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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Auch hier eilte bei der ersten Kunde, welche die Behörden erhielten,
das Militär herbei, um die -Fabriken vor schlimmeren Loose zu schüz-
zcn. Auf allen öffentlichen Plätzen wurden die Wachen verstärkt. Die
Drucker, die sich nun zusammengethan, und deren Anzahl sich auf
achtzehnhundert belief, zogen Tags darauf in ruhiger Ordnung, ohne
die mindesten Ercesse sich zu Schulden kommen zu lassen, nach dem
Baumgarten, um dem Erzherzog Stephan und dem Obersiburggrasen
die Ursachen ihrer Beschwerden vorzulegen. Sie erhielten die besänf¬
tigende Antwort, sie möchten nur sofort an ihre Arbeit gehen, man
werde ihre Sache ernstlich untersuchen. Während voller acht Tage
wurde jedoch in keiner Fabrik gearbeitet, wie gewöhnlich bei solchen
Gelegenheiten, erhitzten sich die müßigen Leute in den Wirthshäusern
allerlei liederliches Volk, an welchem jede große Stadt so reich ist.
strömte aus seinen Schlupfwinkeln herbei und schloß sich an, oder
rottete sich auf eigene Faust zu Haufen zusammen. Die Judenfabri¬
ken brachten allmälig die Gedanken auf die Juden selbst; man sprach
von Plünderung. Die Judenstadt, hieß es, besitze große Reichthümer,
die einer näheren Bekanntschaft wohl werth seien. Mittlerweile führte
der Weg hie und da einen Juden durch die Straße, der auf Abschlag
mißhandelt wurde. Indessen war man auch in anderen Theilen
der Stadt vor Excessen besorgt, die Wachtposten wurden noch mehr
verstärkt, das Militär in die Easeriien consignirt und das kluge Mit¬
tel gebraucht, die militärischen Streitkräfte mit einer gewissen Osten¬
ration durch die Straßen ziehen zu lassen und vor jedem bösen Ver¬
suche abzuschrecken. Placate wurden an 'den Straßenecken angeschlagen,
worin zur Ordnung und zur Ruhe unter Androhung der gesetzlichen
Strafe gegen Aufwiegler und Ruhestörer ermahnt wurde. End¬
lich fanden jedoch mehrfache Verhaftungen statt, sowohl unter den
Druckern, die bei der Zerstörung der Maschinen auf der That ergrif¬
fen wurden, wie auch unter dem lärmenden Pöbel, unter dem sich
mancherlei fremdes müßiges Volk befand, das auch fogleich über die
Grenze gewiesen wurde. Am Montage darauf versammelten sich die
Weiber der Verhafteten und durchliefen schreiend die Straßen, man
möge ihre Männer frei geben und nicht wegen ein Paar Juden so
viel Christen verhaften. Eine große compacte Volksmenge, von die¬
sem Geschrei angezogen, versammelte sich in der Tuchmachergasse
vor der Epstein'schen Fabrik, warf Steine in die Fenster und machte
Anstalt zu stürmen; eine Abtheilung Militär rückte nun in geschlosse¬
nen Reihen herbei, ohne jedoch die Menge zum Weichen zu bringen,
vielmehr soll einer der Offiziere von einem Steinwurfe sehr schwer
verwundet worden sein. Unser trefflicher Bürgermeister, der Herr Ap-
pellationSgerichtsrath Müller, begab sich indessen unter die aufgeregte"
Massen und stellte ihnen vor, wie sie selbst in ihr Unglück rennen
wollten, indem das Militär die Weisung habe, nach dreimaliger ver-


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Auch hier eilte bei der ersten Kunde, welche die Behörden erhielten,
das Militär herbei, um die -Fabriken vor schlimmeren Loose zu schüz-
zcn. Auf allen öffentlichen Plätzen wurden die Wachen verstärkt. Die
Drucker, die sich nun zusammengethan, und deren Anzahl sich auf
achtzehnhundert belief, zogen Tags darauf in ruhiger Ordnung, ohne
die mindesten Ercesse sich zu Schulden kommen zu lassen, nach dem
Baumgarten, um dem Erzherzog Stephan und dem Obersiburggrasen
die Ursachen ihrer Beschwerden vorzulegen. Sie erhielten die besänf¬
tigende Antwort, sie möchten nur sofort an ihre Arbeit gehen, man
werde ihre Sache ernstlich untersuchen. Während voller acht Tage
wurde jedoch in keiner Fabrik gearbeitet, wie gewöhnlich bei solchen
Gelegenheiten, erhitzten sich die müßigen Leute in den Wirthshäusern
allerlei liederliches Volk, an welchem jede große Stadt so reich ist.
strömte aus seinen Schlupfwinkeln herbei und schloß sich an, oder
rottete sich auf eigene Faust zu Haufen zusammen. Die Judenfabri¬
ken brachten allmälig die Gedanken auf die Juden selbst; man sprach
von Plünderung. Die Judenstadt, hieß es, besitze große Reichthümer,
die einer näheren Bekanntschaft wohl werth seien. Mittlerweile führte
der Weg hie und da einen Juden durch die Straße, der auf Abschlag
mißhandelt wurde. Indessen war man auch in anderen Theilen
der Stadt vor Excessen besorgt, die Wachtposten wurden noch mehr
verstärkt, das Militär in die Easeriien consignirt und das kluge Mit¬
tel gebraucht, die militärischen Streitkräfte mit einer gewissen Osten¬
ration durch die Straßen ziehen zu lassen und vor jedem bösen Ver¬
suche abzuschrecken. Placate wurden an 'den Straßenecken angeschlagen,
worin zur Ordnung und zur Ruhe unter Androhung der gesetzlichen
Strafe gegen Aufwiegler und Ruhestörer ermahnt wurde. End¬
lich fanden jedoch mehrfache Verhaftungen statt, sowohl unter den
Druckern, die bei der Zerstörung der Maschinen auf der That ergrif¬
fen wurden, wie auch unter dem lärmenden Pöbel, unter dem sich
mancherlei fremdes müßiges Volk befand, das auch fogleich über die
Grenze gewiesen wurde. Am Montage darauf versammelten sich die
Weiber der Verhafteten und durchliefen schreiend die Straßen, man
möge ihre Männer frei geben und nicht wegen ein Paar Juden so
viel Christen verhaften. Eine große compacte Volksmenge, von die¬
sem Geschrei angezogen, versammelte sich in der Tuchmachergasse
vor der Epstein'schen Fabrik, warf Steine in die Fenster und machte
Anstalt zu stürmen; eine Abtheilung Militär rückte nun in geschlosse¬
nen Reihen herbei, ohne jedoch die Menge zum Weichen zu bringen,
vielmehr soll einer der Offiziere von einem Steinwurfe sehr schwer
verwundet worden sein. Unser trefflicher Bürgermeister, der Herr Ap-
pellationSgerichtsrath Müller, begab sich indessen unter die aufgeregte»
Massen und stellte ihnen vor, wie sie selbst in ihr Unglück rennen
wollten, indem das Militär die Weisung habe, nach dreimaliger ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/139>, abgerufen am 17.06.2024.