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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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einem so hohen Herrn zu sagen -- zunimmt. Der Kaiser ist eifer¬
süchtig darauf, die Anfange seiner Politik selbst zu Ende zu bringen,
dieses weiß man hier; der Plan einer Eisenbahn zwischen Moskau
und Odessa mit ihren handgreiflichen Folgen war unserer Diplomatie
schon längst kein Geheimniß mehr, und doch warten wir hübsch ru¬
hig die Dinge ab, die da kommen werden. Unter den fünf Gro߬
mächten Europas sinnen vier auf Machtvergrößerung und stehen
schlagfertig zur Initiative bereit, nur Oesterreich wartet den Angriff
ab und beschränkt sich auf die Vertheidigung; gewiß eine weise und
würdige Politik! Aber Oesterreich ist längst angegriffen; von dem
Momente, wo die Donaumündungen in Rußlands Hände übergingen,
bis auf diese Stunde hat Rußland einen fortdauernden, vortheilhaf¬
ten Invasionskrieg gegen uns geführt, es hat unseren Einfluß in Kon¬
stantinopel geschwächt, es hat die Donaufürstenthümer moralisch er¬
obert, es hat seine Netze tief nach Ungarn, ja vielleicht bis Böhmen
geworfen, und wir, haben wir uns vertheidigt?

Für heute nur diese Frage. Wenn Sie diesen Zeilen in Ihrem
geschätzten Blatte einen Raum gönnen wollen, so werde ich mir er¬
lauben, in Zukunft noch einige andere Fragen dieser ersten folgen zu
lassen. Vielleicht wird sich hie und da auch eine Antwort finden.


2.

Cornelius und die Wiener Künstler. -- Die Staatsdruckerei und Fürst Mct-
ternick -- Emil Devrient und Löwe. -- Baison, Herr von Holbein und seine" / Maske.

Unsere diesjährige Kunstausstellung sitzt in großem Malheur,
nicht nur, daß sie über alle Maßen traurig ausgefallen ist, führt der
Zufall auch noch Peter von Cornelius herbei, den großen Maler des
Weltgerichts, den größten Dichter unter den Malern, den kühnsten
Dramatiker unter den Dichtern der Jetztzeit. Was muß der Mann,
der Meister der Düsseldorfer, Münchener und Berliner Schulen für
einen Begriff von Wiener Kunst mitgenommen haben? Wie muß er
sichnichtnuran denBildern, wiemuß er sich an den G esprach en unserer
Maler erbaut haben, an ihren Kunstansichten, an ihren Bildungsgängen.
Am Ende ist Führich, d. h. die fromme Schule, trotz ihrer Richtung, doch noch
die beste, weil sie wenigstens die vollständigste ist. -- WissenSie, daßMn
unseren Beamten erlaubt hat, Privatunterricht zu ertheilen? -- Dies
ist von großem Einfluß auf unseren allgemeinen Bildungsgang. Denn
fortan werden die Beamten, um unterrichten zu können, selbst erst
etwas lernen, und dieses ist ein wichtiger Fortschritt. Daß unter
unseren Beamten eine fürchterliche Unwissenheit herrscht, darüber ist
man allgemein einig Es ist sogar im Werke, der hiesigen Staats-


Grcnzbote" 1844, I. ZgZ

einem so hohen Herrn zu sagen — zunimmt. Der Kaiser ist eifer¬
süchtig darauf, die Anfange seiner Politik selbst zu Ende zu bringen,
dieses weiß man hier; der Plan einer Eisenbahn zwischen Moskau
und Odessa mit ihren handgreiflichen Folgen war unserer Diplomatie
schon längst kein Geheimniß mehr, und doch warten wir hübsch ru¬
hig die Dinge ab, die da kommen werden. Unter den fünf Gro߬
mächten Europas sinnen vier auf Machtvergrößerung und stehen
schlagfertig zur Initiative bereit, nur Oesterreich wartet den Angriff
ab und beschränkt sich auf die Vertheidigung; gewiß eine weise und
würdige Politik! Aber Oesterreich ist längst angegriffen; von dem
Momente, wo die Donaumündungen in Rußlands Hände übergingen,
bis auf diese Stunde hat Rußland einen fortdauernden, vortheilhaf¬
ten Invasionskrieg gegen uns geführt, es hat unseren Einfluß in Kon¬
stantinopel geschwächt, es hat die Donaufürstenthümer moralisch er¬
obert, es hat seine Netze tief nach Ungarn, ja vielleicht bis Böhmen
geworfen, und wir, haben wir uns vertheidigt?

Für heute nur diese Frage. Wenn Sie diesen Zeilen in Ihrem
geschätzten Blatte einen Raum gönnen wollen, so werde ich mir er¬
lauben, in Zukunft noch einige andere Fragen dieser ersten folgen zu
lassen. Vielleicht wird sich hie und da auch eine Antwort finden.


2.

Cornelius und die Wiener Künstler. — Die Staatsdruckerei und Fürst Mct-
ternick — Emil Devrient und Löwe. — Baison, Herr von Holbein und seine" / Maske.

Unsere diesjährige Kunstausstellung sitzt in großem Malheur,
nicht nur, daß sie über alle Maßen traurig ausgefallen ist, führt der
Zufall auch noch Peter von Cornelius herbei, den großen Maler des
Weltgerichts, den größten Dichter unter den Malern, den kühnsten
Dramatiker unter den Dichtern der Jetztzeit. Was muß der Mann,
der Meister der Düsseldorfer, Münchener und Berliner Schulen für
einen Begriff von Wiener Kunst mitgenommen haben? Wie muß er
sichnichtnuran denBildern, wiemuß er sich an den G esprach en unserer
Maler erbaut haben, an ihren Kunstansichten, an ihren Bildungsgängen.
Am Ende ist Führich, d. h. die fromme Schule, trotz ihrer Richtung, doch noch
die beste, weil sie wenigstens die vollständigste ist. — WissenSie, daßMn
unseren Beamten erlaubt hat, Privatunterricht zu ertheilen? — Dies
ist von großem Einfluß auf unseren allgemeinen Bildungsgang. Denn
fortan werden die Beamten, um unterrichten zu können, selbst erst
etwas lernen, und dieses ist ein wichtiger Fortschritt. Daß unter
unseren Beamten eine fürchterliche Unwissenheit herrscht, darüber ist
man allgemein einig Es ist sogar im Werke, der hiesigen Staats-


Grcnzbote» 1844, I. ZgZ
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[0801] einem so hohen Herrn zu sagen — zunimmt. Der Kaiser ist eifer¬ süchtig darauf, die Anfange seiner Politik selbst zu Ende zu bringen, dieses weiß man hier; der Plan einer Eisenbahn zwischen Moskau und Odessa mit ihren handgreiflichen Folgen war unserer Diplomatie schon längst kein Geheimniß mehr, und doch warten wir hübsch ru¬ hig die Dinge ab, die da kommen werden. Unter den fünf Gro߬ mächten Europas sinnen vier auf Machtvergrößerung und stehen schlagfertig zur Initiative bereit, nur Oesterreich wartet den Angriff ab und beschränkt sich auf die Vertheidigung; gewiß eine weise und würdige Politik! Aber Oesterreich ist längst angegriffen; von dem Momente, wo die Donaumündungen in Rußlands Hände übergingen, bis auf diese Stunde hat Rußland einen fortdauernden, vortheilhaf¬ ten Invasionskrieg gegen uns geführt, es hat unseren Einfluß in Kon¬ stantinopel geschwächt, es hat die Donaufürstenthümer moralisch er¬ obert, es hat seine Netze tief nach Ungarn, ja vielleicht bis Böhmen geworfen, und wir, haben wir uns vertheidigt? Für heute nur diese Frage. Wenn Sie diesen Zeilen in Ihrem geschätzten Blatte einen Raum gönnen wollen, so werde ich mir er¬ lauben, in Zukunft noch einige andere Fragen dieser ersten folgen zu lassen. Vielleicht wird sich hie und da auch eine Antwort finden. 2. Cornelius und die Wiener Künstler. — Die Staatsdruckerei und Fürst Mct- ternick — Emil Devrient und Löwe. — Baison, Herr von Holbein und seine" / Maske. Unsere diesjährige Kunstausstellung sitzt in großem Malheur, nicht nur, daß sie über alle Maßen traurig ausgefallen ist, führt der Zufall auch noch Peter von Cornelius herbei, den großen Maler des Weltgerichts, den größten Dichter unter den Malern, den kühnsten Dramatiker unter den Dichtern der Jetztzeit. Was muß der Mann, der Meister der Düsseldorfer, Münchener und Berliner Schulen für einen Begriff von Wiener Kunst mitgenommen haben? Wie muß er sichnichtnuran denBildern, wiemuß er sich an den G esprach en unserer Maler erbaut haben, an ihren Kunstansichten, an ihren Bildungsgängen. Am Ende ist Führich, d. h. die fromme Schule, trotz ihrer Richtung, doch noch die beste, weil sie wenigstens die vollständigste ist. — WissenSie, daßMn unseren Beamten erlaubt hat, Privatunterricht zu ertheilen? — Dies ist von großem Einfluß auf unseren allgemeinen Bildungsgang. Denn fortan werden die Beamten, um unterrichten zu können, selbst erst etwas lernen, und dieses ist ein wichtiger Fortschritt. Daß unter unseren Beamten eine fürchterliche Unwissenheit herrscht, darüber ist man allgemein einig Es ist sogar im Werke, der hiesigen Staats- Grcnzbote» 1844, I. ZgZ

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/801>, abgerufen am 17.06.2024.