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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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klingen; die Augen werden feucht; man legt das Buch hin; man
schwelgt in einer köstlichen Empfindung; man verweilt in einer fri¬
schen Oase, und dann verfolgt man wieder seinen Weg über kahle Ab¬
gründe, über Gletscher, über nackte Felsen, durch Gestrüppe und lang¬
weilige Wüsten.

Die literarische Biographie Herrn de Balzac'S ist ganz in einer der
etwas anspruchsvollen, aber vollkommen wahren Stellen seiner Vor¬
reden enthalten. Der Styl der bekümmerten oder vom Blitz des
Unglücks getroffenett Wesen gleicht nicht dem Styl derer, deren Leben
ohne Katastrophe ruhig verflossen ist. Ueberblicken wir schnell dieses
vom Blitz getroffene Leben. Honore de Balzac ist am 20. Mai
1799 zu Tours von armen Eltern geboren; er stammt nicht von
seinem berühmten Namensvetter ab, dem großen Balzac, den Nie¬
mand mehr liest; der Familienname des Letzteren war Guez. Unser
berühmter Zeitgenosse besteht selbst darauf, "daß er nicht Edelmann
sei im historischen Sinn dieses Wortes, das so bedeutsam die Fami¬
lien des erobernden Stammes bezeichnet; aber, sügt er hinzu, ich
sage dies, indem ich ihrem Stolze den meinen entgegensetze; denn
mein Vater rühmte sich, gleichen Stammes mit dem besiegten Volke
zu sein, aus einer Familie, die in Auvergne gegen die Invasion ge¬
dampft hat und aus der die d'Entragues stammen." Wir geben gern
zu, daß Balzac von dem besiegten Volke abstammt, d. h. vom rein¬
sten gallischen Blut. Wir wollen auch kein Wort über sein Von
verlieren. Denen, die ihn fragen, warum er es 1826 abgelegt habe,
antwortet er, daß, da er Buchdrucker wurde, er auch geglaubt habe,
den Geist seines Standes annehmen zu müssen. Die jüngeren Söhne
adeliger bretagnischer Familien legten, wenn sie Kaufleute wurden,
ihren Degen und ihren Adelsbrief auf der Stadtkanzlei nieder; so
hat es Herr von Balzac mit seinem Von gemacht.

Der Vater Balzac's, Secretär beim großen Rath unter Ludwig
XV., verlor seine Stelle durch die Revolution und schickte seinen Sohn
während des Kaiserreichs auf das College von Vendome, wo er seine
ersten Studien machte. Hier zeigte der junge Schüler frühzeitig die
Eigenschaften eines hochbegabten Jünglings; denn im zwölften Jahre
machte er schon schlechte Verse, sprach schlechtere Themata, gewann
unzählige Preise und erhielt den Spitznamen Poet.


klingen; die Augen werden feucht; man legt das Buch hin; man
schwelgt in einer köstlichen Empfindung; man verweilt in einer fri¬
schen Oase, und dann verfolgt man wieder seinen Weg über kahle Ab¬
gründe, über Gletscher, über nackte Felsen, durch Gestrüppe und lang¬
weilige Wüsten.

Die literarische Biographie Herrn de Balzac'S ist ganz in einer der
etwas anspruchsvollen, aber vollkommen wahren Stellen seiner Vor¬
reden enthalten. Der Styl der bekümmerten oder vom Blitz des
Unglücks getroffenett Wesen gleicht nicht dem Styl derer, deren Leben
ohne Katastrophe ruhig verflossen ist. Ueberblicken wir schnell dieses
vom Blitz getroffene Leben. Honore de Balzac ist am 20. Mai
1799 zu Tours von armen Eltern geboren; er stammt nicht von
seinem berühmten Namensvetter ab, dem großen Balzac, den Nie¬
mand mehr liest; der Familienname des Letzteren war Guez. Unser
berühmter Zeitgenosse besteht selbst darauf, „daß er nicht Edelmann
sei im historischen Sinn dieses Wortes, das so bedeutsam die Fami¬
lien des erobernden Stammes bezeichnet; aber, sügt er hinzu, ich
sage dies, indem ich ihrem Stolze den meinen entgegensetze; denn
mein Vater rühmte sich, gleichen Stammes mit dem besiegten Volke
zu sein, aus einer Familie, die in Auvergne gegen die Invasion ge¬
dampft hat und aus der die d'Entragues stammen." Wir geben gern
zu, daß Balzac von dem besiegten Volke abstammt, d. h. vom rein¬
sten gallischen Blut. Wir wollen auch kein Wort über sein Von
verlieren. Denen, die ihn fragen, warum er es 1826 abgelegt habe,
antwortet er, daß, da er Buchdrucker wurde, er auch geglaubt habe,
den Geist seines Standes annehmen zu müssen. Die jüngeren Söhne
adeliger bretagnischer Familien legten, wenn sie Kaufleute wurden,
ihren Degen und ihren Adelsbrief auf der Stadtkanzlei nieder; so
hat es Herr von Balzac mit seinem Von gemacht.

Der Vater Balzac's, Secretär beim großen Rath unter Ludwig
XV., verlor seine Stelle durch die Revolution und schickte seinen Sohn
während des Kaiserreichs auf das College von Vendome, wo er seine
ersten Studien machte. Hier zeigte der junge Schüler frühzeitig die
Eigenschaften eines hochbegabten Jünglings; denn im zwölften Jahre
machte er schon schlechte Verse, sprach schlechtere Themata, gewann
unzählige Preise und erhielt den Spitznamen Poet.


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[0036] klingen; die Augen werden feucht; man legt das Buch hin; man schwelgt in einer köstlichen Empfindung; man verweilt in einer fri¬ schen Oase, und dann verfolgt man wieder seinen Weg über kahle Ab¬ gründe, über Gletscher, über nackte Felsen, durch Gestrüppe und lang¬ weilige Wüsten. Die literarische Biographie Herrn de Balzac'S ist ganz in einer der etwas anspruchsvollen, aber vollkommen wahren Stellen seiner Vor¬ reden enthalten. Der Styl der bekümmerten oder vom Blitz des Unglücks getroffenett Wesen gleicht nicht dem Styl derer, deren Leben ohne Katastrophe ruhig verflossen ist. Ueberblicken wir schnell dieses vom Blitz getroffene Leben. Honore de Balzac ist am 20. Mai 1799 zu Tours von armen Eltern geboren; er stammt nicht von seinem berühmten Namensvetter ab, dem großen Balzac, den Nie¬ mand mehr liest; der Familienname des Letzteren war Guez. Unser berühmter Zeitgenosse besteht selbst darauf, „daß er nicht Edelmann sei im historischen Sinn dieses Wortes, das so bedeutsam die Fami¬ lien des erobernden Stammes bezeichnet; aber, sügt er hinzu, ich sage dies, indem ich ihrem Stolze den meinen entgegensetze; denn mein Vater rühmte sich, gleichen Stammes mit dem besiegten Volke zu sein, aus einer Familie, die in Auvergne gegen die Invasion ge¬ dampft hat und aus der die d'Entragues stammen." Wir geben gern zu, daß Balzac von dem besiegten Volke abstammt, d. h. vom rein¬ sten gallischen Blut. Wir wollen auch kein Wort über sein Von verlieren. Denen, die ihn fragen, warum er es 1826 abgelegt habe, antwortet er, daß, da er Buchdrucker wurde, er auch geglaubt habe, den Geist seines Standes annehmen zu müssen. Die jüngeren Söhne adeliger bretagnischer Familien legten, wenn sie Kaufleute wurden, ihren Degen und ihren Adelsbrief auf der Stadtkanzlei nieder; so hat es Herr von Balzac mit seinem Von gemacht. Der Vater Balzac's, Secretär beim großen Rath unter Ludwig XV., verlor seine Stelle durch die Revolution und schickte seinen Sohn während des Kaiserreichs auf das College von Vendome, wo er seine ersten Studien machte. Hier zeigte der junge Schüler frühzeitig die Eigenschaften eines hochbegabten Jünglings; denn im zwölften Jahre machte er schon schlechte Verse, sprach schlechtere Themata, gewann unzählige Preise und erhielt den Spitznamen Poet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/36>, abgerufen am 28.05.2024.