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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Meyern; laut und heftig fing er immer aufs Neue an, so daß er
die Andern auch immer wieder mit fortriß. Noch eine ganze Zeit
wiederholte er sich die Worte: Ich weiß auch Saugeschichten! und
lachte mit größtem Behagen, bis nach und nach der beobachtende
Ernst in seinen Mienen wieder die Oberhand nahm. .

Mehrere der Domen und Herren hatten sich bereits entfernt,
und ich hielt es für schicklich, ebenfalls an den Rückzug zu denken;
allein Brinkmann wollte davon Nichts hören und versicherte, daß es
hier noch gar nicht spät sei, im Gegentheil würden noch einige Leute
kommen, ja er hielt es nicht für unmöglich, daß noch zwei seiner an¬
gebeteten Freundinnen, die herrliche Freiin von A- aus Wien, -
das Jstermädchen, wie Demoiselle Levin sie nenne, -- nach abge¬
thanen anderem Besuche noch hier einsprächen.

Das Hereintreten eines Mannes, den der Zuruf: Guten Abend,
Gentz! mir° sogleich als den berühmten Publizisten zu erkennen gab,
erregte einige Bewegung. Kaum habe ich so viel Schüchternheit mit
so viel Dreistigkeit beisammen gesehen, wie im Aeußeren dieses Man¬
nes vereinigt war. Mit zaghafter Unsicherheit prüfte er gleichsam
die Gesichter und die Plätze und war nicht eher ruhig, bis er sie
alle untersucht hatte. Ich als Fremder schien ihm wohl unbedeutend,
die Andern erkannte er als Günstige, nur Friedrich Schlegel flößte
ihm einen heimlichen Schauder ein, auch wählte er den diesem fern¬
sten Platz. Behaglich und sicher zwischen Madame Unzelmann und
seinem Beschützer Schack, knüpfte er mit Beiden gleich ein Gespräch
an, das bald aber für Alle gemeinsam wurde. Er erzählte von sei¬
nem Mittage, er hatte bet dem Minister Grafen Haugwitz gegessen, dort
Gesandte und Generale gesprochen, die neuesten Neuigkeiten aus Lon¬
don und Paris erfahren. Madame Unzelmann verbat aber alle Po¬
litik und verlangte nur solche Nachrichten, an denen auch sie Theil
nehmen könnte. Ganz recht, mein Engel, erwiederte Gentz mit Leb¬
haftigkeit, auch wir sprachen am wenigsten von Politik, sondern von
den Sitten, den Vergnügungen, von -- ist Gualtieri nicht hier? --
der Depravation, die sich wieder einfindet in Paris, von den Liebes-
händeln, den Theatern, den Restaurateurs, -- nicht wahr, das sind
hübsche Gegenstände?

Schack, der kürzlich in Frankreich gewesen war und am Hofe
des ersten Consuls Bonaparte der ersten dort erschienenen preußischen


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Meyern; laut und heftig fing er immer aufs Neue an, so daß er
die Andern auch immer wieder mit fortriß. Noch eine ganze Zeit
wiederholte er sich die Worte: Ich weiß auch Saugeschichten! und
lachte mit größtem Behagen, bis nach und nach der beobachtende
Ernst in seinen Mienen wieder die Oberhand nahm. .

Mehrere der Domen und Herren hatten sich bereits entfernt,
und ich hielt es für schicklich, ebenfalls an den Rückzug zu denken;
allein Brinkmann wollte davon Nichts hören und versicherte, daß es
hier noch gar nicht spät sei, im Gegentheil würden noch einige Leute
kommen, ja er hielt es nicht für unmöglich, daß noch zwei seiner an¬
gebeteten Freundinnen, die herrliche Freiin von A- aus Wien, -
das Jstermädchen, wie Demoiselle Levin sie nenne, — nach abge¬
thanen anderem Besuche noch hier einsprächen.

Das Hereintreten eines Mannes, den der Zuruf: Guten Abend,
Gentz! mir° sogleich als den berühmten Publizisten zu erkennen gab,
erregte einige Bewegung. Kaum habe ich so viel Schüchternheit mit
so viel Dreistigkeit beisammen gesehen, wie im Aeußeren dieses Man¬
nes vereinigt war. Mit zaghafter Unsicherheit prüfte er gleichsam
die Gesichter und die Plätze und war nicht eher ruhig, bis er sie
alle untersucht hatte. Ich als Fremder schien ihm wohl unbedeutend,
die Andern erkannte er als Günstige, nur Friedrich Schlegel flößte
ihm einen heimlichen Schauder ein, auch wählte er den diesem fern¬
sten Platz. Behaglich und sicher zwischen Madame Unzelmann und
seinem Beschützer Schack, knüpfte er mit Beiden gleich ein Gespräch
an, das bald aber für Alle gemeinsam wurde. Er erzählte von sei¬
nem Mittage, er hatte bet dem Minister Grafen Haugwitz gegessen, dort
Gesandte und Generale gesprochen, die neuesten Neuigkeiten aus Lon¬
don und Paris erfahren. Madame Unzelmann verbat aber alle Po¬
litik und verlangte nur solche Nachrichten, an denen auch sie Theil
nehmen könnte. Ganz recht, mein Engel, erwiederte Gentz mit Leb¬
haftigkeit, auch wir sprachen am wenigsten von Politik, sondern von
den Sitten, den Vergnügungen, von — ist Gualtieri nicht hier? —
der Depravation, die sich wieder einfindet in Paris, von den Liebes-
händeln, den Theatern, den Restaurateurs, — nicht wahr, das sind
hübsche Gegenstände?

Schack, der kürzlich in Frankreich gewesen war und am Hofe
des ersten Consuls Bonaparte der ersten dort erschienenen preußischen


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[0743] Meyern; laut und heftig fing er immer aufs Neue an, so daß er die Andern auch immer wieder mit fortriß. Noch eine ganze Zeit wiederholte er sich die Worte: Ich weiß auch Saugeschichten! und lachte mit größtem Behagen, bis nach und nach der beobachtende Ernst in seinen Mienen wieder die Oberhand nahm. . Mehrere der Domen und Herren hatten sich bereits entfernt, und ich hielt es für schicklich, ebenfalls an den Rückzug zu denken; allein Brinkmann wollte davon Nichts hören und versicherte, daß es hier noch gar nicht spät sei, im Gegentheil würden noch einige Leute kommen, ja er hielt es nicht für unmöglich, daß noch zwei seiner an¬ gebeteten Freundinnen, die herrliche Freiin von A- aus Wien, - das Jstermädchen, wie Demoiselle Levin sie nenne, — nach abge¬ thanen anderem Besuche noch hier einsprächen. Das Hereintreten eines Mannes, den der Zuruf: Guten Abend, Gentz! mir° sogleich als den berühmten Publizisten zu erkennen gab, erregte einige Bewegung. Kaum habe ich so viel Schüchternheit mit so viel Dreistigkeit beisammen gesehen, wie im Aeußeren dieses Man¬ nes vereinigt war. Mit zaghafter Unsicherheit prüfte er gleichsam die Gesichter und die Plätze und war nicht eher ruhig, bis er sie alle untersucht hatte. Ich als Fremder schien ihm wohl unbedeutend, die Andern erkannte er als Günstige, nur Friedrich Schlegel flößte ihm einen heimlichen Schauder ein, auch wählte er den diesem fern¬ sten Platz. Behaglich und sicher zwischen Madame Unzelmann und seinem Beschützer Schack, knüpfte er mit Beiden gleich ein Gespräch an, das bald aber für Alle gemeinsam wurde. Er erzählte von sei¬ nem Mittage, er hatte bet dem Minister Grafen Haugwitz gegessen, dort Gesandte und Generale gesprochen, die neuesten Neuigkeiten aus Lon¬ don und Paris erfahren. Madame Unzelmann verbat aber alle Po¬ litik und verlangte nur solche Nachrichten, an denen auch sie Theil nehmen könnte. Ganz recht, mein Engel, erwiederte Gentz mit Leb¬ haftigkeit, auch wir sprachen am wenigsten von Politik, sondern von den Sitten, den Vergnügungen, von — ist Gualtieri nicht hier? — der Depravation, die sich wieder einfindet in Paris, von den Liebes- händeln, den Theatern, den Restaurateurs, — nicht wahr, das sind hübsche Gegenstände? Schack, der kürzlich in Frankreich gewesen war und am Hofe des ersten Consuls Bonaparte der ersten dort erschienenen preußischen 95*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/743>, abgerufen am 17.06.2024.