staatsgefährliches und Subversives, vielmehr in der darin vorherrschenden Humanitaren und versöhnenden Richtung einen schönen Fortschritt des Dichters erblickte*). Und wäre die Wahr¬ haftigkeit des Dresdner Berichtes auch an sich gleichgiltig, was sie nicht ist, so hatte Herr W. noch andere Rücksichten zu beobachten» denn es ist eine Denunciation, Jemand an einem Orte anzuklagen, wo er sich nicht vertheidigen kann. Herr W. kennt aber die Verhält¬ nisse und weiß, daß es ihm schwer fallen dürfte, in seiner Wiener Zeitschrift eine offene Entgegnung des Verdächtigten aufzunehmen. Herr W- ist auch lange genug in Oesterreich, um die Bedeutung ei¬ ner so leichtsinnig oder böswillig hingeworfenen Insinuation zu ken¬ nen Za wir begreifen kaum, wie man sich nicht vor dem ersten of¬ fiziellen Leser seines Blattes genirt, welcher politische Mittheilungen der Art, weil sie nur einseitig sein können, von einem anständigen Wiener Journal gar nicht erwartet. Muß er nicht erstaunen, wenn ihm über ein ungedrucktes Gedicht eine Kritik vorgelegt wird, die sich gleichsam direct an den Polizeichef in ihm, statt an den bloßen Cen¬ sor wendet? Und übrigens wird Herr W. wohl auch wissen, daß Karl Beck, von dem er selbst in der Wiener Zeitschrift ein kleines Gebiete drückte, und der sich jetzt mit einem österreichischen Paß in Deutschland befindet, Oesterreicher (Ungar) ist und bleiben will. Herr Witthauer täuschesinterasewichtder Anklage, die wir gegen ihn erheben. Wir möchten nicht gern eine Ungerechtig¬ keit begehen und nehmen lieber an, daß die Schuld seinen Mangel an Einsicht, als seinen guten Willen treffe. Schlimm genug, daß es keine andere Entschuldigung für ihn gibt als die nasseste Unfähig¬ keit. Von dem Redacteur eines Blattes, dem die Autorität einiger verehrten Namen, denen man zuweilen darin begegnet, ein gewisses Renommee, eine Art von Nimbus gibt, darf man ein etwas lebhaf¬ teres Gefühl in solchen literarischen Ehrenpunkten, etwas mehr Takt und etwas weniger Leichtsinn erwarten. Wenn Herr Witthauer das nicht einsieht, sollte er das Redigiren lieber sein lassen. ») Diese Wahrnehmung wird Jeder machen, der die Bruchstücke gelesen hat, welche diese Blätter aus der „Auferstehung" mittheilten. 94»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/735>, abgerufen am 17.06.2024.