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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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hin, die da in ihrem Dünkel hier über die Zerlegung der kleinster"
Blume und dort über die Analyse des kleinsten Wortes zu spotten
sich unterfangen und glauben, daß sie im großen Buche der Natur
lesen können, ohne jemals buchstabirt zu haben. Aber dann wies er
auch auf die Engherzigkeit derjenigen hin, vie da kleben bleiben bei
dem einzelnen Wort und der einzelnen Blume und nicht Willens sind,
vom Buchstabiren zum Lesen überzugehen und sich auf die wahre
Höhe des freien Geistes emporzuschwingen. --

Linnv's Beredsamkeit war hinreißend, sein Feuer entstammend,
sein leuchtender Blick im hohen Grade wohlthuend. Ich war ein
anderer Mensch geworden. Von meiner Bangigkeit keine Spur mehr.
Ich hätte gern immer mitreden, gern in seine Begeisterung laut ein¬
stimmen mögen. Aber die Ehrfurcht hieß mich schweigen. Ich war
ganz Ohr. Nun wandte er seine Rede auf das schwedische Volk
und seine Sprache und Alterthümer. "Es ist ja ein Brudervolk des
deutschen, mit ihm aus Einem Stamme entsprossen, ein edles Volk;
rein und heiter wie seine Luft ist sein Herz, fest wie sein Urgranit
sein Charakter, und wie seine Berge hoch in den Himmel ragen, so
strebt sein frommer Sinn zum Allvater auf. Aber nicht blos lieblich
ist mein Volk und Vaterland, es ist groß und ihm wird wohl in
der Umarmung der ernsten Erhabenheit der eisigen Natur. Siehe,
diese Blume mit der schönen Blüthe verdorret höher im Norden.
Aber der Hauch der Natur, der in ihr lebt, zieht sich auch durch die
eisigen Gefilde und öden Wüsten des Gebirges. Und wo keine
Blume mehr duften kann, da lebt und athmet noch der Mensch!"

So sprach er und ich lauschte gespannt seiner Weisheit.-- Da
raschelten Blätter. Verworrene Stimmen vernahm ich, sie schienen
vernehmlicher zu werden -- -- ich erwachte. Fort war der liebliche
Traum. Ich saß noch auf dem Katheder an die Wand gelehnt,
die Linnäa in der Hand. Bald traten meine Gefährten mit ihren
Begleiterinnen herein.

-- Ich kehre nicht nach Hause zurück! rief ich ihnen hurtig und
fest entgegen.

-- Wie? riefen Beide wie aus einem Munde,

-- Ich bin fest entschlossen, weiter hinauf nach Norden zu wan-
den, so weit es irgend Wege und Witterung gestatten.


hin, die da in ihrem Dünkel hier über die Zerlegung der kleinster»
Blume und dort über die Analyse des kleinsten Wortes zu spotten
sich unterfangen und glauben, daß sie im großen Buche der Natur
lesen können, ohne jemals buchstabirt zu haben. Aber dann wies er
auch auf die Engherzigkeit derjenigen hin, vie da kleben bleiben bei
dem einzelnen Wort und der einzelnen Blume und nicht Willens sind,
vom Buchstabiren zum Lesen überzugehen und sich auf die wahre
Höhe des freien Geistes emporzuschwingen. —

Linnv's Beredsamkeit war hinreißend, sein Feuer entstammend,
sein leuchtender Blick im hohen Grade wohlthuend. Ich war ein
anderer Mensch geworden. Von meiner Bangigkeit keine Spur mehr.
Ich hätte gern immer mitreden, gern in seine Begeisterung laut ein¬
stimmen mögen. Aber die Ehrfurcht hieß mich schweigen. Ich war
ganz Ohr. Nun wandte er seine Rede auf das schwedische Volk
und seine Sprache und Alterthümer. „Es ist ja ein Brudervolk des
deutschen, mit ihm aus Einem Stamme entsprossen, ein edles Volk;
rein und heiter wie seine Luft ist sein Herz, fest wie sein Urgranit
sein Charakter, und wie seine Berge hoch in den Himmel ragen, so
strebt sein frommer Sinn zum Allvater auf. Aber nicht blos lieblich
ist mein Volk und Vaterland, es ist groß und ihm wird wohl in
der Umarmung der ernsten Erhabenheit der eisigen Natur. Siehe,
diese Blume mit der schönen Blüthe verdorret höher im Norden.
Aber der Hauch der Natur, der in ihr lebt, zieht sich auch durch die
eisigen Gefilde und öden Wüsten des Gebirges. Und wo keine
Blume mehr duften kann, da lebt und athmet noch der Mensch!"

So sprach er und ich lauschte gespannt seiner Weisheit.— Da
raschelten Blätter. Verworrene Stimmen vernahm ich, sie schienen
vernehmlicher zu werden — — ich erwachte. Fort war der liebliche
Traum. Ich saß noch auf dem Katheder an die Wand gelehnt,
die Linnäa in der Hand. Bald traten meine Gefährten mit ihren
Begleiterinnen herein.

— Ich kehre nicht nach Hause zurück! rief ich ihnen hurtig und
fest entgegen.

— Wie? riefen Beide wie aus einem Munde,

— Ich bin fest entschlossen, weiter hinauf nach Norden zu wan-
den, so weit es irgend Wege und Witterung gestatten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/378>, abgerufen am 10.06.2024.